Mannheim. Wer sind die Männer, die für Sex bezahlen? Was erleben sie als „Kunden“ im Prostitutionsmilieu? Kerstin Neuhaus, Sozialarbeiterin und Geschäftsführerin des Vereins AugsburgerInnen gegen Menschenhandel, hat als Teil eines internationalen Forschungsteams um die amerikanische Psychologin Melissa Farley knapp 100 Freier in Deutschland dazu befragt. Am Donnerstag, 11. Mai, um 18.30 Uhr stellt sie nun ihre Forschungsergebnisse an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft in Ludwigshafen vor. Diese Zeitung hat vorab mit ihr gesprochen.
Frau Neuhaus, wenn wir von Freiern sprechen: Wie groß ist überhaupt der Anteil der Männer in Deutschland, die Sex kaufen?
Kerstin Neuhaus: Man weiß das nicht genau, weil viel unter der Hand passiert. Einer Schätzung zufolge sind es ein Million Männer am Tag. Der geschätzte Umsatz liegt bei 14 Milliarden Euro im Jahr.
Einer Schätzung zufolge kaufen ein Million Männer am Tag Sex.
Wer sind die Männer, die für Sex bezahlen? Kann man eine Sozialstruktur des Freiers feststellen?
Neuhaus: Nein, das geht quer durch die Gesellschaft. Freier gibt es in allen Bildungs- und Einkommensschichten und allen Religionszugehörigkeiten. Etwas mehr als die Hälfte war in einer Beziehung oder verheiratet. Mir persönlich ist in den Interviews aufgefallen, dass die befragten Männer alle einen starken Mangel an Empathie zeigten. Sie konnten sich überhaupt nicht in die Frau hineinversetzen.
Sie zeigen in der Studie auf, dass Freier sich häufiger Straftaten wie Gewalt gegen Frauen, Überfälle und Körperverletzung, Mord, Raub, Einbrüche, Eigentumsdelikte, Drogenverkauf und Drogenbesitz schuldig gemacht hatten. Sind Männer, die Sex kaufen, eher gewaltbereit?
Neuhaus: In den Interviews, die wir geführt haben, ist uns das aufgefallen. Was man erkennen kann, ist die Gewalttätigkeit der Männer sowohl gegenüber den Frauen in der Prostitution als auch in anderen Kontexten. Ich glaube schon, dass Prostitution Gewalt gegen Frauen fördert. Um das belegen zu können, ist unsere Zahl an Befragten aber zu klein.
Was wollen die Männer eigentlich? Sex, Zuwendung, Rache, Unterwerfung?
Neuhaus: Das ist unterschiedlich. Was wir in der Studie oft von Männern gehört haben, ist, dass Sex gegen Geld unkompliziert ist und man sich hinterher nicht mit der Frau auseinandersetzen muss. Das scheint ein großer Antrieb zu sein. Es geht aber auch ganz stark um die Ausübung von Macht. Der Mann kann über die Frau bestimmen. Er entscheidet, was passiert, und muss auf ihre Bedürfnisse überhaupt keine Rücksicht nehmen. Manche Männer berichteten aber auch, wie toll es war, dass die Frau so nett zu ihnen war und sie eine gute Verbindung gehabt hätten. Die Frauen spielen das den Männern natürlich vor. Ich habe so etwas noch nie von einer Frau in der Prostitution gehört.
Die Männer bezichtigen sich in einigen Antworten selbst der unterlassenen Hilfeleistung, wenn sie von Gewaltbeobachtungen berichten, aber nicht eingreifen. Wie wahrheitsgemäß schätzen Sie die Antworten der Freier ein?
Neuhaus: Ich denke schon, dass es der Wahrheit entspricht, vor allem weil sich die Antworten, was das Beobachten von Gewalt angeht, durch die ganze Studie hindurchziehen. Ich bin der Überzeugung, dass die Männer ganz genau Bescheid wissen, dass die Frauen dort nicht freiwillig sind.
