Kommunale Finanzen

Warum Viernheim finanziell am Stock geht

Der Blick auf die Zahlen des Viernheimer Kämmereiamts zeigt, wie dramatisch sich die Lage der Stadt zugespitzt hat

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Martin Schulte
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Für die staatlich verordnete Kinderbetreuung stehen inzwischen über 14 Millionen Euro im Viernheimer Haushalt. © Friso Gentsch/dpa

Viernheim. Wie dramatisch sich die finanzielle Lage der Kommunen inzwischen zugespitzt hat, lässt sich auch daran ablesen, dass sich der Bundespräsident zuletzt öffentlich dazu geäußert hat. Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte auf einer kommunalpolitischen Veranstaltung in Berlin, die Kommunen müssten entlastet werden, indem der Staat ihnen einen Teil der Sonderkredite zur Verfügung stellt. Dass es wirklich ernst ist, zeigt der Blick auf die Zahlen des Kämmereiamts der Stadt Viernheim.

Viernheims Bürgermeister und Finanzdezernent Matthias Baaß (SPD) prangert die chronische Unterfinanzierung der Städte und Gemeinden seit vielen Jahren an, mit zunehmender Vehemenz. Baaß hat die Vereinbarungen der Berliner Koalitionäre bereits studiert. Auf vier Seiten des Papiers (115 bis 118, also eher weit hinten) geht es um die Kommunen. „Es sind schon die richtigen Stichworte dabei. Aber es bleibt im Ungefähren. Deswegen können weder ich noch der Hessische Städte- und Gemeindebund beurteilen, was tatsächlich kommt“, sagte er auch Nachfrage dieser Redaktion. Baaß ist Vizepräsident des Städte- und Gemeindebunds.

Zweifel an Leistungsfähigkeit der Demokratie

Steinmeier hatte gewarnt, wenn Kommunen Spielräume für die Bewahrung eines lebenswerten Wohnumfeldes fehlten, dann richte sich die Enttäuschung der Bürger nicht nur an den örtlichen Mandatsträger, sondern die Enttäuschung wecke immer auch Zweifel an der Leistungsfähigkeit der Demokratie überhaupt, zitierte ihn der Deutschlandfunk aus seiner Rede in Berlin.

Die Stadt zahlt über eine Million Euro für die Feuerwehr. © Bernhard Kreutzer

Viernheims Bürgermeister wurde da zuletzt deutlicher. Er ist überzeugt, es drohe die Notwendigkeit, freiwillige städtische Leistungen, etwa die Musikschule oder Stadtbibliothek, zu streichen, wenn Bund und Länder nicht endlich reagierten. Solche Maßnahmen würden Menschen, die immer mehr Steuern, Gebühren und Abgaben zu zahlen hätten, verärgern. Und nach rechts rücken lassen. Baaß sieht darin das Untergraben einer stabilen Demokratie.

Politiker halten an freiwilligen Leistungen fest

Im Übrigen haben auch die Stadtverordneten eine Streichung freiwilliger Leistungen für die Bürger abgelehnt. Nun steht ein Defizit von 3,2 Millionen Euro im Haushalt 2025.

Nehmen wir allein die staatlich verordnete Kinderbetreuung, Stichwort Rechtsanspruch. Sie stellt den größten Brocken der Verpflichtungen durch den Staat dar, für die dieser nicht annähernd ausreichend aufkommt. Laut Kämmereiamt ist die Stadt Viernheim im Haushaltsjahr 2023 auf knapp zehn Millionen Euro sitzengeblieben. Die Landeszuweisung betrug 2,6 Millionen Euro. Mittlerweile stehen über 14 Millionen Euro für die Kinderbetreuung im aktuellen Haushalt. Ein Grund sind unter anderem die Tariferhöhungen sowie Kosten für Instandhaltungen.

Kommentar Demokratie in Gefahr

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Auch das Bereitstellen einer Feuerwehr ist staatlich verordnete Pflicht. Viernheim hat sie 2023 eine gute Million Euro gekostet. Der Zuschuss betrug 25.500 Euro. Wie war das mit dem Kleinvieh? Viernheim hat 2023 2.505 Personalausweise ausgestellt. Die Kosten pro Antrag belaufen sich auf 47,90 Euro. Für Bürger unter 24 Jahren zahlt die Stadt 25,10 Euro pro Antrag, für solche über 24 Jahre 10,90 Euro. Hier drängt sich die Frage auf, warum eine Kommune für Bundesdokumente zahlen muss.

„Dann fahren wir die Demokratie an die Wand“

Zu den freiwilligen Leistungen. Für das Heimatmuseum hat die Stadt in besagtem Haushaltsjahr 282.000 Euro bezahlt. Dem gegenüber stand ein Zuschuss von knapp 41.000 Euro. Die Musikschule schlug mit 390.000 Euro für Viernheim zu Buche. Zuschuss: 36.260 Euro. Die Volkshochschule kostete die Stadt 246.000 Euro. Zuschuss: 27.000 Euro. Die Stadtbibliothek ließ sich die Stadt knapp 500.000 Euro kosten. Zuschuss: 12.500 Euro. Die städtischen Kosten für das Brundlandtbüro, das sich um den Klimaschutz in der Stadt kümmert, beliefen sich auf 450.000 Euro. Zuschuss: 64.000 Euro.

Natürlich ist diese Aufzählung längst nicht komplett. Aber sie macht die ideellen Einbußen deutlich, zu denen es führte, wenn die Stadtverordneten einmal gezwungen sein sollten, hier den Rotstift anzusetzen.

Bürgermeister Baaß sagte bei der Verabschiedung des Haushalts vor wenigen Tagen, er bedaure aber die Stadtverordneten, die in der finanziellen Situation einen genehmigungsfähigen Haushalt aufstellen sollen. Deshalb richtete er wieder einen Appell an Bund und Länder, die Anliegen der Kommunen nicht als Belanglosigkeit abzutun: „Wenn das so weiter geht, fahren wir unsere Demokratie an die Wand!“

Redaktion Reporter.

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