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Was Samuel Koch in Schriesheim zu sagen hat

Seit seinem Unfall in "Wetten, dass . . .?" 2010 ist Samuel Koch querschnittgelähmt. Wie er seither sein Leben meistert, das schildert er am Freitag in Schriesheim und schon jetzt im Interview

Von 
Konstantin Groß
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Auf Einladung der Dr.-Barbara-Schenk-Zitsch Stiftung kommt Samuel Koch am Freitagabend in den Schriesheimer Zehntkeller. © Georg Hofer

Schriesheim. Herr Koch, haben Sie eine persönliche Beziehung zu Schriesheim?

Samuel Koch: Der Chef der Popakademie, Michael Herberger, mit dem ich befreundet bin, macht mit seiner Frau ab und zu Musik in der Schriesheimer Kirchengemeinde, und dazu hat er mich mal mitgenommen. Da war ich das erste Mal in Schriesheim, und das hat mir sehr gut gefallen. Wann immer ich es einrichten kann, bin ich dort sonntags zu Gast. Außerdem gibt es dort ein Wohnheim für Studenten, von denen ich mit einigen Kontakt habe, da ich ja gerade in Heidelberg einige Seminare in Philosophie und Theologie belegt habe.

Was bedeutet Ihnen ein Auftritt auf der Bühne wie in Schriesheim?

Koch: Ich könnte auch ganz gut ohne Bühne, würde ich behaupten. Wenn ich einen zynischen Unterton unterlegen würde, würde ich sagen: Ich bin auf der Bühne aus Alternativlosigkeit. Viel mehr als reden kann ich nicht, dann rede ich halt. Und effektiv ist das auf einer Bühne. Aber das wäre jetzt auch sehr eindimensional.

Also?

Koch: In Theatervorstellungen, in einer Geschichte, einer Metapher, einer Erzählung, die die Menschen zum Nachdenken anregen will, den Menschen etwas mitzugeben oder sie einfach nur zu unterhalten, sich darin ganz hinzugeben, das lässt mich selbst zeitweise vergessen, was sonst mit mir los ist, und das ist etwas wechselwirkend Bereicherndes. Oft ist der Austausch im Nachhinein, die Begegnung mit den Menschen, was mich noch mehr bereichert.

Eindrucksvoller Aufstieg aus einer schweren Lebenskrise

  • Geboren wurde Samuel Koch 1987 in Neuwied. Seit 2016 ist er mit der Schauspielerin Sarah Elena Koch verheiratet. Die beiden leben in Mannheim.
  • Ab seinem sechsten Lebensjahr war Koch Geräteturner, zuletzt für den Turngau Markgräfler Hochrhein bis hinauf zur Bundesliga. Seine Spezialität war der Salto.
  • Am 4. Dezember 2010 war der damals 23-Jährige Kandidat in der ZDF-Sendung „Wetten, dass..?“ Gegenstand seiner Wette war, auf Sprungfederstelzen nacheinander über Autos unterschiedlicher Größe zu springen, die ihm entgegenfuhren. Beim vierten Wagen, gesteuert von seinem Vater, stürzte er. Moderator Thomas Gottschalk gab infolge des Unfalls die Moderation der Sendung auf.
  • Koch wurde im Schweizer Paraplegiker-Zentrum Nottwil im Kanton Luzern behandelt und ein Jahr später entlassen. Er ist vom Hals abwärts querschnittgelähmt.
  • Zwei Monate vor dem Unfall begann er ein Schauspielstudium in Hannover. 2014 bestand er an der Hochschule die Prüfung. Seit 2011 hat er mehrere Rollen in einzelnen Folgen bekannter Fernsehserien („Sturm der Liebe“, „Großstadtrevier“, „Vienna Blood“), 2018 die Hauptrolle im Kinofilm „Draußen in meinem Kopf“. Seit 2018 ist er festes Ensemblemitglied am Nationaltheater Mannheim.
  • Koch verfasste mehrere Bücher, unter anderem 2012 die Autobiografie „Zwei Leben“. Auch aus ihnen liest er am Freitag auf der Veranstaltung in Schriesheim

Ich frage das, weil es ja auch eine Alternative gegeben hätte: den Rückzug ins Private. Warum lief und läuft es bei Ihnen anders, besser?

Koch: Nett, dass Sie sagen „besser“! Wobei ich das nicht würde bewerten wollen und jeden akzeptiere, der diesen Weg des Rückzugs wählt - ist auch mir kein fernes Gefühl. Ich erinnere mich noch gut an meine Rehabilitationszeit. Ein Intensivpfleger hat gesagt: Samuel, du hast jetzt drei Möglichkeiten: Entweder du bleibst zu Hause, ziehst dich zurück und wählst den Weg des geringsten Widerstands, dann wirst du dich um dich selbst drehen und mit der Zeit depressiv; oder du bist gezwungen, alles zu kommunizieren, weil du nichts mehr selber kannst, und auch alles selbst zu diktieren, dann wirst du zum Tyrannen; oder du gehst raus und probierst, aktiv zu sein. Und so war für mich schnell klar: Ich gehe diesen dritten Weg und entscheide mich dafür rauszugehen, auch wenn das bedeutet, den Wohlfühlbereich zu verlassen, und es viel Kraftanstrengung und viel Mühe bedeutet und auch niemals möglich ist ohne Hilfen und Mühen von Dritten oder Vierten. Doch wenn es eines Tages dazu kommt, dass ich mich zurückziehe und als Straßenbahnfahrer arbeite, dann bin ich auch dafür offen und damit zufrieden.

