Geschichte

Archäologe auf den frühen Spuren der Stadt Viernheim

Der Archäologe Ruben Neidinger katalogisiert rund 400 Objekte aus dem frühen Mittelalter für das Museum Viernheim. Er hat viel zu erzählen.

Von 
Marion Gottlob
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Der Archäologe Ruben Neidinger zeigt Reste eines Schmuckstücks, das auf Viernheimer Gemarkung gefunden wurde. © Marion Gottlob

Viernheim. Diese Metallteile haben die Form eines Vogels oder eines Pferdekopfs. Als Laie kann man das auf Anhieb nicht entscheiden. Sie sind Zeugnisse dafür, dass auf dem Gebiet von Viernheim schon vor hunderten von Jahren Menschen gelebt haben. Sie gehören zu rund 400 Viernheimer Objekten, die Ruben Neidinger Stück für Stück neu katalogisiert hat. Für den Archäologen Ruben Neidinger ist dies „eine interessante Aufgabe.“

Am Donnerstag, 23. Oktober, will er die Viernheimer an diesem Wissen teilhaben lassen. Der Vortrag über die „Schätze unter unseren Füßen“ findet um 18 Uhr im Museum Viernheim, Berliner Ring 28, statt. Eine Anmeldung unter der Telefonnummer 06204/988 173 oder per E-Mail an museum@viernheim.de ist erforderlich.

Master-Abschluss in Archäologie an der Universität Heidelberg erworben

Ruben Neidinger hat einen Master-Abschluss in Archäologie an der Universität Heidelberg erworben. Sein Schwerpunkt war die Klassische Archäologie, die sich auf Länder rund um das Mittelmeer konzentriert. Infolge der Mitarbeit bei zahlreichen Ausgrabungen und in entsprechenden Museen beschäftigt er sich nun auch mit der Geschichte unserer Region. Er sagt: „Soweit es die Archäologie innerhalb Deutschlands angeht, bin ich Quereinsteiger.“

Grabbeigaben aus der frühmittelalterlichen Merowingerzeit wie diese Kette aus Glasperlen sind im Bestand des Museums Viernheim. © Ruben Neidinger

Die Viernheimer Funde waren zuvor auf Karteikarten inventarisiert. Auf den meisten Karten standen jedoch nur die Bezeichnung des Objekts, der Fundort und ein paar Maße. Nun hat Neidinger jedes Objekt neu in Augenschein genommen, präzise beschrieben und in alten Zeitungen und in der Fachliteratur nach genaueren Angaben gesucht, um jedes Objekt zu datieren und in den richtigen Fundzusammenhang zu bringen.

Viernheimer Funde reichen bis in die Jungsteinzeit zurück

Die digitalisierten Daten erleichtern die Suche nach Informationen. Zu seinen wichtigen Quellen zählten die in einer lokalen Zeitungsbeilage veröffentlichten Aufsätze und Grabungsberichte von Werner Klee. Der Ingenieur war ehrenamtlicher Beauftragter für Bodendenkmalpflege, und er war an vielen archäologischen Entdeckungen in Viernheim beteiligt.

Die Viernheimer Funde reichen bis zur Jungsteinzeit 5.000 Jahre vor Christus zurück. Zu den kleinsten Objekten gehören Fragmente von Bronzeblechen, die einst vielleicht Lederbänder als Grabbeilagen dekoriert oder zusammengehalten haben. Zu den größten Funden zählen bis 50 Zentimeter hohe Urnen aus der Bronzezeit, welche als Gefäße für Brandbestattungen benutzt worden sind.

Erich Hauck (vorne) bei der Dokumentation eines merowingischen Grabes am Kapellenberg in Viernheim im Jahr 1972. © Stadt Viernheim

Rund ein Viertel der Viernheimer Fundstücke stammen aus der Merowingerzeit, die von der Mitte des fünften Jahrhunderts bis circa 700 nach Christus reicht. In Viernheim wurden aus dieser Epoche erste Objekte im Jahr 1856 gefunden. Der größte Teil wurde 1972 entdeckt, als das Areal des Kapellenbergs südlich der OEG-Strecke bebaut wurde. Zunächst fanden sich acht Gräber, 1977 weitere drei.

In der Merowingerzeit wurde die Erdbestattung praktiziert. Folglich wurden in den Gräbern Reste von Skeletten gefunden. Man legte den Verstorbenen Schmuckstücke, Kämme, Kurzschwerter und Tongefäße ins Grab. Der Laie sieht einer nachgedunkelten Kette nicht an, dass die Perlen aus Glas sind und aus dem siebten Jahrhundert stammen. Stattdessen wirkt eine der Ketten richtig modern. Neidinger sagt: „Wer genau hinschaut, sieht die Arbeitsschritte, wie das Glas gewickelt worden ist.“

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Die Viernheimer Funde gehören zu einer Reihe von archäologischen Entdeckungen in unserer Region, sei es unter anderem in Schwetzingen oder auf dem Areal neben der SAP-Arena bei Mannheim, die jeweils sehr umfangreich sind.

Viernheim wurde erstmals 777 nach Christus schriftlich im Lorscher Codex erwähnt. Neidinger sagt: „Die Funde der Merowingerzeit zeugen von den Menschen, die, falls es keine Pause in der Besiedlung des Gebiets gab, die Vorfahren der ersten Viernheimer waren.“ Er fügt hinzu: „Alle Aussagen der Archäologie beziehen sich immer auf den Wissensstand von heute. Denn in der Archäologie leben wir bewusst damit, dass unsere Erkenntnisse jederzeit durch neue Funde ergänzt oder sogar auf den Kopf gestellt werden können.“

Zwei Gefäße, eines aus Ton (Röhrenausgusskanne) und eines aus Glas, wurden auf Viernheimer Gemarkung gefunden. © Ruben Neidinger

Nur ein Teil der Viernheimer Funde werden im Museum gezeigt, der Rest wird im Magazin aufbewahrt. Neidinger hat nun viele Objekte aus alten Plastiktüten befreit und behutsam in säurefreie Kartons verpackt, um die konservatorischen Bedingungen für die Lagerung zu verbessern. Wenige besonders kostbare Objekte wie ein Glasbecher aus der Merowingerzeit oder eine besonders herausragende Bronzetasse werden im Hessischen Landesmuseum in Darmstadt aufbewahrt.

Neidinger hat schon öfter bei Ausgrabungen Schwerter gefunden und den Fundort präzise dokumentiert, bevor Kollegen die Schwerter dann geborgen haben. Bei dem Viernheimer Projekt konnte er das erste Mal historische Kurzschwerter selbst in den behandschuhten Händen halten.

„Da sagt man: Wow!“ meint Neidinger. „Denn man weiß, dass ein anderer Mensch vor Jahrhunderten das Schwert schon in der Hand gehalten hat.“ Dann kehrt er wieder zur strikten Sachlichkeit eines Archäologen zurück, der Fundstücke fotografiert, präzise beschreibt und Bezüge zu anderen Objekten recherchiert.

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