Mannheim. Karl-Heinz Schwarz-Pich wird als Fußball-Historiker bezeichnet. Viele Jahre hat er sich mit der Geschichte des Deutschen Fußballbundes (DFB) und seiner Funktionäre in der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigt. Jetzt hielt er im Spiegelschlössl auf dem Luzenberg einen Vortrag darüber, wie Fußball-Reichstrainer Otto Nerz (VfR Mannheim), Reichs- und Bundestrainer Sepp Herberger (SV Waldhof 07/VfR Mannheim) und Fußball-Nationalspieler Otto Siffling (SV Mannheim-Waldhof 07) Mitglieder der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) wurden.
Als Quelle bezieht er sich dabei immer wieder auf einen 350 Ordner umfassenden Nachlass von Otto Nerz, dessen rund 6000 Seiten er studierte und der demnächst wohl in einem Buch veröffentlicht wird.
Trat Herberger aus Opportunismus der Partei bei?
Der DFB mit damals knapp einer Million Mitglieder war 1933 Teil der sogenannten bürgerlichen Sportbewegung, wie sie im 19. Jahrhundert entstanden war und von der völkischen Bewegung und später den Nationalsozialisten strikt abgelehnt und bekämpft wurde. Ein eigenes Konzept für den Sport hatten die Nationalsozialisten allerdings nicht. So gab es unmittelbar nach der Machtübernahme Überlegungen, die bürgerliche Sportbewegung in die NSDAP zu integrieren. Sepp Herberger war zu dieser Zeit als Sportlehrer beim „Westdeutschen Sportverband“ (WSV) beschäftigt. Mit der Nationalisierung der bürgerlichen Sportbewegung wäre er Angestellter des Staates geworden.
Eine der ersten Aktionen der Nationalsozialisten war am 7. April 1933 die Veränderung des Beamtengesetzes. Wer Mitglied der SPD, der KPD oder Jude war, wurde aus dem Staatsdienst entlassen. Und von allen anderen erwartete man Bekenntnisse zum neuen Staat. Herbergers Vorgesetzter beim „WSV“, Guido von Mengden, der selbst in die NSDAP eingetreten war, forderte Herberger auf, Mitglied der NSDAP zu werden, was dieser auch tat. Als Quelle nennt Schwarz-Pich hier den Nachlass Herbergers.
„Herberger war wie Nerz nachweislich weder Nationalsozialist noch Antisemit“, so der Referent. Er erwähnt hier einen gewissen Opportunismus Herbergers, der wohl seinen Beruf als Fußballlehrer losgeworden wäre, wäre er nicht Mitglied der Partei geworden. Otto Nerz sei Mitglied der SPD und Jugend-Schulungsleiter der Partei in Mannheim gewesen. Zu seinen engsten Freunden hätten drei Juden gezählt: „Kicker“-Gründer Walther Bensemann, der Kaufmann Max Rath in Mannheim und in Berlin bei Tennis Borussia Bankdirektor Georg Michaelis.
Otto Nerz stirbt 1949 Speziallager Sachsenhausen
Nerz trat auch 1933 nicht aus der SPD aus. 1937 wurde er Mitglied der NSDAP - laut Schwarz-Pich, ohne es zu wissen. Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten sei von SS-Führer Reinhard Heydrich zur Rede gestellt worden, weil in den Sportverbänden so gut wie niemand Mitglied der NSDAP war. Tschammer stellte daraufhin einen Gruppenantrag für den Eintritt. Darunter sei auch Nerz gewesen, ohne gefragt worden zu sein.
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Als Deutschland 1928 an den Olympischen Spielen teilnahm, wurde Nerz Nationaltrainer. Sepp Herberger wird sein Assistent. Später arbeitete Nerz bis 1945 als Direktor der Deutschen Hochschule für Leibesübungen. Er geriet in sowjetische Kriegsgefangenschaft. 1949 starb er im Speziallager Sachsenhausen. „Ich habe sein Grab besucht, es ist umwachsen von drei Birken“, erzählte Schwarz-Pich. Der DFB solle sich darum kümmern und sich seiner Vergangenheit stellen. Otto Siffling bezeichnete Schwarz-Pich als einen unpolitischen Menschen. Er zitierte einige Begebenheiten aus dem Leben Sifflings, die das untermauern sollen. Bei der Kaufmannsprüfung 1934 sei Siffling gefragt worden, wann der Führer geboren sei. Er gab zur Antwort: „Woher soll ich das denn wissen?“ Er bestand trotzdem die Prüfung.
Otto Siffling wohl unwissentlich Ehrenmitglied der NSDAP
Und eine zweite Anekdote wurde zum Besten gegeben: Nach der WM 1934 fand ein Empfang für Siffling auf dem Mannheimer Hauptbahnhof statt. Eine SS-Blaskapelle spielte ununterbrochen. Wer nicht kam, war Otto Siffling. Der war wohl am damaligen Bahnhof Blumenau ausgestiegen und in seine Stammkneipe „Zum Landsknecht“ auf dem Waldhof eingekehrt.
1936 fand nach den Olympischen Spielen ein Empfang für die Mannheimer Teilnehmer in der Augustaanlage statt. Olympiateilnehmer Siffling fehlte auch hier. Er sei bis Karlsruhe durchgefahren und in einem Bummelzug nach Zell am Hamersbach im Schwarzwald gereist. Gesponsert wurde der Aufenthalt in Zell demnach von einem Sägereibesitzer. In dieser Woche soll es in dem Ort wie auf einem Jahrmarkt zugegangen sein. Siffling wurde nach den Spielen zum Ehrenmitglied der NSDAP ernannt. Er selbst dürfte laut dem Referenten noch nicht einmal etwas davon gewusst haben. Er sei eben „ein unpolitischer Fußballer“ gewesen, so Schwarz-Pich.
Der Referent vermied eine kritische Auseinandersetzung mit den drei Akteuren und warf anderen Autoren schlechte Recherche vor. Der „Kicker“ schrieb allerdings anlässlich seines 100-jährigen Bestehens, Nerz sei NSDAP-Mitglied gewesen - nicht nur Mitläufer, sondern habe sich offen antisemitisch geäußert. Sepp Herberger wurde nach dem Krieg als Mitläufer eingestuft. Dafür musste er eine Geldstrafe und eine Bearbeitungsgebühr bezahlen. Otto Siffling dagegen stand laut Marchivum den Nationalsozialisten distanziert gegenüber.
Kritische Fragen zur Rolle des DFB im Nationalsozialismus wurden während des Vortrages vom Publikum nicht gestellt.
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