Stadtgeschichte

Welt-Toilettentag: Mannheimer "Geschäftshäuser" für dringende Fälle

Von wegen WC-Container! Als noch Begriffe wie Abort oder Pissoir üblich waren, machten die WC-Häuschen in Mannheim auch architektonisch etwas her. Und boten einigen Diskussionsstoff. Ein Rückblick zum Welt-Toilettentag

Von 
Waltraud Kirsch-Mayer
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Mannheims Stadtbaumeister Richard Perrey entwarf auch die 1906 erbaute Luisenpark-Bedürfnisanstalt an der Ecke Kolping-/Otto-Beckstraße. © Marchivum

Mannheim. Örtlichkeiten, die Bedürfnis sind, gehören zur kommunalen „Daseinsfürsorge“. Sozusagen ein Muss! Schließlich soll die Notdurft, wenn’s pressiert, nicht in Not bringen. Dies galt schon, als noch Bezeichnungen wie Abort, Pissoir oder Urinal üblich waren. Angesichts des Welt-Toilettentags jeweils am 19. November bietet sich ein Rückblick in jene Zeiten an, da öffentliche Klohäuschen von renommierten Baumeistern repräsentativ gestaltet wurden und somit der sprichwörtlichen Redewendung entsprachen, dass dorthin selbst der Kaiser zu Fuß geht.

Vom Abort zur Toilette

  • Laut der Vereinten Nationen haben 3,6 Milliarden Menschen keinen Zugang zu hygienischen Sanitäranlagen, was Krankheiten Vorschub leistet. Darauf macht am 19. November der Welttoilettentag aufmerksam, 2003 erstmals ausgerufen.
  • Der aus dem Französischen stammende Begriff Toilette meinte zunächst „toile“ für Leinen auf einem Friseurtisch.
  • Die verhüllende Bedeutungsübertragung für eine Örtlichkeit zwecks Erleichterung sollte sich bei uns erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts so richtig einbürgern.
  • Toilette machen“ für „sich ankleiden“ oder „zurechtmachen“ kursierte freilich schon weit früher. Außerdem bedeutete „Toilettefestliche Damengarderobe

Die Journalistin staunt: Die im Marchivum-Lesesaal rund um ein gemeinhin als anrüchig empfundenes Thema bereitgelegten Rathaus-Akten füllen drei Ordner. Beim Blättern in den ab 1907 beginnenden Unterlagen schwirren Amtsstuben durch den Kopf, in denen Bedienstete mit Ärmelschonern sitzen. Jedenfalls verleiten zu dieser Vorstellung in akkurater (Sütterlin-)Handschrift verfasste Vermerke, die mit Floskeln wie „höflichste Erwiderung“ überschrieben und mit „ergebenst“ unterzeichnet sind.

„Unvergängliches Material“

Dass sich die Stadt Mannheim Aborte im öffentlichen Raum etwas kosten ließ, davon kündet ein 1899 aufgenommener Kredit von 51 000 Mark für zusätzliche Bedürfnisanstalten. Beispielsweise wurde vor 115 Jahren im Bürgerausschuss das etwas andere „Geschäftshaus“ auf dem „Meßplatz jenseits des Neckars“ mit 12 500 Mark veranschlagt.

Generell sollte „möglichst unvergängliches Material“ verwendet werden. Und so sind Metallteile vernickelt, Böden bis zu einer Höhe von 60 Zentimetern mit poliertem belgischen Granit ausgestattet, Trennungswände aus weißglasierten Steinen hergestellt worden.

Eine Bürger-Initiative verhinderte den drohenden Abriss des seit 1908 auf dem Neumarkt in der Neckarstadt stehenden Aborthäuschen. © MLO_Beduerfnisanstalt_GP00005-03

Ebenfalls aufwendig die Dachgestaltung. Von wegen schlichter Zweckbau in der Art heute üblicher WC-Container. Für das Giebeldach des „Abortgebäudes Meßplatz“ wurden beispielsweise braun lackierte Bi(e)berschwänze verwendet. Außerdem verarbeiteten Spengler „Wachwitzmetall“ und damit kupferplattiertes Stahlblech.

Geplant vom Stadtbaurat

Und für Stadtbaurat Richard Perrey, der Anfang des 20. Jahrhunderts das Gesicht der Quadratestadt prägte, war selbstverständlich, nicht nur Großprojekte wie das Herschelbad, die Alte Feuerwache oder die schlossähnlichen Krankenanstalten zu planen: Er entwarf auch trutzig- schmucke Gebäude für allzu menschliche Verrichtungen.

