Mannheim. Für Arbeiten im Freien gibt es schönere Tage. Das Licht der Sonne hat sich im morgendlichen Nebel verloren, und es ist kalt. Fürs Pflanzen sind das jedoch gute Bedingungen, und so hat sich ein Trupp an Gärtnerinnen und Gärtnern an der Fröhlichstraße in der Neckarstadt-West eingefunden, um 800 Setzlinge in den Boden zu bringen. Hier hinter dem Marchivum, dem Mannheimer Stadtarchiv, entsteht ein Tiny Forest, eine Mini-Waldoase. Es ist der zweite in der Stadt, der erste Tiny Forest wächst seit dem Frühjahr auf dem Lindenhof.
Initiator des Neckarstädter Projekts ist Andreas Lindemann. Er hat sich am frühen Freitagmorgen aufs Fahrrad geschwungen, um beim sprichwörtlichen Spatenstich dabei zu sein. „Ich bin gespannt, wie sich das Ganze entwickelt und, ob das Konzept sein Versprechen hält“, sagt Lindemann, der mit einer Gruppe Freiwilliger die künftige Pflege des Areals übernehmen wird.
Das Konzept sieht vor, dass Bäume und Sträucher so dicht gesetzt werden, dass sie sich im Konkurrenzkampf ums Licht selbst gegenseitig in die Höhe ziehen. Auf diese Weise entstehen auf innerstädtischen Flächen mit ansonsten geringem ökologischen Wert Ökosysteme, die für verbesserte Luft sorgen und Vögeln und Insekten ein Zuhause bieten.
Tiny Forest in Mannheim: 20 000 Euro aus dem Beteiligungshaushalt
Die Idee stammt vom inzwischen verstorbenen japanischen Botaniker Akira Miyawaki, der sich in den 1970er Jahren für den Schutz von Waldökosystemen eingesetzt hatte. Seitdem sind überall auf der Welt solche Mikrowälder entstanden, darunter mehrere in Deutschland. Die Flächen sind mit 200 bis 1000 Quadratmetern relativ klein. Das gilt auch für das Stück Land hinter dem Marchivum: ein Dreieck zwischen zwei Straßen, zur Sicherheit mit einem Holzzaun umgeben, denn bis erkennbar ist, dass hier keine Freifläche für Fußgänger und Hunde ist, sondern ein Wäldchen wächst, wird es etwas dauern.
Lindemann wohnt selbst in der Neckarstadt und ist Mitglied in einer Regionalgruppe des Vereins Naturgarten. „Viel Grün gibt es hier nicht“, sagt Lindemann. Deshalb hatte er die Idee eines Tiny Forests für die Neckarstadt-West in den Beteiligungshaushalt 2022 eingebracht. Beim Beteiligungshaushalt können Bürgerinnen und Bürger Vorschläge einreichen, über die dann - ebenfalls die Bürger - abstimmen. Die bestplatzierten Ideen werden umgesetzt, heißt: Die Verwaltung unterstützt, und es gibt Geld. Insgesamt standen 500 000 Euro zur Verfügung, für den Tiny Forest, der es unter die ersten zehn Vorschläge gebracht hatte, gab es 20 000 Euro.
Den Boden aufzubereiten, hat das meiste Geld gekostet, die kleinen Bäumchen, darunter heimische Arten wie Trauben- und Silbereiche, stammen von einer Darmstädter Baumschule sowie der Grünen Schule im Luisenpark, wo Kinder Saatgut sammeln und daraus Pflänzchen züchten.
Neben ökologischen Effekten soll ein Tiny Forest auch Möglichkeiten zur Partizipation schaffen: Die Nachbarschaft pflanzt gemeinsam und lernt dabei, wie solche Ökosysteme funktionieren. In diesem Sinne ist auch Mannheims erster Tiny Forest auf dem Lindenhof entstanden, den die BIG, die Bürger-Interessen-Gemeinschaft Lindenhof, gemeinsam mit Bürgern und Unternehmen in diesem Frühjahr realisiert hat. Das Projekt ist weit gediehen, wie Uwe Buckenauer von der BIG berichtet: „Bedingt durch eine gute Niederschlagsverteilung, die zusätzliche Beregnung und günstige Temperaturen hat der Wald schon jetzt ein Wachstumsstadium erreicht, mit dem ich erst für Ende nächsten Jahres gerechnet hatte.“ 20 Helferinnen und Helfer hätten ihr Übriges dazu beigetragen, dass die kleinen Setzlinge inzwischen unübersehbar neben dem Kleinfeldsteg in die Höhe schießen.
In Mannheim soll womöglich ein dritter Tiny Forest wachsen
Doch alle guten Dinge sind drei, und so wird es im nächsten Jahr womöglich den dritten Tiny Forest in der Stadt geben. Initiator ist hier das Mannheimer Nationaltheater. Hintergrund ist eine strittige Reise der Oper des NTM für ein zweiwöchiges Gastspiel 2022 nach Südkorea. Mehr als 200 Personen, neben den Musikern allein 30 Techniker, waren damals mit dabei. Über die Notwendigkeit der Reise wurde ebenso diskutiert wie über die ökologischen Auswirkungen; am Ende sollten zumindest die CO2-Emissionen für die Flüge ausgeglichen werden. „Das, was an Kohlendioxid ausgestoßen wird, haben wir berechnet und pro Tonne CO2 Umweltkosten von 23 Euro in den Projektetat aufgenommen“, erzählt Detlef Grooß, selbst Musiker im Orchester und seit vier Jahren für das Thema Nachhaltigkeit am Nationaltheater zuständig. Insgesamt sei so immerhin eine Kompensationssumme von 20 000 Euro zustande gekommen - und das Geld soll nun genutzt werden, um eine Mini-Waldoase zu schaffen. Die Stadt, so Grooß, wolle eine Fläche zur Verfügung stellen, gepflanzt werde im nächsten Jahr.
Messstationen zur Erfolgskontrolle
Ob ein Mikrowald tatsächlich für gute Luft sorgt, werden im Übrigen Messstationen feststellen. Sie wurden sowohl auf dem Lindenhof als auch in der Neckarstadt-West mitten ins bald entstehende Dickicht gestellt, um Temperatur, Niederschläge, Stickoxide, Feinstaub und andere Einflüsse zu erfassen.
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