Der Weg zum Geld ist hier kurz. Man zieht in der Eingangshalle eine Nummer, die wenig später an einem der Schalter aufleuchtet. Dort wartet ein professioneller Schätzer. Er begutachtet das Mitgebrachte (wobei ihm die Uhr am Arm des Reporters nur ein mitleidiges Lächeln entlocken würde) und schätzt den Wert. Für Gebrauchtes bietet er in der Regel bis zu 80 Prozent an. Ist der erzielbare Marktpreis - wie etwa bei Krügerrand-Goldmünzen - klar, sind es sogar maximal 90 Prozent. Wenn der Kunde damit einverstanden ist, kann er sich nebenan direkt an der Kasse alles auszahlen lassen. Auch Überweisungen sind möglich, aber gefragt ist vor allem Bargeld.
„Normalerweise sind Sie bei uns nach 20 Minuten wieder raus“, sagt Anton Meinzer, Betriebsleiter des städtischen Leihamts in Mannheim. Bei Stammkunden, deren Wertgegenstände bereits erfasst seien, gehe es noch schneller. In diesen Zeiten immens steigender Preise kämen auch zunehmend Menschen zum ersten Mal. „Im letzten Monat hatten wir 180 Neukunden“, so Geschäftsführer Jürgen Rackwitz. Das seien 50 Prozent mehr als normal.
Über einen steigenden Andrang auf Pfandhäuser wird bundesweit berichtet. In Mannheim, wo es in D 4 das letzte öffentlich-rechtliche in ganz Deutschland gibt, hat man nun auch auf die zunehmenden finanziellen Nöte vieler Menschen reagiert und das Sortiment erweitert: Angenommen werden neuerdings auch Designerhandtaschen und -accessoires wie Gürtelschnallen und Brieftaschen. Zunächst nur von vier Top-Marken, doch weitere könnten folgen. Damit reagiere man auf verstärkte Nachfragen vor allem von jüngeren Kundinnen, heißt es.
Das ist für die Schätzer eine neue Herausforderung. Als Goldschmied, Uhrmacher oder Diamant-Gutachter fällt das Erkennen etwa einer gefälschten Gucci-Tasche nicht in ihre Kernkompetenz. Daher hat sie Mode- und Markenexpertin Anela Franjkovic fortgebildet. Auf Fotos von der Schulung sieht es aus, als hätten beide Seiten ihren Spaß.
Eine russische U-Boot-Uhr
Nicht angenommen werden unverändert Smartphones. Ebenso wie bei anderen Elektrogeräten ist der Wertverlust mit der Zeit zu groß. Neben Klassikern wie Schmuck oder Montblanc-Füllern wird den Schätzern indes auch immer wieder Kurioses vorgelegt. So ein Edel-Nachttopf von Villeroy und Boch, den sie aber aus hygienischen Gründen ablehnten. Akzeptiert wurde dagegen schon mal ein hochwertiges Intim-Piercing, ebenso eine russische U-Boot-Uhr. „Da sind wir aber erst mal mit einem Geigerzähler drüber“, lacht Rackwitz. Auch wenn es sich bei der Mehrzahl der Kunden um Privatleute handele, kämen auch viele Gewerbetreibende - gerade in diesen Tagen. Etwa Handwerker, die aufgrund der rapide steigenden Baumaterialkosten kurzfristig mit Eigenmitteln in Vorleistung treten müssten. „Bei uns kommen die sehr viel unkomplizierter an Geld als in einer Bank.“Anders als für einen herkömmlichen Kredit müsse man sich im Pfandhaus auch nicht verschulden.
Meinzer und Rackwitz betonen immer wieder den sozialen Auftrag, den sie im Unterschied zur privaten Konkurrenz haben. Der Gewinn, den das mehr als 200 Jahre alte Leih-amt macht, wird jeweils zur Hälfte in Rücklagen gesteckt und an die Stadt abgeführt, die das Geld dann für soziale Zwecke ausgibt.
Ihnen sei vor allem wichtig, dass Kunden ihr Pfand auslösen könnten, so die Leihamtschefs. Daher rate man auch dazu, sich nicht den maximal möglichen Betrag auszahlen zu lassen, sondern nur einen tatsächlich benötigten. Einige Stammkunden hätten ihre Wertgegenstände gegen eine geringe Gebühr sogar dauerhaft bei ihnen eingelagert und beliehen sie nur von Zeit zu Zeit.
Vor Ablauf des Pfandvertrages (in der Regel nach vier Monaten) erinnere man die Kunden daran. Dann sei auch eine Verlängerung möglich. Und eine Versteigerung (ab dem sechsten Monat) wolle man tunlichst vermeiden. Denn ersteigert würden die Wertgegenstände in erster Linie von professionellen Händlern. „Dann sind sie raus aus unserem Pfandsystem“, sagt Rackwitz. Und Gewinne gingen bei Versteigerungen an die bisherigen Kunden.
Versteigert werden Wertgegenstände aus Mannheim aktuell acht Mal pro Jahr von einem Auktionator in Villingen-Schwenningen. Der habe mit Designerhandtaschen bereits erste Erfahrung gemacht, erzählt Rackwitz. Plötzlich komme eine neue Klientel zu den Versteigerungen: Schnäppchenjägerinnen.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-zahl-der-neukunden-im-staedtischen-leihamt-mannheim-um-50-prozent-gestiegen-_arid,1997555.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html