Medienerziehung

Was Eltern tun können, wenn Kinder im Internet Nackt- oder Gewaltvideos teilen

Mama, darf ich ein Handy? Papa, darf ich auf Instagram? Diese Fragen stellen Kinder immer früher.Das Totschlagargument: Die anderen dürfen doch auch. Die Nutzung der neuen Medien birgt jedoch Gefahren.

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Stefanie Ball
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Jugendliche zeigen im Netz oftmals auch viel nackte Haut. © Getty Images/iStockphoto

Mannheim. Mama, darf ich ein Handy? Papa, darf ich auf Instagram? Diese Fragen stellen Kinder immer früher. Das Totschlagargument: Die anderen dürfen doch auch. Die Nutzung der neuen Medien birgt jedoch Gefahren.

Seit Jahren steigt die Zahl der Sexualdelikte an. Laut Kriminalitätsstatistik des Polizeipräsidiums Mannheim waren es im vergangenen Jahr 411 Fälle, 16 Prozent mehr als im Vorjahr. Das Phänomen lässt sich im ganzen Land beobachten, und einer der Gründe für den Anstieg sind Kinder und Jugendliche, die kinderpornografische Schriften über das Internet oder Messenger-Dienste verbreiten. Das tun sie oft gedankenlos, denn sie wissen gar nicht, dass sie damit eine Straftat begehen.

Jürgen Held von der Fachstelle für Medienbildung der Stadt Mannheim, Linh Thai, Leiter des Stadtmedienzentrums Mannheim, sowie Saskia Nakari vom Stadtmedienzentrum Stuttgart kennen das Problem und treffen bei ihren Veranstaltungen oft auf überforderte Kinder und überraschte Eltern.

Jedes Kind mit Smartphone

Die Verfügbarkeit von Smartphones schon in den zweiten, dritten Klassen ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. „Spätestens in der fünften Klasse hat dann jeder ein Handy“, sagt Held. Viele verfügten über günstige Datenflatrates, und nahezu überall gibt es ein offenes Wlan, das die Kinder außerhalb ihres Zuhauses zum Surfen nutzen können.

Vorbild Influencerin

Die Hypersexualisierung von Kindern, vor allem Mädchen, in den Medien hat sich verstärkt. „Auf Insta-gram verdienen junge Frauen ihr Geld dadurch, dass sie gut aussehen“, sagt Nakari. Junge Konsumentinnen ahmen diese so genannten Influencerinnen nach. Jedes Foto, das sie von sich auf Instagram posten, wird „aufgehübscht“. Außerdem gelte das Prinzip: Je mehr nackte Haut gezeigt wird, desto besser. So kommen Bilder von Kindern und Jugendlichen in Umlauf, die zumindest mal problematisch sind.

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Schweigen aus Scham

Kinder, die Gewaltvideos oder Pornobilder erhalten, teilen das nur selten ihren Eltern oder Lehrern mit. Sie löschen diese einfach oder leiten sie weiter. Weil sie ihre Kumpels nicht verpfeifen und kein Spielverderber sein wollen. Weil die Bilder sie belasten und sie bewusst mit jemandem teilen wollen. Weil das Anschauen selbst zur Challenge wird, zur Herausforderung: Wer schafft es, einen Clip, der extreme Gewalt zeigt, am längsten anzusehen? Erst in der direkten Konfrontation mit dem Gesehenen, dass dort ein Mensch erniedrigt, gequält oder verletzt wird, wird den Kindern die Tragweite bewusst. „Die sind dann oft ganz erschrocken und sagen: ,Aber das war so unreal‘“, so Held.

Ein anderes Problem ist die schiere Menge an Clips, Videos und Nachrichten. Oft gehen bei Kindern und Jugendlichen täglich hunderte Nachrichten ein, die werden kurz angeschaut, wenn überhaupt, und dann mit einem Klick weitergeleitet. „So kann es passieren, dass ein Sticker verschickt wird, wo im Hintergrund ein nacktes Kind zu sehen ist. Das geht einfach unter“, weiß Nakari. Sensibilisierung sei deshalb einer der wichtigsten Aufgaben in der Präventionsarbeit. Auch über rechtliche Aspekte wie Urheberrecht und Persönlichkeitsrechte müssten Kinder und Jugendliche aufgeklärt werden. „Eigentlich sind das Fachfragen für Erwachsene, aber mit den neuen Medien müssen das auch Kinder wissen“, sagt Thai.

