Viernheim. Vinyl ist zurück. Doch eigentlich war die klassische Schallplatte niemals richtig verschwunden. Sie hatte es sich ab Mitte der 80er lediglich einige Jahre in den Nischen nerdiger, von einer übersichtlichen Retro-Szene kultig verehrter Plattenlädchen gemütlich gemacht und abgewartet, bis der digitale Hype vorübergezogen war.
„Totgesagte leben länger“, meint Jürgen aus Mannheim. Der 58-Jährige hat sich sein Faible fürs Knistern seit seiner musikkulturellen Sozialisation in den 70er Jahren erfolgreich bewahrt. Für Puristen, Musikenthusiasten und konservative Hörer ist der analoge Musikgenuss nach wie vor ohne echte Alternative in einer rundum digitalisierten Welt. Aber auch die Generation Streaming hat den Reiz der Rillen für sich entdeckt.
Hohe Nachfrage befeuert den Markt
Die Nachfrage nach schwarzen Scheiben hat den Markt in den letzten Jahren neu befeuert und eine Art Comeback ausgelöst. Viele zeitgenössische Künstler veröffentlichen ihre Alben wieder zusätzlich im Großformat. Klassiker werden in limitierten Auflagen neu aufgelegt. Doch nach Raritäten muss man suchen. Gezielt und systematisch.
Zum Beispiel im Rhein-Neckar-Zentrum. In der größten Einkaufsmall der Region fand am Sonntag der Antik- und Sammlermarkt „Nostalgia“ statt, an den nun erstmals eine Schallplatten- und CD-Börse angedockt war. Der Initiator heißt Wolfgang Korte, ist in der Szene als Wolly bekannt und selbst leidenschaftlicher Sammler und Konzertbesucher. Seit fast 40 Jahren organisiert er in Frankfurt, Mannheim und anderen Städten im Rhein-Neckar-Raum spezielle Events, die bei Kennern einen guten Ruf genießen. Er dealt mit neuen und gebrauchten Ton- und Bildträgern aller Art sowie mit Zubehör und Merchandising. Das komplette Paket.
Im RNZ waren dafür am Sonntag extra zusätzliche 60 Standmeter reserviert. Korte saß zufrieden zwischen den Tapeziertischen mit der klangvollen Meterware. Seine Börsen sind Treffpunkte für Fans von Vinyl- und - in kleinerem Maßstab - auch für Digital-Kultur. Ein Platz für Sammler zum Austauschen, Fachsimpeln und atmosphärischen Genießen.
„Eine Vinylplatte hat eine höhere Dynamik und einen wärmeren Klang als eine CD, weil das Tonsignal nicht in Datenpakete zerhackt ist. Das ganze Musikerlebnis ist lebhafter“, so Andrea (49) aus Lampertheim, die mit ihrer Tochter gekommen ist. Im Visier hat sie in erster Linie Classic Rock, Punk und limitierte Sonderpressungen. Die vier Euro Eintritt hält sie für günstig. Der Nachwuchs bis einschließlich zwölf Jahren hatte freies Geleit. Das Parken im Center war kostenlos. Auch für die vielen Transporter vor dem Eingang.
Ehepaar hegt und pflegt ein Privatarchiv
Einer davon gehört Nelly und Ralph Fleckhaus. Das Paar aus Freiburg löst Bibliotheken auf. Irgendwann waren sie dabei auf Vinylplatten gestoßen. Und haben ihr Spektrum um dieses Medium erweitert. Sie sind immer auf der Suche nach Rock- und Pop-Schallplatten, kommen nach Hause und bewerten den Bestand. Ihr eigenes Archiv umfasst mehr als 10 000 Exemplare, grob geschätzt.
