Kriminalität

Wie sich die Stalking-Beratung in Mannheim verändert hat

Seit einiger Zeit steigt die Nachfrage bei einer Mannheimer Stalking-Beratung. Was sind die Gründe? Und warum gehen dort neuerdings Opfer und Täter ein und aus?

Von 
Lea Seethaler und Lisa Uhlmann
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Beim Phänomen Stalking gehen Opferschutzorganisationen von einer hohen Dunkelziffer aus. © Angelika Warmuth/DPA

Mannheim. Eigentlich sollte er die neue Kollegin nur einarbeiten - doch er verliebt sich direkt in sie. Dass diese Anziehung aber nur einseitig ist, bemerkt der 36-Jährige erst, als die neue Kollegin seinen Vorschlag für ein Date ablehnt, nicht auf Mails oder Anrufe reagiert. Was folgt, sind vergebliche Kontaktversuche in der Mittagspause, übers Telefon, über soziale Medien und am Ende sogar das Auflauern vor der Haustür. Die Liebesbekundungen schlagen dann um in Drohungen - so dass die Frau später sogar Anzeige wegen Nachstellung bei der Polizei erstattet.

Weitere Angebote

  • Weitere Beratung für Stalking-Opfer, allerdings nur für Frauen, bietet das Fraueninformationszentrum (FIZ) in der Neckarstadt an: 0621/379790.
  • Seit Juli 2022 bietet der Bezirksverein für Soziale Rechtspflege eine kostenlose, niederschwellige, psychosoziale Beratung für jeden und jede, die Opfer von Stalking geworden sind.
  • Betroffene können sich auch anonym an die Onlineberatung beziehungsweise eine Telefon-Hotline des Weißen Rings wenden, täglich zwischen 7 und 22 Uhr erreichbar unter 116 006. Zudem haben Betroffene von Stalking die Möglichkeit, sich direkt an die ehrenamtlichen Mitarbeiter des Weißen Rings in bundesweit 400 Außenstellen zu wenden.
  • Mehr Infos: weisser-ring.de/tipps-gegen-stalking.
  • Stalking umfasst gemeinsam mit Bedrohung und Nötigung in Deutschland 24,2 Prozent der Partnerschaftsgewalt, so lauten Zahlen des Bundeskriminalamts. Der Begriff Partnerschaftsgewalt umfasst sowohl psychische als auch physische Gewalt

„Wie kann das sein? Sie muss doch genau so empfinden? Sie ist mir zumindest eine Erklärung schuldig!“ Es sind solche Gedanken, die dem Mann in dieser Zeit durch den Kopf gehen, so wird er es später in der Beratungsstelle Stop Stalking Süd vom Bezirksverein für Soziale Rechtspflege Mannheim erzählen.

„Handlungsalternativen bieten“

Seit 2016 finden hier nämlich Menschen, die einfach nicht aufhören können, einer anderen Person nachzustellen, sie also zu stalken, professionelle Hilfe. „Wir wollen diesen Menschen eine Motivation geben, mit dem Stalken aufzuhören, indem wir etwa Empathie für das Opfer herstellen, aufzeigen, wie sehr sie anderen und auch sich selbst damit schaden und Handlungsalternativen bieten“, erklärt Saskia Seibt von Stop Stalking Süd Mannheim.

Die Hälfte der Betroffenen, die hier Hilfe suchen, tun das aus freien Stücken - oder auf Rat ihrer Rechtsanwältin. Schließlich kann damit auch ein eventuelles Strafverfahren umgangen werden. Aber auch Stalker, die bereits verurteilt wurden, werden hier beraten. Sie kommen durch Zuweisung der Justiz. Für die Beraterinnen und Berater ist Stalking aber weder eine psychische Erkrankung noch eine Persönlichkeitsstruktur. Sondern vielmehr eine Bewältigungsstrategie, um mit einer oft schmerzhaften Zurückweisung oder Kränkung umzugehen. Außerdem ist man hier überzeugt: Das Nachstellen lässt sich nicht alleine durch Strafen beenden.

