Viernheim. Die Begleiter mit den roten Westen sichern die Kreuzung ab, und schon rollen Dutzende Fahrer in ihren Liegerädern über die Straße Richtung Innenstadt. Alle tragen ein gelbes Leibchen und sind damit als Teilnehmer der „Radfahrlust“-Tour 2023 zu erkennen.
Die Selbsthilfegruppe „Radfahrlust“ der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft Hessen veranstaltet jedes Jahr eine siebentägige Spezialrad-Tour an unterschiedlichen Orten in Deutschland. Nach 2019 ist die Gruppe in diesem Jahr erneut eine Woche lang im Kreis Bergstraße und in der Region unterwegs. Die Teilnehmer – mit und ohne Multiple Sklerose (MS) – sind in einem Gemeinschaftsquartier in der Alexander-von-Humboldt-Schule untergebracht und radeln von dort aus jeden Tag zu einem anderen Ziel. Die Tagesetappen führen von Viernheim nach Mannheim, Lampertheim, Heppenheim oder Lorsch.
Am ersten Tag werden die Räder für die Ausfahrten an die Teilnehmer verteilt und passend auf die Fahrer eingestellt. Die speziellen Liegefahrräder mit drei Rädern werden von den Herstellern zur Verfügung gestellt. Das war auch die Grundidee zur „Radfahrlust“: Initiator Klaus Vock hatte sich vor Jahren auf einer Fachmesse über die Mobilitätsmöglichkeiten für MS-Kranke informiert. Von dem Angebot war er sofort überzeugt. „Das muss ich anderen Betroffenen zeigen“, nahm er sich vor und fragte die Firmen an, ob man ihre Spezialräder nicht öffentlich präsentieren könne.
Selbsthilfegruppe "Radfahrlust": Erste Tour im Jahr 2008
So startete 2008 die erste Tour mit gerade einmal sechs Radlern. Inzwischen sind es bis zu 50 Teilnehmer, die zur Radwoche nicht nur aus Hessen, sondern aus Augsburg, Freiburg und sogar aus Lübeck kommen. „Es ist ein Stück Freiheit und Selbstbestimmung, das die Betroffenen durch das Radfahren bekommen“, weiß auch Dagmar Spill, die Vorsitzende der DMSG Hessen, dass das Motto „Freiheit auf drei Rädern“ passender nicht sein könnte.
Sie hat für die Gruppe zum 15-jährigen Bestehen ein Geschenk dabei, das die Teilnehmer gut brauchen können: Kühltücher. Denn in den ersten Tagen der Radfahrwoche ist es zu heiß für die geplanten Touren. „Gerade das Hochsommerwetter macht den Betroffenen erhebliche Probleme“, sagt Anke Vetter, die Sprecherin der „Radfahrlust“-Tour.
Die Viernheimer Gruppe des ADFC hat die Tagestouren vorbereitet, die dann aber an das Wetter angepasst werden müssen. „Eine Fahrt nur über die Felder nach Heppenheim macht bei dieser Hitze keinen Sinn“, erklärt Andreas Vondung. Deshalb geht es auf den schattigeren Waldwegen an den Karlstern.
Die „Radfahrlust“-Gruppe fährt immer im Verbund – die „Rothemden“ sichern die Strecken ab. Rund 20 bis 40 Kilometer am Tag legen die Teilnehmer zurück. Und wenn einen die Kräfte verlassen, ist auf der Strecke immer ein Begleitfahrzeug dabei. Trotz ihrer körperlichen Beeinträchtigung lassen sich die Teilnehmer die Freude und den Spaß am Radfahren nicht nehmen – und während der Woche wird das Gemeinschaftsgefühl gestärkt. Nach den Ausfahrten sitzen Organisatoren, Teilnehmer, Begleiter, Guides, die Logistiker und die Radtechniker beim gemeinsamen Essen zusammen, Martina Falkenstein und ihr Team von den Maltesern Viernheim sorgen für das leibliche Wohl.
Die Gruppe Radfahrlust spürt eine starke Gemeinschaft
„Da wird nicht gejammert, sondern viel gelacht“, erzählt Anke Vetter, „wir können alle so viel voneinander lernen“. Das bestätigt die Mutter einer MS-Erkrankten: „Es ist für uns der Höhepunkt des Jahres, die Tage geben einem so viel, dass man ein paar Wochen davon zehrt.“ Wie stark die Gemeinschaft ist, zeigt die Tatsache, dass bei der Woche auch Selbsthilfegruppe-Mitglieder dabei sind, die mittlerweile auf umfassende Pflege angewiesen sind und nicht mehr mitradeln können. „Wir versuchen, dass sie auch zu den Tageszielen mitkommen“, berichtet Anke Vetter.
Das beeindruckt auch die Erste Kreisbeigeordnete Diana Stolz. „Da hat der Landrat nicht zuviel versprochen, als er mich hierher geschickt hat“, übermittelt sie die Grüße des Schirmherrn an die Teilnehmer. Ein großes Dankeschön schickt die Gesundheitsdezernentin des Kreises Bergstraße an die Organisatoren um Klaus Vock: „Sie haben das Rad zwar nicht neu erfunden, aber diese Gruppe auf den Weg gebracht.“
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