Es ist ein Edikt des Kaisers Konstantin aus dem Jahre 321, das für den deutschsprachigen Raum erstmals eine Jüdische Gemeinde erwähnt, und zwar jene in Köln. Darauf fußt das noch bis 2022 bundesweit begangene Jubiläumsjahr „1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“. Die Stadt Schriesheim beteiligt sich daran mit einer Ausstellung, die nun im Neuen Rathaus eröffnet wurde.
Damit nutzt Schriesheim die Gelegenheit, sein jüdisches Erbe in der Öffentlichkeit stärker zu verankern. Denn viele Exponate waren bislang im Historischen Rathaus in der Altstadt aufbewahrt, mit wenig Zugang zur Öffentlichkeit. Nun zogen sie ins Neue Rathaus um, ins erste Obergeschoss auf dem Flur zwischen dem Büro des Bürgermeisters und dem Ratssaal, „bewusst an prominenter Stelle“, wie Bürgermeister Hansjörg Höfer betont. Als Dauerausstellung wird sie hier auch bleiben. Ja, „Weiteres wird hinzukommen“, kündigt Stadtarchivar Dirk Hecht an.
Das Mädchen vor der Synagoge
„Das aktuelle bundesweite Jubiläumsjahr spricht in seinem Titel bewusst von Leben“, erläutert Kurator Joachim Maier. Das soll klarmachen, dass die Geschichte der Juden in Deutschland mehr umfasst als die Vernichtung im Holocaust. Wenngleich beides nicht immer völlig voneinander getrennt werden kann.
Ein gutes Beispiel ist das wandhohe Bild neben der Tür zum Bürgermeisterbüro. Es zeigt ein Mädchen, die damals achtjährige Lore Sussmann (später verheiratete Tobias) 1937 vor der Synagoge in der Lutherischen Kirchgasse 8. Schon im Jahr darauf ändert sich die Welt für das Gebäude und das junge Mädchen.
Ihrer Familie gelingt es gerade noch, vor Einsetzen der organisierten Verfolgung und Vernichtung in die USA zu fliehen und so zu überleben. Die Synagoge wiederum wird in der Pogromnacht vom 9. November 1938 geplündert, ihre Einrichtung zerstört und verbrannt. Einige Blätter aus den Gebetsbüchern rettet, wie Maier formuliert, „keiner der nach 1945 selbst ernannten ‘Gegner des Nationalsozialismus‘“, sondern der Schüler Wilhelm Metzger.
Auf seinem Weg sieht der damals 17-Jährige nämlich einen Aschehaufen, aus dem er einige wenige Blätter bergen kann. Die von den Spuren des Feuers gezeichneten Originale bilden denn auch die eindrücklichsten Exponate dieser Ausstellung. Wie durch ein Wunder, ist jene Seite erhalten, die das Grundgebet des Judentums enthält: „Höre Israel!“
Andere Exponate zeugen vom Alltag der Menschen: das Israelitische Kochbuch der Familie Eppsteiner, mit dessen Hilfe die Speisen für die häusliche Feier von Pessah, ein Höhepunkt im Jüdischen Kalender, rituell vorschriftsmäßig zubereitet wurden. Gebetsschal und Gebetsriemen von Herbert Marx, der ebenfalls noch in die USA fliehen konnte, stehen für das einst intensive religiöse jüdische Leben in Schriesheim.
Vielfältige Kontakte
Zur jetzigen Eröffnung kamen historisch interessierte Schriesheimer wie die langjährige Stadtarchivarin Ursula Abele, in deren Amtszeit erste Exponate wie ein Teil eines alten Grabsteins gesichert werden konnten, oder Altstadtrat Frieder Menges, der die Geschichte „seiner“ Schriesheimer SPD erforscht hat.
Maier dankte vor allem Bürgermeister Hansjörg Höfer für seinen Entschluss, die Ausstellung an dieser repräsentativen Stelle zu platzieren: „Ihre Entscheidung steht in der Kontinuität Ihres Engagements für die Jüdische Geschichte in Schriesheim, das uns seit langem verbindet und ja bereits vor Ihrer Amtsübernahme begann“; Höfer hatte bereits als Stadtrat den ersten gemeinsamen Besuch ehemaliger jüdischer Bürger in Schriesheim 2003 initiiert, darunter die bereits genannte Lore Tobias.
Daraus entstanden Kontakte, die bis zum Tod der ehemaligen Schriesheimer währten; als Bürgermeister besuchte Höfer 2007 Herbert Marx in New York: „Das sind Begegnungen, die mir ewig in Erinnerung bleiben werden“, bekannte er in seiner Rede.
Höfers Dank galt vor allem Professor Maier, der seit vielen Jahren die Geschichte der Juden und anderer NS-Verfolgter in Schriesheim erforscht und aufarbeitet, vor allem in seinem 720-Seiten starken Buch zu diesem Thema: „Ohne Ihr beständiges Engagement wäre die Geschichte der Schriesheimer Juden nicht so bewahrt worden“, betonte Höfer: „Dafür sage ich Ihnen, auch im Namen des Gemeinderates, Dank.“
Allerdings bedinge das Eintreten gegen alten und neuen Ungeist leider auch einen „ständigen Kampf“, wie Höfer wohl unter Anspielung auf manch aktuelle politische Diskussion in Schriesheim formulierte.
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