Es gibt ja 100 000 Querschnittgelähmte in Deutschland. Sehen Sie sich als deren Botschafter, als Vermittler für deren Anliegen?

Koch: Ich sehe, dass Vieles im Schatten liegt und nicht die Sichtbarkeit hat, die es bräuchte. Ein bisschen von dem Scheinwerferlicht, das mein Beruf mit sich bringt, kann ich nutzen, um es dorthin umzulenken, wo sonst weniger Licht ist, sei es auf Institutionen oder auf Menschen und deren Probleme.

Woran denken Sie da konkret?

Koch: Innerhalb des Pflegenotstandes, der inzwischen etwas in das Bewusstsein der Gesellschaft gerückt ist, gibt es einen zweiten Notstand, nämlich den der pflegenden Angehörigen. Das sind die Menschen, die in irgendeiner Form einen Angehörigen pflegen, eben weil sie den Liebsten lieben. Niemals haben sie ein freies Wochenende, eine freie Nacht, niemals Urlaub.

Denken Sie noch an Ihren Unfall?

Koch: Konkret ins Bewusstsein kommt er dann, wenn ich wie jetzt darüber rede. Aber natürlich bestimmen die Auswirkungen meinen Alltag. Aber dass ich in der Vergangenheit verhaftet bin, davon bin ich glücklicherweise weit entfernt.

Haben Sie sich die Unfall-Szene später mal angesehen?

Koch: Ja natürlich. Ich mache seit meinem sechsten Lebensjahr Saltos über Gegenstände. Wenn man wie ich täglich trainiert, 17 Jahre lang, dann kommen einige Hunderttausend Saltos zusammen. Und da habe immer erst im Zenit der Flugkurve die Querachsenrotation des Saltos eingeleitet. Doch das habe ich bei dem einen von diesen Hunderttausenden von Saltos nicht gemacht.

Also Sie wissen, wo der technische Fehler lag?

Koch: Ja, das weiß ich, aber wie es dazu kommen konnte, das weiß ich nicht.

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Ich habe gelesen, Sie hätten gesagt, Sie würden den Sprung wieder machen. Das irritiert mich.

Koch: Ich bin auch nicht immer meiner Meinung (lacht). Im Ernst: Grundsätzlich finde ich aber richtig, keine Lebensvermeidung durch Risikovermeidung zu betreiben. Es ist wichtig, Grenzen auszuloten und auch Grenzen zu überschreiten, sonst würde man sich als Mensch und auch als Gesellschaft nicht weiterentwickeln, wenn man immer nur im Rahmen des Bestehenden und Vorgeschriebenen verbleibt.

Und was bedeutet das in Ihrem persönlichen Fall?

Koch: Ich erinnere mich noch genau: Ich wurde drei Mal angefragt, ob ich diese Aktion machen würde. Ich habe sie drei Mal abgesagt. Zum einen wollte ich ernstzunehmender Schauspieler werden an einer Staatlichen Hochschule und habe abgesagt, weil ich mich nicht in einer voyeuristischen Abendunterhaltungssendung verheizen lassen wollte. Außerdem war ich als Kunstturner mitten in der Bundesliga beschäftigt. Ich habe aber rational abgewogen und unter anderem wirtschaftlich kalkuliert: Okay, super, mit der Gage kann ich mir den Rest meines Studiums finanzieren, kann mein Auto behalten, meine Miete zahlen. Und ich habe diese Aktion immerhin schon Tausende Male gemacht - für mich war das Salto-Schlagen so wie S-Bahn-Fahren, nur sicherer. Zeitweise bin ich mehr auf Saltos unterwegs gewesen als zu Fuß. Da habe ich also kein Risiko drin gesehen. Meine einzige Sorge war vielmehr: Was und wie sage ich’s in die Kamera, wenn ich interviewt werde. Insofern würde ich bei Abwägen des Pro und Contra, ohne Kenntnis dessen, was folgte, wieder so entscheiden - das habe ich mit der von Ihnen angeführten Äußerung gemeint. Aber schon damals hatte ich kein gutes Bauchgefühl. Heute würde ich vielleicht mehr darauf hören.

Hadern Sie mit dem Schicksal oder sagen Sie: Das Positive ist, dass ich überlebt habe und weiter lebe?

Koch: Das ist eine herausfordernde Frage! Ich habe natürlich mit dem Schicksal gehadert. Mein Leben ist anstrengend und beschwerlich und ein ständiger Kampf. Und den gilt es auch nicht zu verweigern, sondern sich bewusst zu sein, dass jedes Leben auf seine Weise Kampf ist. Das Leben ist eines der schwersten, pflegte mein Großvater zu sagen. Wenn ich ihn dereinst im Himmel treffe, werde ich ihm entgegnen: Aber es ist auch eines der schönsten.

Freitag, 20 Uhr (19 Uhr Empfang) im Zehntkeller, Eintritt frei.

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