Neue Dunkelfeldstudie zu Missbrauch - Zahlen für Mannheim / Forscher: Neue Methodik könnte deutschlandweit „Dunkelfeld des Missbrauchs besser erforschen“

ZI: Nahezu jedes fünfte Kind in Mannheim von sexualisierter Gewalt betroffen

Von 
Lea Seethaler
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Die Dunkelziffer bei Fällen von Kindesmissbrauch ist hoch. © obs

Mannheim. „Nahezu jedes fünfte Kind beziehungsweise jeder fünfte Jugendliche in Mannheim ist von sexualisierter Gewalt betroffen“ – das teilte das Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) am Donnerstag in einer Pressemitteilung mit.

Die Zahl geht aus der Pilotstudie „Prävalenz, situativer Kontext und Folgen sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“ hervor, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des ZI und des Instituts für Kriminologie der Universität Heidelberg mit Unterstützung der Weisser Ring Stiftung und der Werner Schröder Stiftung durchgeführt haben. Beide Stiftungen gehören zur Opferhilfe. Die Ergebnisse zeigten, „dass auch eine deutschlandweite, repräsentative Untersuchung zum Ausmaß von sexualisierter Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen mit der in der Pilotstudie gewählten Methodik erfolgreich und zeitnah umgesetzt werden könnte“, heißt es in der Mitteilung.

„Sexualisierte Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen ist weit verbreitet und stellt in der Gesellschaft ein großes Tabu dar“, so das ZI. Dabei seien die Folgen für die Betroffenen oft schwerwiegend und langwierig. Doch das genaue Ausmaß sexualisierter Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen, „die unterschiedlichen Tatkontexte und die jeweiligen Auswirkungen sind bislang unklar beziehungsweise unzureichend erforscht“. Denn Erhebungen gestalteten sich meist schwierig. Doch um Prävention wirksam zu gestalten und Menschen stärker für das Thema sexualisierte Gewalt sensibilisieren zu können, seien belastbare wissenschaftliche Daten unerlässlich.

In der Mannheimer Pilotstudie wurden 1000 Bürger befragt. 28,6 Prozent der Frauen und 6,7 Prozent der Männer gaben an, mindestens einmal in ihrer Kindheit oder Jugend Opfer eines sexuellen Übergriffs geworden zu sein. Nahezu jedes fünfte Kind beziehungsweise jeder fünfte Jugendliche war in der Stichprobe von sexualisierter Gewalt betroffen. Die Befragung ergab zudem, dass die psychische Befindlichkeit in der Gruppe der Betroffenen signifikant schlechter ist als beim Rest der Befragten.

Belastbarere Fragen

Die Rücklaufquote der Fragebögen habe 17,3 Prozent betragen. Sie „lag damit auf einem vergleichbaren Niveau früherer Studien, die mit vergleichbarer Methodik durchgeführt wurden, jedoch deutlich weniger belastbare Fragestellungen aufwiesen.“ Studienleiter Harald Dreßing, Leiter Forensische Psychiatrie am ZI, spezifizierte noch einmal, dass mithilfe der durch die erhaltenen belastbaren Erkenntnis im Dunkelfeld deutlich werde, „ dass eine dringend benötigte, deutschlandweite und repräsentative Studie mit dieser Methodik zeitnah realisiert werden kann." Dies gelänge aber nur, "wenn die Politik die notwendigen Mittel hierfür zur Verfügung stellen würde." Nur so könnten künftig Prävention und Hilfsangebote sinnvoll weiterentwickelt und eine „zielgenauere Verwendung von Mitteln ermöglicht werden“.

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Der Weisse Ring betont hinsichtlich des Lebens nach einem Missbrauch: „Der Weg zurück in ein normales Leben ist dann äußerst mühsam – und manchmal auch gar nicht mehr möglich.“ Daher komme es auf jede Minute an, um Kindern schnell professionelle Hilfe zukommen zu lassen.

In Deutschland wurden 2020 rund 14 500 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch angezeigt. Das gibt die Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Kerstin Claus, auf ihrer Homepage an. „Das Dunkelfeld ist aber um ein Vielfaches größer. Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass bis zu eine Million Kinder und Jugendliche in Deutschland bereits sexuelle Gewalt durch Erwachsene erfahren mussten oder erfahren. Das sind rund ein bis zwei Kinder in jeder Schulklasse“, so Claus.

Anrufen - auch im Zweifelsfall

Weiter gibt die Beauftragte an, dass aus zwei repräsentativen Studien aus den vergangenen Jahren hervorgehe, „dass etwa jeder siebte bis achte Erwachsene in Deutschland in seiner Kindheit und Jugend sexuelle Gewalterfahrungen machen musste“. Diese Zahl sei „allerdings nur bedingt auf heutige Kinder und Jugendliche übertragbar: Zum einen, weil in den Studien kaum Minderjährige befragt wurden. Zum anderen war sexuelle Gewalt mittels digitaler Medien kein Gegenstand älterer Studien.“ Die Kriminalstatistik der Mannheimer Polizei hatte 2021 ebenso einen Zuwachs bei den Zahlen „Sexueller Kindesmissbrauch“ erfasst.

Auf dem Hilfe-Portal Sexueller Missbrauch, das der Beauftragten Claus untersteht, heißt es deutlich: "Anrufen - auch im Zweifelsfall."

Hilfe bei Missbrauch unter www.hilfe-portal-missbrauch.de/hilfe-telefon, Telefonnummer: 0800/2255530, Telefonzeiten: Mo., Mi., Fr.: 9.00 bis 14.00 Uhr. Di, Do: 15.00 bis 20.00 Uhr.

Redaktion Redakteurin und Online-Koordinatorin der Mannheimer Lokalredaktion

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