Mannheim. Die Diagnose hat Elai an seinem zweiten Geburtstag bekommen. Im Krankenhaus in Lwiw, wohin die Familie nach der russischen Invasion aus Charkiw in der Ostukraine geflüchtet war. Es handelt sich um eine akute myeloische Leukämie. Das ist eine sehr seltene, besonders bösartige Blutkrebsform. Kranke Zellen verdrängen dabei die gesunden und besetzen das Knochenmark. Dies erklärte die Schmerzen, die Elai hatte. Nicht mal mehr auf den Arm wollte er sich zuletzt nehmen lassen.
„Hätte man die Krankheit nicht entdeckt, wäre er zwei Tage später gestorben“, sagt Matthias Dürken, Leitender Oberarzt im Mannheimer Universitätsklinikum. Hier wird der Junge mittlerweile behandelt. Nach Kriegsbeginn initiierten Olena Selenska und Brigitte Macron (die Ehefrauen des ukrainischen und des französischen Präsidenten) ein Hilfsprogramm, um krebskranke Kinder außer Landes zu bringen. Begleitet wurde Elai von der Mutter, der Oma und seinem fünf Monate alten Bruder. Der Vater - mit drei Kindern dürfen auch Wehrfähige ausreisen - und die acht Jahre alte Schwester kamen separat hinterher.
Dass Elai hier im Klinikum gelandet ist, hat Tante Olga (die wie alle in der Familie nur mit Vornamen genannt werden möchte) erwirkt. Sie lebt seit 20 Jahren in Deutschland und seit fünf Jahren in Mannheim. Sie bemühte sich um einen Platz für ihren Neffen in der Universitätsmedizin. Auf Elai wurde Dürken auch auf anderem Wege aufmerksam gemacht, die Fachgesellschaft für Kinderonkologie kümmert sich um die Verteilung krebskranker Jungen und Mädchen aus der Ukraine auf deutsche Krankenhäuser. Im Klinikum ist noch ein 14-Jähriger mit einem Hirntumor aufgenommen worden.
Nur im Schutzanzug
Bei Elai kam hinzu, dass er sich auf der Flucht durch Bakterien zwei offene Entzündungen an Hand und Fuß zugezogen hatte. Und, wie seine ganze Familie, Corona. Im Unterschied zu den anderen ist er auch nach drei Wochen immer noch infiziert. Das Immunsystem des Jungen sei zu schwach, um das Virus zu überwinden, sagt Dürken.
Um in Elais Zimmer zu gehen, muss man also Schutzkleidung tragen. Nur seine Mutter Olena macht das nicht. Sie ist als frisch Genesene kaum gefährdet und aktuell 24 Stunden täglich bei ihm. Beim Besuch des „Mannheimer Morgen“ nimmt sie ihn auf den Arm, der Zweijährige ist gerade aufgewacht. Er beginnt leise zu jammern und zu weinen.
„Manchmal ist er böse auf die Mama, dass sie dabei mitmacht, wenn ihm so wehgetan wird“, berichtet Dürken. Der Junge leide unter den Nachwirkungen der ersten Chemotherapie, müsse intravenös ernährt werden, bekomme ein Breitbandantibiotikum sowie Morphium gegen die Schmerzen. Hoffentlich könne man ihm bald einen zentralen Katheter legen, statt immer wieder einen neu in den Hals zu stechen.
Es drängt sich längst eine Frage auf, die man mit Rücksicht auf die Tante - sie sitzt mit im Besprechungszimmer, die Eltern bleiben bei Elai - aber nicht laut stellen will. Andererseits wirkt Olga, sofern sich das nach dem ersten Eindruck überhaupt sagen lässt, nicht wie eine Frau, die sich etwas vormacht. Also: Wie stehen die Chancen des Kleinen? „Er kriegt die Therapie, die er braucht, um gesund zu werden“, antwortet Dürken. Als der Leitende Oberarzt merkt, dass man sich das ein bisschen präziser erhofft hat, fügt er hinzu, Elai habe „gute Heilungschancen“. Allerdings müsse das Kind fünf bis sechs Monate im Krankenhaus bleiben, nach fünf Chemotherapien in Mannheim noch in eine Spezialklinik für Knochenmarktransplantationen in Frankfurt gebracht werden.
Mutter stillt Bruder noch
Geplant ist, dass der Vater künftig häufiger statt der Mutter bei Elai übernachtet, damit sich Olena mal kurz erholen kann. Zumal sie das fünf Monate alte Baby stillt. Dafür muss sie im Klinikum Milch abpumpen, die ihr Mann Anatolii abholt.
Die Familie, inklusive der Oma, wurde von der Tante bei sich aufgenommen. Sie arbeite als Betriebswirtin in einem großen Unternehmen, sagt Olga. Ihre Wohnung sei indes nicht sonderlich groß. „Jetzt ist es darin sehr gemütlich“, meint sie lachend. Dann versichert sie aber gleich: „Ich bin so froh, dass die jetzt alle hier sind.“ Eine Psychologin auf der Kinderkrebs-Station könne ihren Verwandten vielleicht eine Bleibe vermitteln. Auch eine Arbeit für Olgas Bruder Anatolii, einen Programmierer, werde gesucht.
Bei allem Unglück hat Elai somit in zweierlei Hinsicht auch Glück: Er bekommt hier im Mannheimer Klinikum die nötige professionelle Hilfe. Und er hat eine starke Familie, die für ihn tut, was sie nur kann.
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