Mannheim. Jeder zehnte Cannabis-Konsument entwickelt eine Abhängigkeit. Kirstin Klemp vom Mannheimer Drogenverein und Sabine Fingberg von Plan B in Pforzheim fordern mehr Geld für Präventionsarbeit und ein Ende der Stigmatisierung. Denn sonst kommt keiner freiwillig in eine Beratungsstelle.
Am Donnerstag veranstaltet der Mannheimer Drogenverein ein Symposium „Cannabis reguliert?! Und dann…“. Und dann, Frau Klemp, Frau Fingberg?
Sabine Fingberg: Wenn die Freigabe so kommt, wie von der Bundesregierung geplant, brauchen wir mehr Prävention. So steht es ja auch in den Eckpunkten zur Legalisierung: Aufklärung, Prävention, Beratung und Behandlungsangebote sollen ausgebaut werden, besonders im Hinblick auf Jugendliche.
Warum insbesondere im Hinblick auf Jugendliche?
Kirstin Klemp: Weil vor allem Jugendliche und junge Erwachsene Cannabis konsumieren.
War das schon immer so?
Fingberg: Das war auch früher schon so, man schaut heute nur genauer hin. Seit mehr als zehn Jahren gibt es in Baden-Württemberg das Projekt FreD, „Frühintervention bei erstauffälligen Drogenkonsumierenden“, das den Blick auf junge Konsumentinnen und Konsumenten gerichtet hat. Dabei hat man festgestellt, dass der Bedarf viel größer ist als gedacht.
Kirstin Klemp
- Seit 22 Jahren ist die Diplom-Sozialarbeiterin (FH) beim Drogenverein.
- Sie leitet den Bereich Beratung, Behandlung und Psychosoziale Substitutionsbegleitung. sba
Sabine Fingberg
- Seit 1989 arbeitet die Diplom-Sozialpädagogin (FH) bei Plan B in Pforzheim, einer Einrichtung für Jugend-, Sucht und Lebenshilfen.
- Seit 1999 leitet sie den Präventions- und Frühinterventionsbereich. sba
Das trifft auch für Mannheim zu?
Klemp: Die Klientengruppe der Heroinkonsumenten hat über viele Jahre einen Großteil unserer Beratungstätigkeit ausgemacht. Gerade in den letzten zehn Jahren ist aber der Anteil der jungen Cannabiskonsumentinnen und -konsumenten mehr und mehr angestiegen.
Warum kommen die zu Ihnen?
Klemp: Weil sie einen riskanten Konsum haben oder sogar eine Abhängigkeit.
Wie groß ist das Risiko einer Abhängigkeit?
Fingberg: Eine große Rolle spielt, wann der Einstieg stattfindet und wie häufig konsumiert wird. Je jünger der Jugendliche, die Jugendliche ist und je regelmäßiger er oder sie konsumiert, desto größer ist das Risiko einer Abhängigkeit. Laut Untersuchungen trifft das auf etwa zehn Prozent zu.
Und die sitzen dann bei Ihnen in der Beratung, Frau Klemp?
Klemp: Ja, leider ist das viel zu spät.
Fingberg: Deshalb ist die Frühintervention so wichtig. Dass die Betroffenen, und dazu zählen auch die Eltern, nicht so lange warten. Der Beratungsprozess wird, je später er beginnt, umso intensiver, dauert länger, und die Erfolgsaussichten sind geringer.
Newsletter "Guten Morgen Mannheim!" - kostenlos registrieren
Aber wer würde auch schon in eine Drogenberatung gehen wollen?
Fingberg: Das ist in der Tat ein Problem. Wir haben uns deshalb vor ein paar Jahren umbenannt: in Plan B. Klemp: Diese Diskussion führen wir auch immer wieder. Die Kriminalisierung spielt eine große Rolle, das ist mit ganz viel Tabu verbunden. Wir haben viele Anfragen von Angehörigen aus dem Umland, weil die sich nicht trauen, in ortsansässige Beratungsstellen zu gehen, um nicht von Nachbarn gesehen zu werden. Menschen fällt es leichter, wenn mit der Institution nicht gleich eine Abhängigkeitserkrankung in Verbindung gebracht wird.
Befürchten Sie nicht, dass durch eine Legalisierung von Cannabis erst recht der Eindruck entsteht, hier handele es sich um eine harmlose Droge?
Fingberg: Gegen eine solche Denkweise müssen wir gegensteuern, und zwar mit einer universellen Prävention, die sich an die allgemeine Bevölkerung richtet, an Erwachsene und Jugendliche. Das Thema gehört beispielsweise in den achten Klassen auf den Lehrplan. Daneben müssen wir früh Interventionsangebote machen für diejenigen, die bereits konsumieren. Und wir müssen an die Orte gehen, wo konsumiert wird, in die Diskotheken und die Plätze in den Städten, wo sich junge Menschen aufhalten.
Klemp: Prävention ist ein breites Feld, aktuell haben wir aber kaum Ressourcen.
Das heißt, es fehlt an Geld?
Klemp: Es ist ein Begründungsmix. Wir sind in unseren anderen Angeboten ausgelastet, finden aufgrund des Fachkräftemangels kaum Personal und verfügen als Drittes auch über keine Geldressourcen, um Prävention umzusetzen.
Laut den Eckpunkten, die zur Legalisierung vorliegen, soll jeder ab 18 Jahren Cannabis erwerben können. Allerdings sollen an unter 21-Jährige nur Produkte mit einem geringeren THC-Gehalt, der berauschenden Substanz, abgegeben werden. Ist das sinnvoll?
Fingberg: Das kommt darauf an, auf was man schaut. Wenn man auf die Gesellschaft schaut, ist das nicht sinnvoll, denn Verbote oder Einschränkungen werden das Ganze nicht regeln. Junge Erwachsene werden trotzdem konsumieren, auch höher dosiertes Cannabis. Der Schwarzmarkt würde also weiter befeuert werden. Schaut man auf die Gesundheit junger Menschen, dann sind solche Obergrenzen sinnvoll. Das junge Gehirn ist noch in der Entstehung und Auslotung, Cannabis kann die Hirnstrukturen ändern und das unter Umständen langfristig.
Mit welchen Folgen?
Fingberg: Es können sich Psychosen und Depressionen entwickeln, die Merk- und Konzentrationsfähigkeit leidet. Nicht immer erholt sich das jugendliche Gehirn davon.
Warum diskutieren wir dann überhaupt über eine Freigabe?
Klemp: Um das Thema aus der Schmuddelecke herauszuholen. Eins ist ja klar: Die Strafverfolgung hat nicht die Lösung gebracht. Eine Änderung der Drogenpolitik ist also überfällig. Aber es gibt viele Fragezeichen.
Wie lösen andere Länder das Problem?
Fingberg: Keiner hat eine echte Lösung. Kanada kommt den deutschen Plänen noch am nächsten. Doch auch dort war man zuletzt nicht allzu optimistisch. Der Schwarzmarkt löst sich ja nicht auf Knopfdruck auf, diese Erwartung zu haben, wäre falsch.
Klemp: Was wir machen müssen, ist umdenken in Bezug auf Information und Wissen. Wir müssen breit informieren, und eine Suchtberatungsstelle muss ein Ort werden, der ohne Vorurteile und Angst vor Stigmatisierung betreten werden kann.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-welche-risiken-eine-cannabis-legalisierung-mit-sich-bringt-_arid,2018789.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html