Ukraine-Krieg

Hilfe aus Viernheim: Im Fronturlaub am Schachbrett

Der Schachclub Viernheim unterstützt seine ukrainischen Großmeister. Doch die Situation ist wegen des Ukraine-Kriegs nicht einfach

Von 
Julius Paul Prior
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Viele Schachspieler aus der Ukraine spielen in Südhessen. © Getty Images/iStockphoto

Viernheim. Igor Kovalenko hat in dieser Saison zwei Spiele in der Schachbundesliga absolviert. Doch seine Gedanken dürften seit nun einem Jahr ganz woanders sein: beim Krieg. Kovalenko ist einer von fünf ukrainischen Schachspielern, die vor dem Angriff Russlands auf sein Heimatland im Schachclub Viernheim tätig waren.

Heute ist der Großmeister bei der Armee und mit seinen Brüdern an der Front, berichtet der erste Vorsitzende des SC Viernheim, Stefan Martin. Im Fronturlaub vergangenen November saß Kovalenko aber wieder am Brett.

Medikamente in die Ukraine geschickt

„Wir haben ihn auch eingesetzt, um ein Zeichen zu setzen“, erklärt Martin. Der Club hatte sich bereits im vergangenen Jahr deutlich gegen den russischen Angriffskrieg positioniert - beispielsweise Medikamente, vor allem Insulin, ins Kriegsgebiet geschickt.

Anton Korobov spielt am fünften Brett der Viernheimer. © Stefan Spiegel/SC Viernheim

Kurz nach Beginn des russischen Angriffs berichteten die ukrainischen Spieler bei einem Wettkampf per Videochat eindrucksvoll über ihre Situation. Auch im November, bei Kovalenkos Besuch, habe dieser über die Lage in der Ukraine gesprochen.

„Das war beeindruckend“, sagt Martin und erzählt: „Er kann nicht mehr im Bett schlafen. Er schläft ja schon seit Monaten auf dem Boden.“ In dem Gespräch vor etwa einem Jahr sagte Kovalenko, er sehe sich als Verteidiger der Freiheit. Daran habe sich laut Martin bis heute nichts geändert. „Am Anfang hat er Hilfsgüter transportiert. Da waren seine Brüder bereits an der Front. Er ist dann nach zwei oder drei Monaten auch zur Armee gekommen“, berichtet Martin von Kovalenkos Entscheidung, seine Heimat zu verteidigen.

Der Krieg geht nicht spurlos an ihnen vorbei. Und das sieht man
Stefan Martin Vorsitzender des SC Viernheim

Nicht nur Kovalenko erlebt in der Ukraine den Horror des Krieges. Auch für die Spieler in Europa ist die Konzentration auf das Schachbrett längst nicht mehr im Fokus. Ein Spieler aus der zweiten Mannschaft habe seinen Stiefsohn verloren, erzählt Martin.

Sergey Fedorchuk lebt bereits seit 15 Jahren in Frankreich. © SC Viernheim

Sergey Fedorchuk, der als einziger ukrainischer Spieler des SC bereits vor dem Krieg in Frankreich gelebt hat, konnte nicht zur Beerdigung seiner Mutter in die Ukraine reisen. „Der Krieg geht nicht spurlos an ihnen vorbei. Und das sieht man“, sagt Martin und fährt fort: „Einige haben auch im Spiel Formprobleme.“

Gesamtes Leben im Kriegsgebiet zurückgelassen

Allerdings helfe Schach den Ukrainern beim SC Viernheim auch ein Stück weit - vor allem, was die finanzielle Lage der Spieler angeht. „Das Preisniveau hat sich im Vergleich zur Ukraine verzehnfacht“, erklärt Martin. Für die Großmeister, die vom Schachspielen leben, ist das ein großes Problem.

Anton Korobov, der in dieser Saison wieder das fünfte Brett der Viernheimer besetzt, sei in Tschechien untergekommen. Sein gesamtes Leben hat er aber in der Ukraine zurücklassen müssen. „Er hat alle Ersparnisse verloren“, berichtet Martin. Korobov habe sein Geld in Wohnungen in der viel umkämpften Stadt Charkiw angelegt. Diese seien allesamt in den Angriffen Russlands zerstört worden.

Yuriy Kryvoruchko ist der stärkste Ukrainer bei den Südhessen. © SC Viernheim

„Auch unsere anderen Spieler sind inzwischen legal nach Europa ausgereist“, sagt Martin und erinnert an das zu Beginn des Krieges mit der Generalmobilmachung verhängte Ausreiseverbot für ukrainische Männer. Für Yuri Kryvoruchko hat der SC inzwischen eine Wohnung organisieren können. „Wir haben seine gesamte Familie untergebracht. Die Behördengänge dauern aber an, das ist ein enormer Verwaltungsaufwand“, erklärt Martin.

Russischer Spieler wird nicht eingesetzt

Zuletzt konnte der SC Viernheim eine weitere Wohnung organisieren. Diese haben sie nun dem Großmeister Konstantin Tarlev angeboten, der allerdings noch nicht wieder in der ersten Mannschaft der Viernheimer spielt. Ganz hat er den Schachfiguren den Rücken jedoch nicht gekehrt: Mit der zweiten Mannschaft spielt Tarlev erfolgreich in der Oberliga Baden auf. Aus fünf Partien hat er vier Punkte mitgenommen.

Gar nicht mehr für den SC Viernheim im Einsatz ist der einzige russische Spieler, der vor dem Krieg für die Südhessen am Brett saß. Vladimir Malakhov hat sich bisher nicht gegen den Angriffskrieg und Putin positioniert. Das wäre die Voraussetzung, weiter in der Schachbundesliga spielen zu dürfen. „Die Situation ist unklar“, sagt Martin. Er hat die Vermutung, dass sich Malakhov, der in der Nähe Moskaus lebt, auch wegen der möglichen Folgen einer solchen Aussage bedeckt hält. Eine Gefängnisstrafe ist nicht auszuschließen. „So können und wollen wir ihn aber nicht einsetzen“, sagt Martin.

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