Unsichere Eltern

„Viele Eltern haben kaum einen Blick drauf, was ihre Kinder mit den technischen Geräten alles machen“, macht Held immer wieder die Erfahrung. So seien sie bei Elternveranstaltungen wie vor den Kopf gestoßen. „Bei der rasanten technologischen Entwicklung kommen sie gar nicht mehr nach.“ Eltern sei häufig auch nicht klar, dass die Kinder mit Erwachsenenthemen konfrontiert werden, wenn sie beispielsweise das Videoportal TikTok oder Instagram nutzen. „Das sind ja keine Netzwerke für Kinder“, betont Nakari. Wer auf Instagram postet oder sich Clips auf TikTok anschaut, taucht automatisch in die Welt der Erwachsenen ein. Gewaltclips und Pornovideos inklusive. „Das lässt sich nicht kindersicher machen“, so Nakari.

Die Geräte selbst lassen sich aber kindersicher machen - indem Eltern zum Beispiel Apps entsprechend den Altersfreigaben erlauben oder verbieten. Oder indem Instagram von einem öffentlichen auf ein privates Profil umgestellt wird. Oder indem der Zugriff auf bestimmte Dienste am Smartphone oder Computer eingeschränkt wird. „Eltern müssen das wissen, wir können nicht in jede Klasse gehen und die Privatsphäreeinstellungen aller Smartphones prüfen“, sagt Nakari.

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Umgang lernen

Das Handy wegnehmen, wenn es einen Vorfall gegeben hat, ist immer die schlechtere Lösung. Kinder und Jugendliche müssten den Umgang mit den neuen Medien lernen, und das so früh wie möglich, am besten schon in der Grundschule. „Noch besser wäre es, wenn Mediennutzung ein Schulfach würde“, sagt Held. Strafen sind aber auch deshalb kontraproduktiv, weil die Kinder dann erst recht davor zurückschreckten, sich an ihre Eltern oder Lehrkräfte zu wenden, wenn sie Fotos oder Videos erhalten haben, die sie selbst als problematisch empfinden. „So bleibt vieles unentdeckt und kann strafrechtlich nicht verfolgt werden“, betont Thai.

In Schulen rät Nakari dazu, einen Verhaltenskodex aufzustellen, und zwar nicht nur für die Kommunikation in der Klasse, sondern auch für die im Klassenchat. „Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, hier gelten Gesetze, und auch hier gehe ich mit anderen respektvoll um.“

Prävention wirkt

Wenn Held Projekte mit Schulklassen macht, kommt er über die Vorstellungsfolie seiner Präsentation kaum hinaus. „Es gibt ein extremes Nachfragebedürfnis, die Schüler wollen wissen, ob ihr Profil in Ordnung ist, ob es okay ist, was sie gepostet haben.“ Auch was nicht okay ist, wird besprochen. „Dann spüre ich förmlich, wie bei den Kindern ein Licht aufgeht und sie sagen: Das wollen wir gar nicht, wir wollen da nicht mitmachen.“

Projekte und Vorlagen zur Medienbildung in allen Altersklassen gebe es ausreichend. Held betont: „Der Stadt Mannheim ist das Thema Prävention und Medienbildung ein ganz wichtiges, an dem viele Akteure mitarbeiten.“ Dazu zählen die Caritas, die Polizeiprävention, das Fanprojekt, die pro familia, das Stadtmedienzentrum, die Stadtbibliothek, das Gesundheitsamt sowie die Fachstelle Medienbildung im Fachbereich Jugendamt und Gesundheitsamt oder der Frauen- und Mädchennotruf. Neben unterschiedlichen Präventionsprojekten in Schulen fänden auch Medienelternabende und Multiplikatorenfortbildungen statt. „Idealerweise werden immer auch die Eltern und Multiplikatoren mit in die Medienbildung einbezogen.“

Freie Autorin

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