Ukrainische Sinti-und-Roma-Geflüchtete abgewiesen? - Klärendes Gespräch nach Rassismusvorwurf

Was nach Rassismusvorwürfen am Mannheimer Hauptbahnhof geschah

Von 
Lea Seethaler
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Die Familien aus der Ukraine sind in der Region angekommen. © Katarzyna Mandel

Mannheim. Als Natice Orhan-Daibel mitten in der Nacht ihren Facebook-Post absetzt, ist sie aufgebracht, wütend. „Welcome to Germany“ beginnt sie ironisch ihren ausführlichen Post. Dann beschreibt die Bahnhofshelferin, was sich in der Nacht auf vergangenen Donnerstag am Mannheimer Hauptbahnhof ereignet haben soll. Eine Gruppe geflüchteter Sinti und Roma aus der Ukraine sei an der Bahnhofslounge abgewiesen worden. Dort gebe es normalerweise Getränke und Snacks, es sei eine der ersten Anlaufstellen für ankommende Geflüchtete. Zudem sei der Gruppe die Übernachtung dort verwehrt worden, die aktuell Geflüchteten zustehe. Es habe sich um sieben bis acht Erwachsene, kleine Kinder und ein Baby gehandelt. „Für solche Menschen ist hier kein Platz“, habe ein Mitarbeiter der Deutsche Bahn (DB) Sicherheit gesagt, als Begründung.

Auf Facebook schreibt Orhan-Daibel, ihr sei auf Nachfrage nach dem Grund auch gesagt worden, dass „solche Menschen die Lounge auf den Kopf gestellt haben, den ganzen Boden verdreckt haben und Spenden gestohlen haben, die sie in der Bahnhofshalle verkauft haben“. Sie habe daraufhin angeboten, da sie von von dem Vorfall gewusst habe, dass sie und ihre Helfer die Gruppe beaufsichtigen können. Auch dies sei abgelehnt worden.

Orhan-Daibel schreibt weiter: „Im ,weißen Fall’ sieht das so aus: Wenn das DRK Feierabend macht, übernimmt die DB Sicherheit und schaut alle paar Stunden in der Lounge nach dem rechten.“ Doch plötzlich sei der Eingangsbereich „voll Polizisten (die dann alle Ausweise kontrollierten), noch mehr Personal der DB Sicherheit“ gewesen. Auch eine Frau mit Dobermann sei dabei gewesen, schildert sie. Während des Telefonates, um bei Orhan-Daibel nachzuhören, merkt man, dass dieser Vorfall sie noch immer sichtlich bewegt. Sie beschreibt, dass für sie „sofort erkennbar“ war, dass es ukrainische Geflüchtete waren, nicht nur an der Sprache: „Am vielen Gepäck, an den übermüdeten Gesichtern, an den fragenden Blicken, an dem desolaten Zustand der Kinder“, habe sie es erkannt. Was aber ihr „Herz erfreut" habe, seien die „bunten und glitzernden“ Röcke der Frauen der Gruppe gewesen. „Ich habe noch nie Menschen gesehen, die solche tollen Röcke trugen! Denn es sind Roma“, schreibt Orhan-Daibel, die an diesem Tag mit ihren Helfern eine in Chatgruppen angekündigte Gruppe Geflüchteter aus dem ukrainischen Lemberg erwartete. „Dort gibt es eine große Roma-Community“, erklärt Orhan-Daibel.

„Und dann sind sie da gestanden, mit ihren bunten Röcken mit Tüll“, sagt Orhan-Daibel am Telefon. „Und ich hoffe, dass sie in ihrer Buntheit hier leben können“, sagt sie und plötzlich klingt ihre Stimme tränenerstickt. Man versteht sie sehr schlecht und sie versucht, weiter zu reden. „Ich habe sehr viel gesehen in den letzten Tagen, ich dachte, es wäre schön, wenn sie gut ankommen. Da waren Kinder, die haben mir nicht mal mehr in die Augen sehen können, so traumatisiert waren sie." Und weiter: „Und dann werden sie in dieser Manier behandelt. Sie sind geflohen vor den Bomben, wir sind alle gleich“, sagt die Mannheimerin. „Wissen Sie, ich habe türkische Wurzeln, wenn hier Bomben auf Mannheim fallen, kann ich dann nicht fliehen, während alle deutsche Staatsangehörigen fliehen können und wo anders aufgenommen werden, aber ich nicht?“, fragt sie und ihre Stimme überschlägt sich fast.

