Schriesheim. „Corona ist derzeit unser allumfassendes Thema“, sagt Günther Förster. Der Leiter des Schriesheimer Talhofs spricht mit dieser Redaktion über das Leben in der Sozialen Heimstätte. Vieles hat sich hier verändert, seit die Beschränkungen im Gefolge des Virus auch im dortigen Alltag tiefgreifende Veränderungen bewirkt haben.
Täglich ist Förster konfrontiert mit neuen Hinweisen und Vorschriften der Behörden. „Wir halten uns an die Richtlinien des Robert-Koch-Instituts“, sagt er. Täglich flattern ihm auch Angebote ins Haus für Mundschutz, Desinfektionsmittel oder Toilettenpapier – private Händler wollen damit dieser Tage eine Menge Geld verdienen, bemerkt er kopfschüttelnd: „Die Preise erschlagen einen.“
Kaufen will er nichts davon: „Das ist nicht in unserer Kalkulation drin, und auch nicht in den Pflegesätzen.“ Kürzlich hat er beim Gesundheitsamt förmlich den Bedarf der Einrichtung an Schutzausrüstungen angemeldet, an Einmalhandschuhen, Masken und anderem. Außer einer automatischen Eingangsbestätigung kam bislang aber noch nichts.
Dass trotzdem alle hier einen Mundschutz tragen, ist der Hauswirtschafterin zu verdanken, die die Masken für alle näht. Derzeit arbeite sie an der zweiten Serie, damit jeder ein Modell zum Wechseln habe, erklärt der Einrichtungsleiter; er empfehle jedem, sie zu tragen: „Aber verordnen kann ich das nicht.“
Kritische Infrastruktur
Immerhin: Weder im Talhof noch im benachbarten Alten- und Pflegeheim Stammberg gibt es Fälle von Infektionen. Weil die Pflegeheime dieser Tage nach Möglichkeit abgeschottet werden sollen, wird aber auch die Zusammenarbeit schwierig, doch sind beide Einrichtungen darauf angewiesen, dass sie reibungslos klappt. In der Talhof-Reinigung wird nämlich die Wäsche des Altenheims gewaschen, während das warme Essen im Speisesaal des „Gelben Hauses“ aus der Stammberg-Küche kommt. Der Austausch verlaufe mittlerweile „kontaktlos“, und auch das stellt Förster vor Herausforderungen.
„Wir haben Warmhalteplatten für den Speisesaal angeschafft“, erklärt er. Nicht zuletzt deshalb, weil die Bewohner „zeitversetzt“ essen sollen, um möglichst wenig Kontakt unter einander zu haben. Auch dafür wurden Vorkehrungen getroffen: Gewartet wird an weit auseinander liegenden Haltelinien. Durch sein Bürofenster sieht er, dass das funktioniert: „Die Bewohner halten sich daran.“ 50 Menschen leben aktuell hier, manche mit psychischen oder Suchtkrankheiten, viele nach Jahren des Lebens auf der Straße. Die Wohnungslosenhilfe sei nach einem Erlass des Innenministeriums Teil der „kritischen Infrastruktur“, sagt Förster: „Klar, die Menschen hier müssen ja versorgt werden.“
Nicht nur mit Unterkunft und regelmäßigen Mahlzeiten, sondern auch mit psychologischer Unterstützung, mit Anteilnahme oder Zuspruch. Da leiste der Sozialdienst viel: „Es geht darum, die Leute aufzubauen, mit ihnen zu sprechen, dass sie durchhalten, ihnen eine Tagesgestaltung anzubieten, eine Alltags-Struktur.“
Nicht zuletzt deshalb sind die Werkstätten, wenn auch in geringerem Umfang als sonst, geöffnet: In der Schreinerei und der Schlosserei wird nach wie vor gearbeitet, ebenso in der Gärtnerei. Auf dem Feld und in den Gewächshäusern keimen Gemüse und Blumen, doch schon jetzt steht fest, dass das traditionelle Frühlingsfest ausfallen muss; noch unklar ist derweil, inwieweit die Marktstände in Pandemie-Zeiten weitergeführt werden. Seit Jahren gibt es da eine Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Schriesheimer Senioren; derzeit, so Förster, würden mit dem Verein Gespräche laufen.
„Wir sind angespannt“
Er empfindet die aktuelle Situation als „Damoklesschwert“: Werden alle gesund bleiben? Wird jemand aus den Reihen des Personals oder der Bewohner zuerst erkranken? Wie geht es dann weiter?
„Wir sind angespannt, können nicht zu hundert Prozent planen.“ Zumal in der Heimstätte ohnehin schon Kranke leben: Ein Patient bekommt Sauerstoff und hat nun Angst vor einer Ansteckung. Und dann ist da noch die Frau, die nach einem Schlüsselbeinbruch eigentlich hätte operiert werden sollen: „Die OP wurde abgesagt, ein Orthopäde hat den Bruch mit einer Schiene versorgt.“
Die Einschränkungen schlagen den Menschen auf die Stimmung, weiß Förster; ganz von einander trennen könne man sie nicht, sie stehen nach wie vor zum Rauchen beisammen, gehen paarweise in die Stadt. Und: Alle warten jetzt auf eine Lockerung der strikten Regelungen.
Heim für wohnungslose Menschen
Der Talhof ist eine Einrichtung der Wiedereingliederungshilfe, die zur Evangelischen Stadtmission gehört. Hier leben wohnungslose Menschen, das Ziel ist, sie wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern.
Am 1. Dezember 1983 nahm er seine Arbeit auf, damals unter Leitung von Werner Klann. Ihm folgte Heidi Morath, seit 2011 führt Günther Förster die Amtsgeschäfte.
Anfangs lebte hier nur eine Hand voll Menschen; bis 2004 waren es ausschließlich Männer, dann kam eine Frauen-Wohngemeinschaft hinzu.
Heute gibt es auf dem Gelände Gärtnerei, Schlosserei, Schreinerei und Wäscherei. Die Gärtnerei verkauft ihre Erzeugnisse in einem Hofladen und, mit Unterstützung des Arbeitskreises Schriesheimer Senioren, auch auf dem Wochenmarkt.
Unterstützt wird die Einrichtung auch durch Spenden, unter anderem von Serviceclubs.
Jedes Jahr finden im Gelben Haus die Aufführungen der Theatergruppe Die Rebläuse statt.
Frühlingsfest und Adventsmarkt gehören zu regelmäßigen Veranstaltungen. stk
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