„Eine Vinylplatte ist ein Gesamtkunstwerk“, so Nelly Fleckhaus. Neben ihr thronen die berühmten Cover von „The dark side of the moon“ von Pink Floyd und David Bowies „Diamond dogs“. Bei einer CD würde die künstlerische Qualität vieler Motive aufgrund der kleinen Dimensionen verloren gehen, ergänzt ihr Mann, der sich vor allem für Krautrock und Progressive interessiert. Gerade hat er ein paar Meter weiter ein Exemplar von „Hoodoo man“ (1972) von der deutschen Band Birth Control ergattert. Das darauf enthaltene Stück „Gamma Ray“ gilt als einer der Kultsongs der Kraut-Rock Ära überhaupt.
So manches Cover hat sich ins kollektive Gedächtnis einer ganzen Generation eingeprägt. Dass sich Pop- und Rockmusik und Bildende Kunst gegenseitig befruchten und beeinflussen, kann man am ehesten an Plattencovern erkennen. Beispielhaft genannt seien das Cover für Velvet Underground von Andy Warhol mit der stilisierten gelben Banane auf weißem Grund oder die Gestaltung des englischen Pop-Art-Künstlers Peter Blake für das Beatles-Album „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“, die zu Ikonen des 20. Jahrhunderts geworden sind. Die Platte gehört zu den zehn kostbarsten Vinylplatten der Welt.
Schallplatten verdienen Respekt
„Es hat etwas Sakrales, eine Schallplatte aufzulegen“, fügt der leidenschaftliche Börsianer hinzu. Ein Plattenspieler sei eben kein Vollautomat, der lieblos über Schublade gespeist wird wie ein CD-Player. Man müsse den Scheiben mit einem gewissen Respekt begegnen und sie pfleglich behandeln. Das Aufsetzen der Nadel erfolge mit Vorsicht und Ruhe - ebenso wie die Archivierung der Scheiben. Auf Temperaturschwankungen und hohe Grade reagiert das Material bisweilen überaus gereizt.
Mit der Renaissance der analogen Tonträger sind auch einige Geräteklassiker wieder aus der Versenkung aufgetaucht. Technics hatte den berühmten SL-1200 wieder produziert, und auch der Name der Schweizer Traditionsmarke Thorens kam zurück - nach dem Verkauf der Namensrechte nach dem Exitus 1999 allerdings jetzt in deutscher Produktion.
„Auf so einer Börse habe ich vor fünf Jahren Sticky Fingers mit dem Reißverschluss-Cover entdeckt“, so ein Plattenfreak über das Glück, diese seltene Stones-Scheibe aus dem Jahr 1971 in Händen zu halten. Der Look stammt von Andy Warhol. Ab Mitte der 80er wurde der Zipper nur noch gedruckt. Auch Cover mit Original-Signaturen von Musikern gehören zu den gefragten Raritäten, für die man lange suchen muss. Nicht wenige Sammler bereisen ganz Deutschland, um bei den einschlägigen Terminen dabei zu sein - am besten gleich nach Eröffnung, wenn die Auslegeware noch von der Besuchermasse unangetastet vollständig ist und zum fingerfertigen Durchblättern verführt. Gefeilscht wurde in Viernheim übrigens eher selten. „Normalerweise haben wir Festpreise“, sagt Nelly Fleckhaus.
Nur, wenn einer mehrere Platten mitnimmt, könne man über Mengenrabatte sprechen, lächelt die erfahrene Händlerin aus dem Breisgau. Die meisten Kunden seien freundlich und wüssten um den Wert der schwarzen Scheiben.
Und auch Wolfgang „Wolly“ Korte bilanziert kurz vor 14 Uhr einen erfreulichen Verlauf seiner RNZ-Premiere. Auch, wenn die Börse im Vorfeld kurz mal auf der Kippe gestanden hatte, habe alles gut geklappt. Auch die Besucherzahlen kommentierte er als sehr positiv. Am 9. März wird er seine nächste Börse eröffnen. Dann wieder im Mannheimer Rosengarten. Einen Tag später geht es in die Jahrhunderthalle nach Frankfurt. Ein Reisender in Sachen Klang. Auf einer Tournee, die niemals enden wird.
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