Ein bisschen wie Science-Fiction klingt es schon, was über ChatGPT zu hören, zu sehen, ja, vor allem, was davon zu lesen ist. Fehlerfreie Manuskripte soll die Künstliche Intelligenz (KI) produzieren können. Die Texte sollen sich sogar verändern können: So sollen solche mit ernsthaftem Einstieg auf Wunsch einen heitereren Verlauf nehmen können. Braucht man dann noch Schriftsteller und Schriftstellerinnen? Man stelle sich auch mal vor, wissenschaftliche Abhandlungen zu verfassen, ohne selbst eine Zeile zu schreiben (manch einer wird nach Plagiatsvorwürfen gegen Politikerinnen und Politiker zynisch anmerken, dass das ja nunmal kein neues Phänomen sei).
Droht unserer freiheitlich demokratischen Gesellschaft die Kontrolle über selbst geschaffene Künstliche Intelligenzen zu entgleiten - oder eröffnen sich durch Programme wie ChatGPT sogar neue Chancen? Diese Frage lässt sich derzeit wohl noch kaum beantworten. Fakt ist aber: ChatGPT ist längst auch an Hochschulen Thema - unter Studenten und Studentinnen wie unter Forscherinnen und Forschern.
Programm spricht wie ein Mensch
Dieser Text ist übrigens selbst verfasst. Zitate und Einschätzungen stammen aus Gesprächen, die der Autor geführt hat, oder aus Stellungnahmen auf Anfragen, die er gestellt hat. Die Quellenlage ist geklärt - ChatGPT wird dagegen nachgesagt, bei Quellen weniger genau zu sein.
Als Experte für Natural Language Processing - also die Verarbeitung natürlicher Sprache - weiß Simone Ponzetto, dass es Künstliche Intelligenz (KI) schon lange gibt. Bereits in den 1940er-Jahren seien erste Programme entstanden, erklärt der aus Italien stammende, an der Universität lehrende Informatik-Professor. Er unterscheidet zwischen starker KI, die das Verhalten von Menschen simuliert, und schwächerer KI wie Handys, die Leistungen lediglich dupliziert und Menschen unterstützt. ChatGPT ordnet er letzterer Gruppe zu. Das Programm könne sprechen und formulieren wie ein Mensch. „Es ist im Moment aber unwahrscheinlich, dass ChatGPT wie unser Gehirn funktioniert oder ein Bewusstsein hat.“ Für eine starke KI gebe es dagegen noch keine Beispiele. Es handle sich dabei eher um Visionen oder philosophische Perspektiven auf das, was KI und intelligente Menschen seien, erklärt Ponzetto.
ChatGPT kann Wissen (noch?) nicht selbst generieren, sondern nutzt das aus bereits vorhandenen Texten, um neue zu generieren. Dadurch könne die KI laut Ponzetto mit Menschen in natürlicher Sprache kommunizieren. Sie lernt demnach unsere Sprache, aber man könne nicht sagen, dass sie die wirklich versteht. Beispielsweise könne die KI über Fußball reden, aber sie wisse nicht, was es tatsächlich heißt, Fußball zu spielen, weil die Maschine selbst nie ein Spielfeld gesehen oder Fußball gespielt habe, erklärt er.
Anpassen von Prüfungsformaten
Ist das nun eine Gefahr oder eine Hilfe? „Wir haben die Technologie jetzt und können nicht mehr zurück“, antwortet Ponzetto. Aber: Die Regeln für die Verwendung der neuen KI fehlten noch. „Wir haben uns kleine Informationswaffen gebaut, obwohl noch niemand weiß, wie wir die bedienen können.“
Kaum Interpretation der Informationen, Unklarheiten, ob die von ChatGPT zusammengetragenen Informationen überhaupt stimmen, dazu unklare Quellen mit möglichen Verletzungen des Urheberrechts - kann ChatGPT wissenschaftliche Lehre und Arbeit unterstützen oder schadet sie ihnen nur?
