Mannheim. Wenn wir gemeinhin das Wort „Zeitenwende“ hören, dann denken wir an Ereignisse wie den Fall der Mauer, an Erfindungen wie den Buchdruck, an bahnbrechende Technik wie Dampfmaschine. Und was steht da vor uns im hellen Licht der Studioscheinwerfer? Ein kleiner Kunststoff-Kasten, kaum 20 Zentimeter lang, zwei Drahtspulen auf einer Seite, ein Kabel auf der anderen, und obendrauf eine große Röhre. Mehr macht der Loewe OE 333 für den laienhaften Betrachter nicht her.
Und dennoch ist das auf den ersten Blick einigermaßen rätselhafte Ding etwas ganz Besonderes. Zum einen für Markus Klejnowski, den Depotleiter des Technoseums. „Sie haben mich nach meinem ganz persönlichen Lieblingsstück gefragt – nun, das ist es!“. Aber auch die Fachwelt sieht in dem Kasten nichts Geringeres als einen entscheidenden Punkt in der Technikgeschichte.
Neue Serie Lieblingsstücke
Lieblingsstücke – wir alle haben sie, auch bei der Arbeit. Wir schauen in einer kleinen Serie hinein in ein beeindruckendes Mannheimer Museum, wir öffnen Türen, die sonst für das Publikum verschlossen bleiben.
Und lassen uns von den Menschen, die uns dort im Technoseum ihre Lieblingsstücke zeigen, erklären, warum ausgerechnet dieses oder jenes Objekt ihnen so ans Herz gewachsen ist.
Dass wir dabei vieles über die Frauen und Männern dort erfahren, die wir sonst als Besucher kaum jemals kennenlernen würden, macht den Blick auf die Lieblingsstücke umso spannender.
Der OE 333 – OE steht für „Ortsempfänger“ – ist ein sehr frühes Radiogerät aus dem Jahr 1926, entwickelt und gebaut hat ihn die 1923 in Berlin gegründete Firma Loewe. Das markanteste Bauteil des Empfängers: die große Röhre, die oben auf dem schwarzen Kunststoff-Gehäuse platziert ist. „Eine Neuerfindung von Loewe, für die damalige Zeit etwas Bahnbrechendes“, fasst Klejnowski zusammen: Davor brauchte man drei einzelne Röhren, für den normalen Empfang, für den Niederfrequenz- und für den Hochfrequenz-Empfang. Teure Stromfresser seien das gewesen, „und umständlich zu bedienen“.
Das Gerät wird im Jahr seiner Markteinführung für 39,50 Reichsmarkt verkauft. „Ein absoluter Kampfpreis, es gab damals Geräte, die 200 und 300 Reichsmark kosteten“, erklärt der Experte. Der hat in Hannover Geschichte studiert und eigentlich „irgendwas im Bereich Archiv“ werden wollen. Es sollte anders kommen: „Ich hab‘ als Student bei einer Ausstellung in einem Museum mitgewirkt, ja und da dachte ich: Warum nicht Museum?“.
Nach dem Magisterabschluss und einer zehnmonatigen Weiterbildung beim Landesmuseum im ostfriesischen Emden darf er sich „Fachreferent für Sammlungsmanagement“ nennen – und muss dennoch weiterlernen: Ein zweijähriges Volontariat im Museum für Kommunikation in Frankfurt schließt sich an, danach – so will es der Zufall, der oft im Leben eine entscheidende Rolle spielt und manchmal sogar Regie führt – bewirbt er sich im Technoseum, das gerade eine Stelle als Projektassistent ausgeschrieben hat: „Wir haben damals gerade zwei große rundfunkgeschichtliche Sammlungen übernommen: die des SWR und die vom Deutschen Rundfunkarchiv“.
Zusammen über 7000 Objekte, von der Grammophonnadel-Schachtel bis hin zum kompletten Fernsehstudio, und alles will erfasst, beschrieben, katalogisiert, gesichert und verwahrt werden. Eine Heidenarbeit, die ursprünglich auf zwei Jahre ausgeschriebene Stelle wird um drei Jahre verlängert, er steigt auf zum Depotassistenten, „ja und vor drei Jahren bin ich schließlich hier der Depotleiter geworden“. Seitdem sind sie hier zu dritt, „die drei Musketiere“, sagt er lachend, ein tolles Team, die Arbeit mache jeden Tag Spaß, „das ist mein Herzensjob“, sagt Markus Klejnowski, während er das Kinn auf die gefalteten Hände stützt und versonnen in eine vage Ferne schaut.
Um dann doch zum OE 333 zurückzufinden. „Das Tolle daran ist, dass das Gerät wegen seiner technischen Features und seines Preises zum absoluten Verkaufshit wird, die Kundschaft reißt Loewe die Radios geradezu aus der Hand, das Unternehmen muss eine Massenproduktion starten, bis zu 2000 Stück verlassen täglich das Haus, eine umwerfende Zahl, sowas war bis zu der Zeit völlig unbekannt in der Branche“. Zudem verkauft Loewe auch die Drei-in-eins-Röhre separat, „damit sich die Leute selbst einen Empfänger basteln können zuhause“. Und damit sei auch der eingangs erwähnte Satz mit der Zeitenwende aufgelöst: „Der OE 333 trug ohne Zweifel einen Gutteil dazu bei, dass das Radio zum Massenmedium werden konnte.“
Loewe OE 333
- Der Ortsempfgänger (OE) 333 der Firma Loewe wurde 1926 in Berlin entwickelt und gebaut.
- Im Gegensatz zu seinen Vorgängern kommt er mit einer statt mit drei Röhren aus.
- Damit verbraucht das Gerät wesentlich weniger Strom als die Konkurrenz.
- Zudem war die Herstellung wesentlich kostengünstiger, Loewe verkaufte den OE 333 zum Preis von 39,50 Reichsmark . Andere Radios konnten zu der Zeit mehrere Hundert Reichsmark kosten.
- Das Radiogerät wurde zum Verkaufsschlager , Loewe produzierte täglich bis zu 2000 Stück, es war damit das erste in Massenproduktion hergestellte Radio der Welt.
- Der OE 333 trug wesentlich zum Aufstieg des Radios zum Massenmedium bei.
- Zu sehen ist das Gerät auf Ebene F , im Bereich Rundfunkgeschichte.
Vier Stück dieses Typs hat das Technoseum, zwei sind in der Ausstellung zu sehen: Auf Ebene F, in der Rundfunkdauerausstellung, dort stehen sie in der Vitrine eines Radiogeschäfts. Empfangsbereit sind die Geräte allerdings nicht mehr, aber das ist für den Mann, der sich wie kaum ein anderer mit Radios, ihrer Technik und Geschichte auskennt, auch nicht so wichtig: „Offen gestanden – ich höre privat eigentlich nie Radio.“
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