Für politische Feinschmecker können Kommunalwahlen ein Leckerbissen sein. Im Unterschied zu anderen Wahlen dürfen sie ihre – in Mannheim insgesamt 48 – Stimmen ganz nach Belieben verteilen. Nicht nur, indem sie ihnen besonders gut gefallenden Aspiranten bis zu drei geben (kumulieren), sondern auch, indem sie welche auf mehrere Parteien verteilen (panaschieren).
Die Ergebnisse des Panaschierens hat nun ein ein junges Politikwissenschaftler-Team von der Mannheimer Universität ausgewertet. Dafür nutzten Jan Menzner, Chiara Schmid und Leonie Rettig die von der Stadt veröffentlichten Daten. Nach ihrer Analyse, die sie dem „MM“ zur Verfügung stellen, profitieren die Parteien und einzelne Protagonisten ganz unterschiedlich von den sogenannten Fremdstimmen. Darunter versteht man diejenigen, die auf Wahlbögen anderer Parteien abgegeben wurden. Wenn also beispielsweise jemand auf dem CDU-Bogen auch für manche Liberale gestimmt hat oder auf dem SPD-Bogen für manche Grüne.
FDP-Fraktionschefin mit mehr als zwei Dritteln Fremdstimmen
Fremdstimmen-Königin ist Birgit Reinemund. Von den insgesamt 20 015 Stimmen für die FDP-Fraktionschefin kommen 13 511 – also mehr als zwei Drittel – von anderen Parteilisten. Mit 13 257 folgt knapp dahinter Chris Rihm. Beim Grünen-Stadtrat machen die indes einen deutlich geringeren Anteil seiner insgesamt 46 741 Stimmen aus.
Auf Anfrage zeigen sich beide erfreut über ihre Spitzenplätze bei den Fremdstimmen. „Dann hat sich die Arbeit ja gelohnt“, meint Reinemund. Offensichtlich habe sich ihr vielfältiges Engagement etwa in Vereinen ausgezahlt. Rihm sagt, dass es ihm vor allem um Sachpolitik gehe, werde wohl über Parteigrenzen hinweg honoriert. So sei das schon bei der Kommunalwahl 2019 gewesen, als er noch für die CDU antrat. Das weiß der Grüne aus von der Stadt verschickten Auswertungen.
Nazan Kapan ist auch als Listenzehnte erfolgreich
Interessant ist, dass sich unter den Zehn mit den meisten Fremdstimmen niemand findet, der bei der Wahl einen schlechteren Listenplatz als den vierten hatte. Allerdings mit Ausnahme von Nazan Kapan, die Frauenhaus-Geschäftsführerin trat für die SPD auf dem zehnten Platz an.
Schaut man bei den Parteien auf Fremdstimmen-Anteile, sind die bei den kleinsten naturgemäß prozentual am höchsten. Besonders bei der Initiative „Schützt die Autos“, die als Einzige im Bewerberfeld nicht in den Gemeinderat einzieht. Sie hatte nur vier Studierende auf der Liste. Daher verwendete den Bogen kaum jemand bei der Kommunalwahl. Drei Viertel der Stimmen für „Schützt die Autos“ wurden stattdessen auf Bögen anderer Parteien angegeben. Den zweithöchsten Fremdstimmen-Anteil hat mit 55 Prozent die Klimaliste.
„Brandmauer zur AfD“ steht in einer Richtung recht stabil
Generell gilt die Faustformel, dass bei den größeren Parteien der prozentuale Anteil von Fremdstimmen tendenziell kleiner ist. Weil viele Anhänger auch einfach die unveränderte Liste in die Wahlurne stecken.
Eine Ausnahme von dieser Regel gibt es allerdings: Die AfD holte bei der Kommunalwahl das viertbeste Ergebnis. Aber bei den Fremdstimmen liegt sie mit nur 4,3 Prozent abgeschlagen auf dem letzten Platz. „Das zeigt, dass die Brandmauer zur AfD in diese Richtung jedenfalls funktioniert“, kommentiert Politikwissenschaftler Menzner.
Er und seine Mitstreiterinnen wollten auch wissen, wer umgekehrt von Stimmen der Anhänger jener Partei am stärksten profitiert. Das sind nach ihren Auswertungen die CDU und die Freien Wähler/Mannheimer Liste (ML). Die Christdemokraten erhielten 13 222 AfD-Fremdstimmen, die ML bekam 12 301.
Was die einzelnen Protagonisten angeht, entfielen auf CDU-Fraktionschef Claudius Kranz mit 1131 die meisten Fremdstimmen von der AfD, dicht gefolgt von ML-Stadtrat Achim Weizel (1127) und Parteifreundin Martina Herrdegen (1029). Aber hier gilt natürlich, dass sich niemand seine Wähler aussuchen kann.
Ein großes Ungleichgewicht gibt es zwischen Grünen und SPD
Das Politikwissenschaftler-Team hat auch herausgefunden, dass es beim Austausch zwischen einzelnen Parteien mitunter ein großes Ungleichgewicht gibt. Vor allem jenes: Während von Grünen-Bögen mehr als 110 000 Stimmen an die SPD gingen, waren es in entgegengesetzter Richtung nur etwa 54 000. Offenbar sind die Sozialdemokraten den Anhängern der einstigen Ökopartei sympathischer als umgekehrt.
In der Analyse von Menzner, Schmid und Rettig steht außerdem, die Grünen-Anhänger hätten ferner die eher links tickenden Kleinparteien gestärkt, also die satirische PARTEI, die Tierschutzpartei und die Klimaliste. Umgekehrt seien von denen allerdings auch viele Fremdstimmen zurückgeflossen.
Im bürgerlichen Lager sei die CDU der größte Nutznießer von Fremdstimmen, heißt es in der Auswertung. Die von FDP-Bögen seien zu 31,8 Prozent an sie gegangen, von ML-Bögen zu 26,6 und von AfD-Bögen zu 25 Prozent.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Analyse der Mannheimer Kommunalwahl: AfD-Anhänger darf man nicht aufgeben