Zeigen deutsche Freier Zwangsprostitution und Menschenhandel an, wenn sie diese beobachten?
Neuhaus: In unserer Studie war es nur einer, der seinen Verdacht bei der Polizei gemeldet hat. Wir haben in Deutschland eine extrem niedrige Anzahl von Menschenhandelsverfahren, nur knapp 300 pro Jahr. Das spiegelt nicht mal ansatzweise die Realität wider.
Haben die Männer ein Unrechtsbewusstsein gegenüber den Frauen, wenn diese sich sichtlich unwohl fühlen oder weinen?
Neuhaus: Den Eindruck hatte ich bei den Männern, die ich interviewt habe, nicht. Sie bezahlen dafür und fühlen sich im Recht, alles haben zu können.
Kerstin Neuhaus
- Kerstin Neuhaus ist Sozialarbeiterin und Geschäftsführerin des Vereins AugsburgerInnen gegen Menschenhandel.
- Sie engagiert sich seit 2014 zum Thema Prostitution und arbeitet international mit verschiedenen Organisationen zum Thema zusammen.
- In Berlin hat Neuhaus in der aufsuchenden Sozialarbeit im Bereich der Straßenprostitution und der Bordellprostitution gearbeitet.
- Auch als Künstlerin setzt sie sich gegen Prostitution ein, etwa bei bei Poetry Slams, Lesebühnen und Tagungen.
- Sie hält Vorträge zu den Themen „Soziale Arbeit im Bereich der Prostitution“, „Freier - die Nachfrageseite“ und „Das Nordische Modell“
Bedeutet das, dass Vergewaltigung in der Szene nicht existiert?
Neuhaus: Aus Sicht der Männer ja. Mehr als 30 Prozent der Männer haben in der Studie gesagt, dass das Konzept Vergewaltigung auf Frauen in der Prostitution überhaupt nicht greift.
Glauben Freier, dass Prostitution Vergewaltigungen verhindert?
Neuhaus: Ein Großteil der Freier hat dieser Frage tatsächlich zugestimmt. Gleichzeitig haben wir die Männer gefragt, ob sie selbst eine Vergewaltigung begehen würden, wenn ihnen keine Konsequenzen drohen würden. Das haben die meisten verneint.
Es ist also tatsächlich nur ein Mythos?
Neuhaus: Es wäre ein sehr trauriges Männerbild, wenn wir wirklich glauben würden, dass Männer solche triebgesteuerten Tiere sind. Dass sie sich so wenig im Griff haben, dass sie ohne Prostitution die nächste Frau auf der Straße überfallen würden. Und wenn es so wäre: Was wären wir für eine Gesellschaft, wenn wir einen bestimmten Prozentsatz von Frauen opfern würden, damit die anderen 80 Prozent ihre Ruhe haben?
Gekaufter Sex fördert Gewalt gegen Frauen, weil Männer in diesem Umfeld lernen, dass sie mit Frauen machen können, was sie wollen.
Wie hängen gekaufter Sex und sexuelle Gewalt zusammen?
Neuhaus: Gekaufter Sex fördert Gewalt gegen Frauen, weil Männer in diesem Umfeld lernen, dass sie mit Frauen machen können, was sie wollen. Sie lernen, dass sie ein Anrecht auf den weiblichen Körper haben.
Ist gekaufter Sex sexuelle Gewalt?
Neuhaus: Aus meiner Sicht ja, weil es einen Konsens umgeht. Erkaufter Sex ist kein Konsens, ein echter Konsens bräuchte kein Geld. Ich habe noch keine Frau in der Prostitution getroffen, die nicht in einer Zwangslage war, sei es wirtschaftliche, psychische oder dass ein Zuhälter dahinterstand. Das auszunutzen ist meiner Meinung nach sexuelle Gewalt.
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