Gesellschaft

Wie ist die Lage der Analphabeten in Mannheim?

Am 8. September findet der jährliche Weltalphabetisierungstag statt. In und um Mannheim soll die Zahl derjenigen, die nicht lesen und schreiben können, bei mehreren Zehntausend liegen. Viele leiden unter Einsamkeit

Von 
Eva Baumgartner
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Bestückt mit Informationsmaterial macht das Lastenrad des Grundbildungszentrums an der Abendakademie in den Stadtteilen und der Innenstadt Station. © Abendakademie

Mannheim. Die Abendakademie schätzt, dass im Großraum Mannheim rund 30 000 erwachsene Menschen leben, die Probleme mit dem Lesen und Schreiben haben. Einige können kaum ein Wort entziffern, andere schreiben unsicher und mit vielen Fehlern.

Formulare, Internet-Recherche oder einfach nur das Schreiben einer Entschuldigung für das eigene Kind schaffen diese Menschen oft nicht - eine gesellschaftliche Teilhabe ist so fast unmöglich. Die Corona-Pandemie hat die Lage der Betroffenen enorm verschlimmert.

Zum Weltalphabetisierungstag am 8. September rückt auch die Mannheimer Abendakademie Betroffene in den Vordergrund. Zum gleichzeitigen Semesterstart der Grundbildungskurse an diesem Tag treffen sich die Teilnehmer deshalb zum Austausch im Gebäude am Kurpfalzkreisel in U1 und wollen mit Bildungsbürgermeister Dirk Grunert ins Gespräch kommen.

"Corona hat Analphabeten besonders hart getroffen"

„Corona war und ist für unsere Teilnehmer eine turbulente Zeit“, berichtet Helga Hufnagel vom Grundbildungszentrum der Abendakademie im Gespräch mit dieser Redaktion.

„Viele sind Geringverdiener, sie wurden beruflich hin- und hergeschoben, haben nicht nur finanzielle, sondern auch psychische und gesundheitliche Probleme“, so Hufnagel. Allein die Informationsbeschaffung zur aktuellen Pandemie-Lage - von aktuellen Verordnungen über Online-Sprechstunden - sei für die Gruppe der Analphabeten besonders schwer: „Corona hat diese Menschen besonders hart getroffen“, sagt Hufnagel. Weil sich viele Analphabeten ohnehin schämen, am öffentlichen Leben teilzunehmen, seien sie zudem auch stärker von Vereinsamung betroffen.

Weltalphabetisierungstag am 8. September

  • Die Unesco, die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, hat den Weltalphabetisierungstag 1966 ins Leben gerufen.
  • Der Gedenktag am 8. September soll daran erinnern, dass weltweit etwa 771 Millionen erwachsene Menschen nicht oder nur ungenügend lesen und schreiben können.
  • Als Analphabetismus bezeichnet man individuelle Defizite im Lesen oder Schreiben bis hin zu völligem Unvermögen. Die Gründe sind unterschiedlich: Sie können kulturell, psychisch oder auch bildungsbedingt sein.
  • Die Abendakademie schätzt, dass in Mannheim rund 30 000 Personen betroffen sind. Die Dunkelziffer könnte aber auch höher liegen. Sie bietet seit den 1970er Jahren Kurse im Bereich Grundbildung und Alphabetisierung an und betreibt seit Juni 2019 ein vom Land gefördertes Grundbildungszentrum, das sensibilisieren und Kursleiter ausbilden soll.
  • Informationen zur Grundbildung und zu allen Angeboten und Kursen an der Abendakademie gibt es im Internet unter www.abendakademie-mannheim.de. Semesterstart der Grundbildungskurse ist der 8. September, doch es kann jederzeit in die Kurse eingestiegen werden. 

Die Abendakademie engagiert sich bereits seit den 1970er Jahren für Analphabeten. Vom Land Baden-Württemberg erhielt sie deshalb - als erst zweite Einrichtung im Land - das Alpha-Siegel. Es zeichnet Institutionen aus, die engagiert auf Menschen mit Schriftsprachproblemen zugehen - und ihnen einen niederschwelligen Zugang zu Informationen und Orientierung ermöglichen.

Zudem beherbergt das Haus eines von acht Grundbildungszentren im Land. Hier werden nicht nur Kurse zum Lesen und Schreiben angeboten, sondern auch „Rechnen für den Alltag“ oder Angebote zur finanziellen, gesundheitlichen oder kulturellen Grundbildung. 2021 haben hier 317 Teilnehmer Kurse besucht, es gab 1851 Unterrichtsstunden und 74 persönliche Gespräche.

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Auch ein Lastenrad gehört zum Programm des Zentrums. Das soll die Informationen und Unterrichtsangebote auch in die Stadtteile hinaustragen. Das Rad sollte eigentlich seit 2020 regelmäßig seine Runden drehen, doch auch das Gefährt wurde durch Corona ausgebremst:

„Wir konnten das Rad erst in diesem Sommer richtig in Bewegung setzen, es war auf den Marktplätzen auf der Schönau oder in der Innenstadt, auch vor dem Jobcenter“, sagt Hufnagel. In nächster Zeit soll es auch viele spontane Aktionen geben: „Dabei hoffen wir auf einen Wiedererkennungswert“, so Hufnagel.

Neben den Kursen bietet die Abendakademie auch ein Lerncafé an, ein zwangloses Treffen, für das keine Anmeldung nötig ist. Immer donnerstags von 16 bis 17.30 Uhr sind Besucher in Raum 501 der Abendakademie willkommen. „Dabei geht es um ganz verschiedene Dinge, um Formulare, das Rechnen oder Training für den Führerschein. Ich frage immer, ob es spezielle Wünsche gibt“, erklärt Hufnagel.

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Wie kann Geld eingespart werden?

Weil auch steigende Kosten im Alltag die Betroffenen belasten, geht es bei manchen Treffen auch darum, wie täglich Geld eingespart werden kann, um das Leben zu finanzieren. „Auch einfach, wo man günstig einkaufen kann, da geben sich die Teilnehmer oft gegenseitig Tipps.“

Zwei Tablets stehen den Gästen ebenfalls zur Verfügung, schließlich soll auch digital gelernt werden. „Da kommen auch Menschen, die noch nie in der Schule waren, es ist hochspannend, was auf dem Programm steht.“

Viele freuen sich über ihre großen Lernerfolge und kommen regelmäßig, profitieren dabei auch von den anderen Teilnehmern und deren Fragen. Ein weiteres Lerncafé gibt es in der Neckarschule. Montags um 8.30 Uhr treffen sich in der Alphornstraße 4 oft Mütter der Schulkinder.

Redaktion Eva Baumgartner gehört zur Lokalredaktion Mannheim.

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