Kriminalität

Was passiert, wenn sich ein Straftäter ins Ausland absetzt?

Wenn ein Täter oder mutmaßlicher Täter sich in ein anderes Land absetzt, sind deutschen Strafverfolgungsbehörden unter Umständen die Hände gebunden. Ein Interview mit einer Fachanwältin

Von 
Stefanie Ball
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Die Strafverfolgung von Beschuldigten, die sich ins Ausland abgesetzt haben, ist sehr kompliziert. © Istock

Mannheim. Wenn Beschuldigte ins Ausland flüchten, wird die Strafverfolgung schwierig. Carolin Hierstetter ist Fachanwältin für Strafrecht und erklärt die rechtliche Situation. 

Frau Hierstetter, was passiert, wenn ein mutmaßlicher Täter oder ein bereits verurteilter Täter sich ins Ausland absetzt? 

Carolin Hierstetter: Das kommt auf das Land an, in das er flüchtet. Bleibt er in der EU, kann er mithilfe eines Europäischen Haftbefehls überstellt werden. Andernfalls müsste man eine Auslieferung über völkerrechtliche Abkommen oder einen internationalen Haftbefehl erwirken. Allerdings müssen für eine Auslieferung oder Überstellung bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. 

Strafverteidigerin Carolin Hierstetter



  • Carolin Hierstetter ist ausschließlich im Bereich der Strafverteidigung tätig. Sie ist Fachanwältin für Strafrecht, zertifizierte Beraterin für Steuerstrafrecht und zertifizierte Verteidigerin für Jugendstrafrecht.
  • Sie hat Rechtswissenschaften an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg studiert und im Anschluss ihr Referendariat in München und Sydney (Australien) absolviert.
  • Nach einer Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Anwaltstätigkeiten in München und Karlsruhe hat sich Hierstetter 2016 mit ihrer eigenen Kanzlei in Mannheim selbstständig gemacht hat. 

Welche sind das? 

Hierstetter: Die Tat muss sowohl in Deutschland als auch in dem Land, in dem sich die Person aufhält, strafbar sein. Die Straftat muss auch eine gewisse Schwere aufweisen, ein einfacher Diebstahl würde nicht darunterfallen. Es darf außerdem kein Auslieferungshindernis vorliegen, das heißt, wenn anzunehmen ist, dass der Person, die ausgeliefert wird, in dem Land die Todesstrafe oder eine unmenschliche Behandlung droht, darf sie nicht ausgeliefert werden.  

Um zu verhindern, dass eine Person vor einem Prozess flüchtet, könnte man sie doch in Untersuchungshaft nehmen, oder nicht? 

Hierstetter: Das ist möglich, ja. Dann müsste das Gericht einen Haftbefehl erlassen und in Vollzug setzen. Hierfür ist erforderlich, dass ein sogenannter dringender Tatverdacht einer Straftat und zudem ein Haftgrund vorliegt, wie beispielsweise der der Fluchtgefahr. Eine Inhaftierung muss darüber hinaus auch verhältnismäßig sein.  

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Und das ist nicht so einfach möglich? 

Hierstetter: Das ist schon möglich, wenn die eben genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Im Falle von Beschuldigten, die zum Beispiel einen türkischen Pass haben, stellen die Strafverfolgungsbehörden beim Thema Fluchtgefahr auch genau darauf ab. Insbesondere dann, wenn noch Familie in der Türkei lebt. Die Fluchtanreize seien in diesem Fall zu hoch. Für einen Strafverteidiger ist das allerdings nicht immer nachvollziehbar.  

Aber würde die Türkei denn einen Täter oder mutmaßlichen Täter ausliefern? 

Hierstetter: Die Türkei ist zwar dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen von 1957 beigetreten, aber in deren Verfassung steht, dass kein türkischer Staatsbürger an ein anderes Land ausgeliefert wird. Verfassung sticht Abkommen. Insofern: Nein, die Türkei liefert eigene Staatsbürger nicht aus, auch nicht nach Deutschland. 

Die Person käme also straffrei davon? 

Hierstetter: Solange sie sich verborgen hält, ja. Allerdings besteht für die deutsche Justiz auch die Möglichkeit, einen internationalen Haftbefehl zu erlassen. Die in Deutschland ermittelnde Behörde, die Staatsanwaltschaft, würde den Erlass dieses Haftbefehls bei Gericht beantragen. Interpol koordiniert hiernach die Fahndung. Reist die Person dann in ein Drittland aus, könnte sie dort auf Basis dieses internationalen Haftbefehls festgenommen und nach Deutschland ausgeliefert oder überstellt werden. 

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Was ist, wenn ein Täter schließlich ausgeliefert wird, sich im Laufe des Verfahrens aber weitere Taten ergeben? 

Hierstetter: Dann bleiben diese zunächst unberücksichtigt. Der ausgelieferte Täter kann nur für die Straftat verfolgt werden, für die die Auslieferung bewilligt wurde.   

Könnte ein anderes Land auch die Strafverfolgung übernehmen, der Prozess einfach dort stattfinden? 

Hierstetter: Es gilt grundsätzlich das Tatort- beziehungsweise Territorialitätsprinzip: Die Straftat wird dort angeklagt, wo sie begangen wurde. 

Freie Autorin

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