Ein solcher Rathaussturm gedenkt auch altgedienten Pilwe-Mitgliedern bestimmt nicht. Vollkommen widerstandslos übernehmen die Fasnachter das Kommando im Stadtteil. Das hat seinen Grund darin, dass „Bürgermeister“ Silas Walz den richtigen Schlüssel für das Rathaus vergessen hatte. Er musste diesen erst zu Hause holen. In der Zwischenzeit entern die Narren das Rathaus dank der unbürokratischen Hilfe von Wolfgang Reinhard, des Vorsitzenden des Vereins Geschichte Alt Neckarau. Als der Bezirksbürgerdienstserviceleiter schließlich eintrifft, bleibt ihm nur noch die Erkenntnis, dass die Kasse samt Schlüssel bereits in fremde Hände übergegangen ist.
Kulissenminister Matthias Dürr bemächtigt sich der Insignien und trägt diese unter der Begleitung der Pilwe in den gegenüber liegenden Saal der Jakobusgemeinde. Unter großem „Hallo“ hissen die Fasnachter ihre Fahne. Diese weht nun vom Balkon des Rathauses als Zeichen der Machtübernahme in der „fünften Jahreszeit“. Sie bleibt dort bis Aschermittwoch hängen.
Seit Jahren feiern die Pilwe mit der Interessengemeinschaft (IG) Neckarauer Vereine den Rathaussturm mit einem Neujahrsempfang. Pilwe-Präsident Rolf Braun macht Politikerinnen und Politiker - darunter Bundestagsabgeordnete Melis Sekmen (CDU), Staatssekretärin Elke Zimmer (Grüne) sowie die Stadträte Nina Wellenreuther (Grüne) und Wolfgang Taubert (MfM) - und einige Bezirksbeiräte und Vereinsvertreter zu „ordentlichen“ Menschen, indem er ihnen den Jahresorden umhängt. Das Grußwort hält Bürgermeister Thorsten Riehle (SPD).
Der freut sich über das Miteinander der Vereine im Stadtteil. Das trage zum Funktionieren eines starken Stadtteils bei. Riehle meint launig, der Geschichtsverein habe sich den Schlüssel wohl „ergaunert“, was einmal überprüft werden müsse. Der Kulturbürgermeister wünscht allen zum neuen Jahr vor allem Frieden. Das bedeute zum Beispiel, sich nicht in U-Bahnschächten oder Kellern zu verstecken, wie dies in der Ukraine oder im Nahen Osten nötig sei. Aber er erinnert auch, dass sich in Mannheim einiges verändert habe, seit der Polizist Rouven Laur im vergangenen Jahr ermordet wurde.
Mannheim sei eine Stadt, in der seit vielen Jahrhunderten Vielfalt gelebt werde. Diese Vielfalt müsse allerdings neu interpretiert werden, so der Bürgermeister. Schon seit Kurfürst Carl Theodor, dessen 300. Geburtstag im vergangenen Jahr gefeiert wurde, werde in der Quadratestadt ein Miteinander der Kulturen gepflegt. Dieses Miteinander müsse immer wieder neu justiert werden. Nur so bereichere es das Leben in der Stadt.
In Neckarau sei über die Bebauung der ehemaligen Jägerlust und des Wichern-Areals unterschiedlich diskutiert worden. Das sei gut so, wenn man sich am Ende auf einen vernünftigen Kompromiss einige. Als positiv stellt Riehle fest, dass gerade in dem dicht besiedelten Neckarau die Baumbestände erhalten bleiben. Diese seien wichtig für das innerstädtische Klima. Außerdem ruft Riehle angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl die Bürger auf: „Gehen Sie wählen!“ Dadurch werde die Demokratie gestärkt, sagt er unter dem Beifall der Zuhörerinnen und Zuhörer.
In den sich anschließenden Gesprächen zeigt sich, dass man sich im Stadtteil kennt und sich etwas zu sagen hat. Und sich gegenseitig alles Gute fürs neue Jahr wünscht.
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