Mannheim. Es war ein Ritt durch die Themen, stellt Ricarda Lang am Ende einer einstündigen Podiumsdiskussion fest. „Mein Hausaufgabenheft ist voll geworden“, sagt die Grünen-Chefin bei der Bundesfrauenkonferenz ihrer Partei. Die findet nach fünf Jahren zum ersten Mal wieder in Präsenz statt, und als Austragungsort haben sich die Grünen Mannheim ausgesucht.
Frauenkonferenz der Grünen im Kulturhaus Käfertal: Zusammen feministisch regieren
So versammeln sich am Wochenende 250 Frauen aus ganz Deutschland im Kulturhaus Käfertal, um - so der Slogan der Tagung - zusammenzukommen, zusammenzuhalten und zusammen feministisch zu regieren. Dass Letzteres nicht so einfach ist, wird während diverser Workshops offensichtlich, die sich mit Alleinerziehenden, Pflegeberufen, Strukturwandel und Geflüchteten befassen. Auch die Podiumsdiskussion, prominent besetzt mit Bundesfrauen- und -familienministerin Lisa Paus, arbeitet sich zum Auftakt am Samstagmittag an vielen Konflikten ab, die so alt wie ungelöst sind.
Trotz aller Anstrengungen liegt noch vieles im Argen oder vielmehr: im Einflussbereich der Männer, wie die Diskutanten, zu denen neben Paus die Soziologin Bettina Kohlrausch sowie die Autorin Sabine Rennefanz gehören, zu dem Schluss kommen. Zentrales Manko: die unbezahlte Sorgearbeit, die nach wie vor mehr von Frauen als von Männern geleistet wird. Sie kümmern sich um die Hausarbeit, betreuen Kinder, pflegen Angehörige, betätigen sich ehrenamtlich.
Bei der Konferenz der Grünen geht es auch um unsichtbare Sorgearbeit
„Das ist ein genialer Trick des Patriarchats - so zu tun, als wäre das keine Arbeit“, sagt Bettina Kohlrausch, Professorin für Bildungssoziologie an der Universität Paderborn sowie Wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung. Denn weil sie nicht bezahlt werde, bleibe die Arbeit unsichtbar. Gleichzeitig schränkt das Frauen bei der Erwerbsarbeit ein. „Dann heißt es, Frauen müssten mehr arbeiten, aber die arbeiten ja schon, sie werden nur nicht dafür bezahlt.“
„Nicht um jeden Krümel streiten“
Frau Lang, „Zusammen feministisch regieren“ lautete der Slogan der Bundesfrauenkonferenz. Was heißt das?
Ricarda Lang: Das heißt, Macht und Ressourcen gerecht zu verteilen und das bei allen politischen Entscheidungen mitzudenken. Von einer Außenpolitik, die sich für Frauen und Mädchen weltweit stark macht, bis hin zur Etablierung einer geschlechtergerechten Haushaltspolitik. Beispiel: Eine solide Finanzierung von Frauenhäusern. Sie sind kein nice to have, sondern eine wichtige Säule, um Frauen vor Gewalt zu schützen.
Wer entscheiden will, braucht Macht. Davor schrecken viele Frauen zurück. Müssen Frauen mehr auf ihre Macht pochen?
Lang: Auf jeden Fall! Das heißt aber nicht, dass sie ihre Ellenbogen ausfahren müssen. Macht wird ja häufig als Selbstzweck verstanden. Ich habe ein anderes Verständnis von Macht, denn Macht ist Gestaltungsmacht, und die müssen wir Frauen gemeinsam ausüben. Wir müssen nicht um jeden Krümel streiten, der vom Kuchen abfällt. Uns Frauen steht die Hälfte des Kuchens zu!
Die Realität sieht oft anders aus. Kommen wir bei dem Thema überhaupt voran?
Lang: Ich habe die Broschüre der ersten Bundesfrauenkonferenz von 1985 in die Hände bekommen, viele Themen von damals sind Themen von heute. Der Kampf für mehr Gleichberechtigung ist Jahrzehnte, eigentlich Jahrhunderte alt. Hoffnung macht mir, dass wir in vielen Bereichen Fortschritte gemacht haben. Veränderung braucht Zeit, aber es geht voran
Doch auch diejenigen, die mehr arbeiten wollten, können es dann doch nicht, weil die Kinderbetreuung nicht gesichert ist. „Wenn alle Frauen mit Kindern unter sechs Jahren, die arbeiten wollen, auch arbeiten könnten, hätte Deutschland 840 000 Fachkräfte mehr“, erklärt Lisa Paus. Doch der Kita-Ausbau - Sache der Länder, wie die Bundesfamilienministerin betont - verlaufe nur schleppend.
„Mein Eindruck ist, dass das als Problem der Eltern gesehen wird.“ Zumindest in den alten Bundesländern. In Bayern beispielsweise liege die Versorgungsquote bei unter Dreijährigen bei unter 30 Prozent, in Sachsen-Anhalt - das wie alle anderen ostdeutschen Bundesländer von der staatlich organisierten Kinderbetreuung der DDR profitiert - bei knapp 60 Prozent.
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Frauen immer noch wenig in MINT-Berufen
So wenig neu wie diese Erkenntnis ist auch jene, dass die MINT-Berufe - die mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Berufe - nicht gerade an erster Stelle der Berufswahl junger Frauen stehen. Das sei in anderen Ländern ähnlich, in Deutschland aber besonders ausgeprägt, sagt Paus. Mit einer neuen Initiative „Klischeefrei“ will die Bundesregierung mit Geschlechterklischees aufräumen, damit Frauen und Mädchen sich nicht davon abhalten lassen, sich für einen Beruf zu entscheiden, der sie interessiert.
Paus - im elterlichen Maschinenbauunternehmen groß geworden - erzählt, sie habe eigentlich Maschinenbau studieren wollen, sei dann aber davon abgerückt. „Nicht weil ich das nicht gekonnt hätte, sondern weil ich mir überlegt habe, wie das Arbeitsumfeld aussieht.“ Nämlich von Männern geprägt.
An die appelliert Autorin Rennefanz, den Ankündigungen bei einer partnerschaftlichen Vereinbarung von Familie und Beruf auch Taten folgen zu lassen. „In Väter-Reports heißt es immer, ,wir möchten ja so gerne mehr Verantwortung übernehmen‘, aber Wunsch und Wirklichkeit klaffen hier auseinander.“
Auch bei der Verteilung der Mittel stimmen Wunsch und Wirklichkeit häufig nicht überein, wie Paus erfahren musste, als sie sich mit ihrem Kabinettskollegen Christian Lindner wochenlang um die Finanzierung der Kindergrundsicherung gestritten hat. Für Rennefanz ist es ohnehin ein Fehler gewesen, der FDP das Finanzressort zu überlassen. „Beim nächsten Mal werden wir ein grünes feministisches Finanzministerium haben“, verspricht Ricarda Lang.
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