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Darin, dass KI-basierte Anwendungen Auswirkungen auf Hochschulen haben werden, sind sich Ponzetto, Universität, Hochschule und Duale Hochschule (DHBW) sowie Studierendenvertretungen einig. Wenn sich die Programme ausbreiten, müssten etwa Prüfungsleistungen in Sozial- und Wirtschaftswissenschaften - also Bereiche, in denen Hausarbeiten oder andere Essayformate eine größere Rolle spielen - umgestellt werden, teilt die Verwaltung der Universität mit. „Denkbar wären zum Beispiel ergänzende mündliche Prüfungen.“
In der vor wenigen Tagen zu Ende gegangenen Prüfungsphase habe es wegen ChatGPT noch keine Vorkehrungen gegeben. „Wir denken aber über einen Austausch von Prüfungsformen nach.“ Auch der Rektor der DHBW, Georg Nagler, erklärt: „Der Einsatz von ChatGPT und anderen derartig neuen Technologien kann zeitnah durch Ergänzung von Studienmodulen und Prüfungsstellungen maßgerecht angepasst werden.“
Bislang sind weder Universität noch DHBW oder Hochschule Fälle von Betrug mit ChatGPT bekannt. „Ungeachtet dessen wenden wir seit Langem Kontrollprogramme an, die möglichen Plagiaten vorbeugen sollen“, sagt Nagler. Auch Ponzetto und Sachar Paulus, Professor für IT-Sicherheit an der Fakultät für Informatik der Hochschule, erklären, dass Arbeiten bereits mit, wie Paulus es ausdrückt, „ersten Werkzeugen“ auf „Erstellung durch ChatGPT“ hin geprüft werden können.
Prüfungen und vor allem die Kontrolle der Leistungen werden sich ändern. Das ist schon häufiger passiert - man denke etwa an Debatten zur Verwendung von Taschenrechnern. „ChatGPT kann dazu führen, dass Prüfungen viel mehr tiefergehendes Wissen abfragen, das eine KI nicht abdeckt“, sagt Ponzetto.
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Paulus geht sogar noch weiter: KI könnte helfen, „die Lehre zu transformieren“. Das fordern auch Studierendenvertretungen. So teilt der Allgemeine Studierendenausschuss der Universität gemeinsam mit dem Fachschaftsrat mit: „ChatGPT und andere KI-basierte Programme sind die Zukunft, und die können und wollen wir nicht aufhalten.“ Unis seien Orte der Forschung. „Der Fokus sollte daher eher auf der Debatte liegen, welche Aufgaben sinnvollerweise durch KI übernommen werden können und welche Aufgaben beim Menschen bleiben sollten.“
Auch Pia Matt und Hauke Platte, Studierendenvertreter der DHBW, wollen ChatGPT nicht als Gefahr, sondern als Chance begreifen. Man müsse lernen, mit der Technologie umzugehen. Auch bei Wikipedia habe es Befürchtungen gegeben, dass durch ,Copy-Paste’ von nicht belegten Quellen Kompetenzen der Schülerinnen und Studenten schwänden. „Wie auch in diesem Fall wird sich der Umgang mit ChatGPT normalisieren, sofern man damit gut und sinnvoll umgeht.“ Es sei deshalb ein Fehler, Technologien zu verbieten, nur weil sie „den Lehr- und Lernerfolg manipulieren“, erklären beide. „Vielmehr sollte der korrekte und sachgemäße Umgang damit vermittelt werden.“
Kritische Auseinandersetzung
Dort, wo Dozentinnen und Dozenten überzeugt seien, dass KI sinnvoll ist, „werden wir uns der Herausforderung ihrer Einführung stellen“, verspricht Rektor Nagler. „So wie die Digitalisierung in den letzten Jahren aus dem Leben einer fortschrittlichen Industriegesellschaft nicht mehr wegzudenken ist, so wird es auch mit dem Einsatz von KI und Programmen wie ChatGPT sein.“
Auch die Universität sieht neben Risiken in (aktuellen) Prüfungsformaten Chancen, die Medienkompetenz zu fördern. „Man könnte zum Beispiel Studierende auffordern, eine Aufgabe an ChatGPT zu stellen und sich anschließend kritisch zu den generierten Essays zu verhalten und zu begründen, wofür sich KI warum eignet und wo die Ergebnisse unzureichend sind“, heißt es. Die Universität könne und müsse Studentinnen und Studenten vermitteln, „dass das selbstbestimmte und eigenverantwortliche Handeln und Entscheiden in einer zunehmend digitalisierten Welt durch die KI vor neue Möglichkeiten und Herausforderungen gestellt wird“.
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