Auch für Opfer geöffnet

Aber auch das Leiden der Opfer wird hier weder verharmlost noch vergessen - im Gegenteil: Seit 2022 hat die Beratungsstelle ihr Angebot nun auch für Menschen geöffnet, die gestalkt werden. Damit will der Bezirksverein ein niederschwelliges psychosoziales Angebot für Frauen und Männer bieten - und damit eine entstandene Versorgungslücke in Mannheim wieder schließen. „Wir haben plötzlich mehr Anfragen von Betroffenen erhalten, die gestalkt werden. Dadurch haben wir erfahren, dass die ZI-Spezialambulanz für Stalking-Opfer nicht mehr weitergeführt wird“, sagt der Geschäftsführer und Sozialpädagoge Johannes Lenk dem „MM“. Anschubfinanziert wird das neue Beratungsangebot für Opfer seit Juli 2022 durch die Lotterie Glücksspirale.

Beratung von Tätern und Opfern unter einem Dach - geht das überhaupt? Was auf den ersten Blick widersprüchlich erscheint, ist beim Verein Stop Stalking Berlin seit acht Jahren gängige Praxis. Die Arbeit der Berliner ist außerdem Vorbild für das Mannheimer Angebot.

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Was die Opfer dort davon halten, dass dieselben Berater und Beraterinnen möglicherweise den eigenen Stalker betreuen? „Die meisten sind neugierig, wollen die andere Seite verstehen und fragen uns danach“, sagt Beraterin Tabea Kraus.

Für die Berliner ist die Arbeit mit den Tätern „nachhaltiger Abwehrschutz“, wird hier nicht der Täter, sondern nur die Tat verurteilt. Die Berater sind auch überzeugt: Mit diesem Hintergrundwissen können sie besser auf beide Seiten eingehen. Damit es nicht zu fatalen ungewollten Begegnungen zwischen Stalkenden und deren Opfern kommt, markiert das Team intern und anonym mögliche Paare. Wer sich trotzdem deswegen unwohl fühlt, den vermittelt das Team an eine reine Opferberatungsstelle.

Anfragen „eher selten“

Und warum wurde die ZI-Spezialambulanz für Stalking-Opfer dann nicht weitergeführt? Nachgefragt beim führenden Forschungsinstitut erklärt Sprecher Torsten Lauer: Man habe am ZI im Rahmen von Forschungsprojekten auch die Wirksamkeit einer Spezialsprechstunde für Stalkingbetroffene untersucht, so dass im Rahmen dieser Studien auch „eine mit Forschungsgeldern geförderte professionelle Beratung angeboten werden konnte“. Diese Mittel seien an Projekte geknüpft und „mit dem Ende der Forschungsprojekte entsprechend ausgelaufen“, teilt Lauer mit. „Daher können wir die Sprechstunde derzeit leider nicht mehr anbieten, was wir sehr bedauern.“ Die Fördermittel stammten vom Weißen Ring, dessen Sprecherin bestätigt: „Wir haben punktuelle Projekte unterstützt, wir haben keine Zahlungen eingestellt.“

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Und wie ist die Nachfrage für das Angebot? „Anfragen zum Thema Stalking sind eher selten“, sagt Lauer. Grob geschätzt seien es zwei bis drei Anfragen pro Monat. „Wir verweisen in diesen Fällen auf die Angebote des Weißen Rings beziehungsweise stellen eine Liste mit Anlaufstellen bereit, darunter beispielsweise auch das Beratungsangebot Stop Stalking des Bezirksvereins für Soziale Rechtspflege Mannheim“, so der Sprecher. Und findet seitens des ZI eine Zusammenarbeit mit Stop Stalking statt? „Die Spezialambulanz am ZI hat in Kontakt mit Stop Stalking gestanden und sich auch mehrfach getroffen“, sagt Lauer. Es sei zudem „sichergestellt“, dass von Stalking Betroffene mit einer dringlich zu behandelnden psychischen Erkrankung am ZI auch weiterhin Hilfe erhalten, so Lauer.

Bei Stop Stalking erhalten nun seit Juli nicht nur Stalker wie der 36-Jährige mit seiner unerfüllten Liebe zu einer Arbeitskollegin Hilfe. Sondern auch Opfer von Stalking oder diejenigen, die das Gefühl haben, von Stalking betroffen zu sein.

Redaktion Redakteurin und Online-Koordinatorin der Mannheimer Lokalredaktion

Redaktion Seit 2018 als Polizeireporterin für Mannheim in der Lokalredaktion.

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