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Persönlich getroffen

Eine Bahnsprecherin sagt auf „MM“-Anfrage zum Vorfall: „Zum geschilderten Fall haben wir bereits ein Gespräch mit den Beteiligten geführt. Wir bedauern an dieser Stelle ausdrücklich, dass es in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag im Rückzugsraum für Geflüchtete des Mannheimer Hauptbahnhofes zu Missverständnissen gekommen ist.“ Und weiter: „Unser Mitarbeiter hat sich hierzu auch persönlich entschuldigt. Klar ist, dass die Bahn gemeinsam mit der Bundespolizei täglich für die Sicherheit der Geflüchteten im Bahnhof Sorge trägt und ihre Verantwortung sehr ernst nimmt. Die gute Zusammenarbeit aller ist von Anfang an getragen vom gleichen Ziel, Menschen in Not zu helfen. Und so wird es bleiben.“

Die DB helfe aktuell vielfältig und schnell: „Wir stellen Räume zur Verfügung, unterstützen Bahnhofsmission und Organisationen, wo wir können, und bringen mit dem kostenlosen „helpukraine“-Ticket sowie zahlreichen Sonderzügen und Bussen Geflüchtete sicher an ihr Ziel“, so die Sprecherin. Und das „gemeinsam Helfen“ soll auch so bleiben: Am Samstag postet Natice Orhan-Daibel auf Facebook: „Neustart. Liebe Leute, gestern kam der Leiter der DB Sicherheit und bat mich um ein Gespräch, nachdem wir am Tag zuvor ein dreistündiges Gespräch mit allen Beteiligten hatten, das sich erst mal bei jedem von uns setzen musste.“

Er habe sich für den „Vorfall von vor zwei Nächten entschuldigt. Aufrichtig entschuldigt“, schreibt die Bahnhofshelferin. „Es wird vielleicht noch Nachwehen geben, ich habe den Finger in eine Wunde gedrückt, es hat geschmerzt und tut noch etwas weh, aber eine Wunde kann heilen, wenn man sie heilt. Wenn man etwas für die Heilung tut.“ Eine Narbe und „ein stiller Schmerz“ würden trotzdem bleiben, man müsse umso mehr weiter „aufmerksam, sensibel und empathisch“ sein.

Sinti und Roma-Verband „entsetzt“

Auch die Bundespolizei bestätigte indes den Einsatz. Sie sei durch die DB Sicherheit als Unterstützung angefordert worden, „da sich offenbar Personen in den Räumlichkeiten der DB aufgehalten haben sollen, welche nicht Vertriebene aus der Ukraine seien“, so eine Bundespolizei-Sprecherin. Nach einer Identitätskontrolle und Bewertung der Gesamtumstände „ergaben sich keinerlei Anhaltspunkte, dass es sich nicht um Kriegsvertriebene aus der Ukraine gehandelt haben könnte“, heißt es.

Der baden-württembergische Landesverband Deutscher Sinti und Roma hatte direkt nach dem Vorfall eine „schnellstmögliche Aufklärung“ gefordert. Der Beauftragte der Bundesregierung gegen Antiziganismus sei über diesen Vorfall in Kenntnis gesetzt worden, hieß es. Man sei „entsetzt über die Ungleichbehandlung von ukrainischen Roma in diesem Fall.“ Denn „an vielen Grenzen der Ukraine zu europäischen Staaten wie Polen oder Moldau werden zahlreichen Berichten zufolge ukrainische Roma nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen durchgelassen, oder sie werden an der Weiterreise gehindert“. Man sei bei dem oben genannten internen Treffen dabei gewesen, „nachhaltige Sensibilisierungsmaßnahmen für die Bahnangestellten“ seien dort in Aussicht gestellt worden.

Redaktion Redakteurin und Online-Koordinatorin der Mannheimer Lokalredaktion

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