Mannheim. Dass alles nur eine große Lüge war, erkennt Mariana (Name von der Redaktion geändert) spät. Zu spät. Da ist die junge Bulgarin längst in Deutschland und arbeitet in Mannheim als Prostituierte. Ihr Liebhaber, oder zumindest hielt sie ihn dafür, hatte ihr gesagt, sie gingen zusammen nach Deutschland. „Wir bauen uns ein Leben auf“, hatte er gesagt, der Mann, der für die Anfang 20-Jährige die erste große Liebe war. Sie würden beide arbeiten, Geld sparen, sie würden ein schönes Leben führen. Das Mädchen vertraut dem Mann und verlässt eines Tages, ohne ihren Eltern etwas zu sagen, ihr Heimatdorf.
Statt des erhofften schönen Lebens wartet am Ende ihrer Reise die Sexarbeit. Zurück zu ihren Eltern kann sie nicht, zu groß ist die Scham. Auch zur Polizei geht sie nicht. Sie kann kaum Deutsch, außerdem droht der Mann damit, ihren Eltern etwas anzutun. Erst viele Jahre später vertraut sie sich der Mannheimer Beratungsstelle Amalie für Frauen in der Prostitution an, inzwischen ist Mariana Ende 20 und hat den Ausstieg geschafft.
Ansprache über soziale Netzwerke
Mariana ist Opfer der sogenannten Loverboy-Methode geworden. Ein harmlos klingender Begriff für eine perfide Methode, bei der junge Männer, in der Regel zwischen 18 und 30 Jahre alt, junge Mädchen ködern, um sie später in die Prostitution zu zwingen. Ihre Masche ist so einfach wie wirksam: Sie geben vor, die Mädchen zu lieben.
Die Anbahnung verläuft häufig über soziale Netzwerke, aber auch im realen Leben, vor der Schule, im Club, Kino oder im Fastfood-Restaurant. Die Loverboys sprechen gezielt Mädchen und junge Frauen an, die schüchtern erscheinen, die vielleicht schlecht Deutsch sprechen, die Konflikte haben, mit Schule, Eltern, Freundeskreis. Treffen kann es jedes Mädchen, vielfach sind es junge Frauen mit Migrationshintergrund, aber nicht ausschließlich.
Über Wochen oder gar Monate bauen die Männer Vertrauen auf, täuschen Verständnis für die Probleme vor, überhäufen die Opfer mit Geschenken. So machen sie die Betroffenen immer stärker emotional von sich abhängig. „Gleichzeitig entfremden sie sie von ihren Bezugspersonen“, erklärt Gregor Spitzmüller von der Mannheimer Bewährungs- und Gerichtshilfe. Zusammen mit Astrid Fehrenbach, Leiterin der Beratungsstelle Amalie, sowie Anne Artschwager vom Frauen- und Mädchen-Notruf sensibilisiert Spitzmüller auf dem in Mannheim stattfindenden Präventionstag in einem Workshop über die komplexen Mechanismen des Loverboy-Phänomens. Schließlich kommt der Tag, an dem der Loverboy eine Gegenleistung für seine angebliche Liebe verlangt: Sex gegen Geld mit anderen Männern. „Es wird eine Notlage inszeniert, er hat den Job verloren, kann sich das tolle Auto nicht mehr leisten“, zeichnet Spitzmüller einen typischen Ablauf nach. Wenn sich das Mädchen wehrt, wird es mit heimlich angefertigten Videoaufnahmen erpresst, oder der Täter wendet Gewalt an, um die Frauen gefügig zu machen. Die Loverboys agieren dabei nie allein, sie verfügen über Netzwerke, sind Teil der organisierten Kriminalität.
Ausstellung
- In der Zentralbibliothek in N1,1 ist bis zum 23. Juni die Wanderausstellung „Loverboys“ zu sehen.
- Konzipiert wurde sie von der Fachberatungsstelle „FreiJa – Aktiv gegen Menschenhandel Diakonisches Werk Freiburg“.
- Ein Fokus der Ausstellung ist die Ansprache junger Frauen über soziale Netzwerke.
„Die Loverboy-Methode ist ein ganz häufiges Phänomen, wir hören das in Biografien, die uns die Frauen erzählen, immer wieder“, betont Fehrenbach. Nur: In der Kriminalstatistik spiegelt sich das nicht wider. Nur wenige Frauen erstatten Anzeige, Scham, Schuldgefühle und Traumatisierungen sind überwältigend. „Vielen Betroffenen ist gar nicht bewusst, dass sie Opfer geworden sind“, sagt Artschwager vom Mädchen-Notruf. Hilfe anzunehmen wird so fast unmöglich. „Die Frauen fragen sich, vielleicht habe ich das ja doch freiwillig gemacht.“ Daneben handelt es sich bei der Loverboy-Methode nicht um einen Straftatbestand, der als eigenständiges Delikt in der Polizeilichen Kriminalstatistik aufgeführt würde, sondern um ein Mittel zum Zweck, nämlich Menschen in die Prostitution zu zwingen.
Angst, sich zu öffnen
Laut Bundeskriminalamt haben im Jahr 2021 rund 20 Prozent der Personen, die vom Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung betroffen waren, angegeben, durch die Loverboy-Methode zur Prostitution gezwungen worden zu sein. Die Zahl der abgeschlossenen Ermittlungsfälle in diesem Bereich ist allerdings extrem niedrig, es sind etwas mehr als 400. Sowohl Polizei als auch Beratungsstellen gehen von einem deutlich höheren Dunkelfeld aus. Eben weil die Frauen schweigen.
„Für die Frauen ist es schon ein Riesenschritt, sich überhaupt zu öffnen“, erzählt Fehrenbach. Der Ansatz von Amalie ist deshalb, über aufsuchende Arbeit im Milieu in Kontakt zu kommen. Die Frauen leben in prekären Verhältnissen, sie sind depressiv, abhängig von Alkohol und Drogen, um die Situation ertragen zu können. Bis sie ihre Geschichten erzählen, dauert es. Bis sie sich aus der Abhängigkeit von ihren Loverboys befreien, noch länger.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-wie-loverboys-frauen-zur-sexarbeit-zwingen-_arid,2094323.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html