Mannheim. Der Junge ist 13 Jahre alt, er erzählt, dass er gerne mehr Zeit mit seiner Mutter verbringen würde. Aber die hat drei Minijobs und ist selten da. Der Vater ist gestorben. Er habe noch seine Großeltern, die seien nett. „Aber man kann nicht richtig mit ihnen reden“, sagt er. Ein Mädchen (15) ist verzweifelt: „Es wird alles zu viel, in der Schule habe ich den Anschluss verloren, das kann ich nie wieder aufholen, meine Eltern streiten nur und mit meiner besten Freundin ist es auch nicht mehr wie früher.“ Eine Mutter erzählt von ihrer Tochter, die nicht zur Schule gehen will. Sie hat Kopfweh und Bauchweh, versäumt immer mehr Unterricht. „Ich komme überhaupt nicht mehr an sie heran, der Hausarzt konnte auch nicht wirklich helfen.“
"Nummer gegen Kummer" gibt es bundesweit
Jeden Tag erreichen die „Nummer gegen Kummer“ solche Anrufe. Von verzweifelten Kindern und hilflosen Eltern. Mehr als 4500 waren es im vergangenen Jahr in Mannheim. Vor der Pandemie ging es vor allem um Streit in der Familie, um Konflikte mit der besten Freundin, dem besten Freund oder um Schwierigkeiten in der Schule. Seitdem sind die Probleme ernster geworden. „Die Kinder und Jugendlichen oder ihre Eltern erzählen von fehlender Motivation und sexuellen Übergriffen, von Gewalt und psychischen Problemen wie Ängste, Depressionen und Essstörungen“, sagt Ursula Fohl, die beim Mannheimer Kinderschutzbund das Kinder- und Jugendtelefon sowie des Elterntelefon, eben die „Nummer gegen Kummer“, koordiniert.
Hilfe und Kontakt
- Am Kinder- und Jugendtelefon finden Kinder und Jugendliche von montags bis samstags von 14 bis 20 Uhr anonym und kostenlos Unterstützung.
- Die Rufnummer ist 116 111.
- Das Elterntelefon ist unter 0800 111 0 550 zu erreichen.
- Eine Online-Beratung ist möglich unter nummergegenkummer.de
- Der Kinderschutzbund ist bei vielen Aufgaben auf Spenden angewiesen.
- Spendenkonto: Sparkasse Rhein Neckar Nord, IBAN: DE42 6705 0505 0030 1850 64, BIC: MANSDE66XXX
- Wer sich ehrenamtlich engagieren möchte: Telefon 0621 2 20 11
Viele Kinder und Jugendliche hätten nach den Schulschließungen in der Corona-Zeit große Schwierigkeiten, in den geregelten Schulalltag und ihr soziales Umfeld zurückzufinden. „Das Wegfallen vieler bisheriger Gewissheiten wirkt noch immer nach“, betont Fohl. Schlechte Zensuren aufgrund der entstandenen Lücken seien zusätzlich demotivierend, die Angst, auf der Strecke zu bleiben, sei groß.
Die Beraterinnen und Berater am anderen Ende der Leitung hören zu, sie nehmen die Sorgen und Nöte ernst, versuchen, den Druck zu mindern, und nach Lösungsideen zu suchen. Nach einem Namen fragen sie nie, über das Gesagte schweigen sie. Die „Nummer gegen Kummer“ gibt es bundesweit, dahinter steht ein Verein, wobei die Träger vor Ort meist die Verbände des Deutschen Kinderschutzbundes sind.
So auch in Mannheim. Das Angebot ist kostenlos, und auch die Beraterinnen und Berater arbeiten ehrenamtlich. Sie müssen allerdings eine umfassende Ausbildung in Gesprächsführung sowie jugend- und familienrelevanten Themen durchlaufen, außerdem finden regelmäßig Fortbildungen und Supervisionen statt. Das Geld, das dafür benötigt wird – rund 5000 Euro pro Berater – stammt rein aus Spenden.
Wie überhaupt ein Großteil der Arbeit des Kinderschutzbundes spendenfinanziert ist. Im vergangenen Jahr lag das Budget für den Mannheimer Verband bei 252 000 Euro. Etwas mehr als die Hälfte sind Zuschüsse unter anderem von der Stadt Mannheim, für die der Kinderschutzbund Aufgaben übernimmt. Dazu zählt zum Beispiel der „Begleitete Umgang“, eine zeitlich befristete Maßnahme der Jugendhilfe, wenn es Eltern nach einer Trennung oder Scheidung nicht gelingt, eine einvernehmliche Regelung für den Kontakt des Kindes zum getrennt lebenden Elternteil zu finden.
Kinderschutzbund stellt Eltern Familienpaten an die Seite
In der Regel ordnen die Familiengerichte einen begleiteten Umgang an; im Schnitt sind pro Jahr hundert Elternpaare in dem Programm. „An erster Stelle steht das Recht des Kindes auf Umgang mit beiden Elternteilen, daraus entsteht die Pflicht der Eltern, alles dafür zu tun, damit das Kind zu seinem Recht kommt“, erklären Melissa Orzhevsky und Anna Schuler, die das Angebot betreuen.
Newsletter "Guten Morgen Mannheim!" - kostenlos registrieren
Daneben stellt der Kinderschutzbund Eltern Familienpaten an die Seite, die im Alltag entlasten; lädt zwei Mal im Monat Trennungsfamilien zu einem Elterncafé ein; bietet Kindern eigene Beraterinnen und Berater an, mit denen sie über die schwierige Situation nach einer Trennung der Eltern sprechen können; berät Mütter schon während der Schwangerschaft, damit der Start ins Familienleben gelingt, ein Angebot, das es nur noch in Essen gibt und von den Betriebskrankenkassen Südzucker, Freudenberg und PwC kofinanziert wird.
„Bei all dem, was wir tun, steht das Kind im Mittelpunkt“, betont Iris Krämer, Vorsitzende des Mannheimer Kinderschutzbundes. Tun würde sie gerne noch mehr – wenn es denn mehr Geld gäbe. „Bei den Familienpaten beispielsweise stehen aktuell zehn Familien auf der Warteliste.“ Auch das Kinder- und Jugendtelefon, bei dem sich viele junge Leute engagieren und die Fluktuation entsprechend hoch ist, könnte noch mehr Berater gebrauchen. Immerhin, ab Januar wird sich der Kinderschutzbund räumlich erweitern und über eine zusätzliche große Wohnung in dem Haus in N 3 verfügen.
Fohl macht bei der „Nummer gegen Kummer“ oft die Erfahrung, dass Kinder und Jugendliche nicht wissen, wie sehr sie gebraucht werden und welche Rolle sie für die Gesellschaft spielen. „Wenn wir ihnen zeigen, wie wichtig sie für uns sind, ist schon ein großer Schritt getan.“
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-wenn-kinder-von-sorgen-erdrueckt-werden-_arid,1997600.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html
Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Kinder, erhebt eure Stimme!