Porträt

Wie Amalie-Gründerin Julia Wege in Mannheim für ein Leben ohne Gewalt, Zwang und Ausbeutung kämpft

Julia Wege hat die Beratungsstelle Amalie in der Mannheimer Neckarstadt gegründet. Wie es dazu kam und warum sie jetzt Professorin in Ravensburg-Weingarten ist

Von 
Christine Maisch-Bischof
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Julia Wege mit Tochter Louise. © Thomas Tröster

Eigentlich ist Amalie ihr Baby, zumindest in beruflicher Hinsicht. Denn Julia Wege hat für die Beratungsstelle gekämpft. Und sie schließlich allen Widerständen zum trotz aufgebaut, als Armuts-Prostitution und die Schicksale der Frauen auch in Mannheim noch ein Tabu-Thema waren. Vor zwei Jahren folgte die 38-Jährige einem Ruf auf eine Professur an der Hochschule Ravensburg-Weingarten.

Heute ist sie mit dem Honorarkonsul der französischen Republik in Mannheim Folker Zöller verlobt, auch im „wahren“ Leben Mutter einer fast drei Monate alten Tochter und nach wie vor Ansprechpartnerin in Fachgremien und Medien, wenn eine Expertise zu dem komplexen Thema Prostitution gefragt ist. Im Interview spricht die Wissenschaftlerin über die Gründe ihres Jobwechsels, ihre immer noch enge Verbundenheit mit Amalie und dem Alltag als Professorin in Elternteilzeit.

"Es war der richtige Zeitpunkt"

„Wir nehmen am besten den Tisch dort im Schatten“, schlägt Julia Wege vor. Hier unter den ausladenden Baumkronen vor dem Lokal in den D-Quadraten lässt es sich gut erzählen. Und Louise kann im Kinderwagen neben ihrer Mama friedlich weiter schlummern: „Sie ist echt total pflegeleicht, schläft schon bis sieben Uhr morgens durch.“ Entsprechend entspannt wirkt auch die frischgebackene Mutter, auf eine wohltuende Art in sich ruhend: „Ja, das ist gerade eine super schöne Lebensphase.“ Und während sie ein Eis bestellt, scheinen die belastenden Aspekte ihres Berufsalltags für einen Augenblick in weite Ferne gerückt zu sein.

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Dennoch sind diese schweren Momente ein Grund dafür, warum Julia Wege ihre Arbeit bei Amalie aufgegeben hat. Nein, sie habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. „Aber es war der richtige Zeitpunkt“, resümiert sie. Schließlich hatte sie alle wichtigen Ziele erreicht. Eine Wohnung für Aussteigerinnen, eine umfassende medizinische Versorgung für Hilfesuchende, eine stattliche Gesamt-Spendensumme und die Fotoschau „gesichtslos“ in den Reiss-Engelhorn-Museen: „Diese Ausstellung spiegelt meinen großen Wunsch für die Frauen wider, dass sie einfach gesehen werden und ihren Platz in unserer Gesellschaft finden können.“ Und sicherlich ist die Berufung zur Professorin eine große Ehre.

"Das werde ich mein Leben lang nicht vergessen“

Doch wenn sie über ihre Beweggründe nachdenke, dann fallen ihr auch immer wieder die Schicksale der Hilfesuchenden ein. Die Endzwanzigerin, die Angst hatte, ihr Baby zur Welt zu bringen, weil ihr Zuhälter ihr mit den Worten gedroht hatte: „Wenn du nicht abtreibst, dann trete ich so lange auf deinen Bauch ein, bis das Kind tot ist.“ Gewalt, Armut, Ausgrenzung: „Wir waren jeden Tag ein Auffangbecken für Frauen, die Gefahr liefen, seelisch kaputtzugehen. Ihre Nöte, ihre Sorgen und Verzweiflung: Das werde ich mein Leben lang nicht vergessen.“

Um so stärker wuchs der Wunsch in ihr, zwar zu helfen, aber von einem anderen Blickwinkel und Ansatz aus. „Verstehen Sie mich bitte nicht falsch.“ Amalie liege ihr noch sehr am Herzen. Sie freue sich, dass die Arbeit von Astrid Fehrenbach und dem Team erfolgreich weitergeführt werde. Auch stehe sie über ihre Tätigkeit im Beirat jederzeit für Fragen zur Verfügung. „Doch im Rahmen der Professur habe ich nun die Möglichkeit, Sozialarbeiterinnen auf diesen Berufsbereich fachlich und methodisch vorzubereiten.“

Von der Waldorfschule zur Rotlichtthematik

Und wie kam die ehemalige Waldorfschülerin und Studentin der Sozialen Arbeit in Kontakt mit der Rotlichtthematik? Julia Wege war gerade mal 22 Jahre alt, als sie während eines Praktikums mit Wohnungslosen einer etwa Gleichaltrigen begegnete, die Männern für fünf Euro sexuelle Dienstleistungen anbot. Währen ihr viele Möglichkeiten für ihren Berufsweg offen standen, musste sie erfahren, dass es in unserer Gesellschaft eine Vielzahl von Frauen gibt, die von Armut und Schicksalsschlägen betroffen sind und kein selbstbestimmtes Leben gestalten können: „Das hat mich sehr bewegt.“ Schließlich erarbeitete sie in ihrer Masterarbeit zusammen mit ihrem Professor Martin Albert von der SRH-Hochschule das Konzept für Amalie. Deren Erfolg auch Honorarkonsul Zöller nicht verborgen blieb. Als sich die Frau, die er in einer Folge der ZDF-Serie „37 Grad“ als so nett und mutig empfunden hatte, eines Tages mit Amalie-Flyern an ihn wandte, wurde aus einer als kurz geplanten Begegnung ein zehnstündiges Gespräch. Und aus Zöller und Wege ein Paar.

Inzwischen macht sich Louise nicht gerade lautstark, aber doch entschieden bemerkbar: „Sie hat Hunger“, erklärt die Mama, die bis ein Jahr in Elternteilzeit ist. Doch bevor sie sich zum Stillen zurückzieht, drängt sich noch eine Frage auf: Was ist eigentlich aus der Schwangeren geworden, die bedroht wurde? „Die hat ihr Baby bekommen“, verkündet Julia Wege mit einem strahlenden Lächeln. Dass Frauen sich durch die Unterstützung von Amalie gegen einen Abbruch entschieden hätten, „und ich sie bei der Geburt begleiten konnte, hat mich wirklich tief berührt“. Eine junge Mutter habe das Team nach einer Beratung mit ihrer neuen Familie verglichen: „Da wurde mir klar, dass Amalie ein wichtiger Anker- und Wendepunkt im Leben dieser Frau ist.“

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