Mindestens zehn Bedürfnisanstalten sollen nach seinen Plänen entstanden sein. Beispielsweise das Aborthäuschen am Wasserturm, das sich fast malerisch in eine Grünanlage einfügte, aber Mitte der 1930er der Umgestaltung des Wasserturm-Vorplatzes weichen musste. 14 freistehende Aborte gab es Anfang des letzten Jahrhunderts, anno 1921 gut zwei Dutzend.

Mitte der 1930er Jahre musste die 1910 am Wasserturm errichtete Bedürfnisanstalt der Neugestaltung des Vorplatzes weichen. © Marchivum

Im Stadtrat war die liebe Not mit der Notdurft Dauerthema. So beschloss das Gremium 1918, dass in den Bedürfnisanstalten versuchsweise jeweils ein „Freisitz“ für Frauen eingebaut werden soll. Weil sich wohl „Damen-Sitzungen“ länger hinzogen als „Hose auf und zu“ bei Männern, gingen mancherorts die (Gebühren-)Entgelte zurück – worauf die Kommune den Abort-Pachtzins senkte.

Jugendstil lässt 1906 grüßen: Das einst für die Capuzinerplanken (Standort N 6 / O6) entworfene Abort-Häuschen in Art eines Viereck-Turmes fiel optisch aus dem Rahmen. © Marchivum

Es waren vor allem Witwen, die mit dem Reinigen und Beaufsichtigen solcher Anlagen die Familie kärglich ernährten. Die Stadt verpflichtete sogenannte Wartefrauen zum Einhalten „peinlicher Sauberkeit“. Laut eines Vertrags von 1906 mussten Klo-Häuschen im Frühjahr wie im Sommer von 7 bis 21 Uhr und in den übrigen Monaten von „8 bis 8“ offen gehalten werden. Sofern die Kommune Klopapier stellte, sollten die Rollen unter Verschluss gehalten und jeweils nur zwei bis drei Blätter ausgegeben werden.

Nicht nur an Straßen und Plätzen gab es „öffentliche“ Bedürfnisanstalten – auch im Waldpark. © Marchivum

Während Pissoirs gebührenfrei waren, kostete das Benutzen eines Klosetts je nach Ausstattung, nämlich 1. und 2. Klasse, zehn beziehungsweise fünf Pfennige. Es gab aber auch Personengruppen, die „fer umme“ durften, wenn sie mussten. Beispielsweise Straßenarbeiter. Wer Berechtigungsmarken für den Nulltarif auf dem „Null Null“ bekam, legte der Stadtrat fest.

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Und 1915 beschäftigte, dass der blaue Anstrich des Marktplatz-Aborts farblich nicht zur Fassade des Rathauses passte. Außerdem forderte verstärkt nach dem Ersten Weltkrieg heraus, dass geklaut wurde, was nicht niet- und nagelfest war – ob Türbeschläge, Rohrstücke, Fensterteile. Salopp könnte man sagen, öffentliche Aborte wurden gleich (noch nicht erfundenen) Baumärkten genutzt.

Zutritt per Münzeinwurf

Als Sperrverriegelungen kombiniert mit Münzeinwurf in Mode kamen, eroberte solcherart Technik auch Klosettanlagen. Zum Einordnen: Bereits 1912 haben die ersten Reclam-Bücher-Automaten, die gegen vier Groschen mit „Lesefutter“ versorgten, zum Siegeszug angesetzt.

Auf Bahnhöfen und nicht in Bedürfnisanstalten, wo aber später gleichwohl Verkaufsautomaten hängen sollten. Freilich spuckten diese Kondome statt Romane aus. Und lange davor hielten Türschließautomaten mit Geldschlitz Einzug, um als „Kontrollapparate für Klosett und Waschräume“ zu dienen. Und so konnten Wartefrauen mehrere Abortanlagen betreuen.

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Unser Rückblick auf stille Örtchen, um die es manch laute Debatte gab, soll hier enden. Zum Abschluss noch eine Anekdote. In den Akten taucht mit Datum August 1946 folgender Vermerk auf: Jenes an der Friedrich-Ebert-Brücke im Bombenhagel unbeschädigt gebliebene Klo-Gebäude (samt Wartefrau-Raum) soll angesichts einer nahezu zerstörten Innenstadt als Aufenthaltsdomizil für Stadtwerke-Bedienstete umgewidmet werden. Bedürfnisanstalten bedienten eben mannigfach Bedürfnisse.

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