Migrationsstadt Mannheim

Was Muhammad Sillah auf seinem Weg nach Mannheim erlebte

Als Kind in Gambia wollte Muhammad Sillah Lehrer werden. Mit 17 Jahren entschloss er sich jedoch, sein Heimatland zu verlassen. Warum es für ihn keine andere Möglichkeit gab und wie es ihm heute in Mannheim geht

Von 
Eva Baumgartner
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Die Arbeit macht Muhammad Sillah Spaß, besonders das Gabelstaplerfahren liebt er. Seit August 2022 arbeitet er bei DB Schenker im Mannheimer Stadtteil Rheinau. © Erich Korn

Mannheim. Muhammad Sillah ist ein Sprachtalent: Neben Mandinka oder Wolof aus seiner westafrikanischen Heimat Gambia beherrscht er Englisch, Französisch, Arabisch und Deutsch. Auch der Mannheimer Dialekt liegt ihm: Ganz selbstverständlich kommen Worte wie „alla gut“ oder „uffbasse“ über seine Lippen.

Freilich: Nicht alles klingt fließend, und er gibt zu, dass er anfangs schon Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache gehabt hat. Doch inzwischen lebt er seit acht Jahren in Deutschland, Mannheim lernt er 2016 kennen - bei seinem ersten Praktikum.

Von Gambia nach Libyen

Geboren wird Muhammad Sillah in Faji Kunda. „Das ist die zweitgrößte Stadt in Gambia, es ist ein sehr kleines Land“, erklärt er. Als Kind und Jugendlicher will er zunächst Lehrer werden und Arabisch unterrichten. „Junge Menschen hatten aber keine andere Möglichkeit, keine Sicherheit“, begründet er seine Entscheidung, das Land 2011 zu verlassen. Mit 17 Jahren. „In meiner Heimat hatten wir über 20 Jahre einen Diktator“, sagt er. Und meint damit Yahya Jammeh, der von 1996 bis 2017 Staatspräsident in Gambia war. Auch wenn er selbst nicht viel mit Politik zu tun hat: „Die Menschen haben sich bekriegt, und jeden Tag sind Leute verschwunden.“

Muhammad Sillah hat vier jüngere Geschwister. Er ist acht Jahre alt, als sein Vater stirbt. Seine Mutter hat keine Ausbildung, deshalb arbeitet sie auf einer Plantage, auf der Erdnüsse angebaut werden. Ihr erzählt er, dass er in den Senegal geht und in zwei Monaten wiederkommt. Tatsächlich führt sein Weg von Gambia zunächst nach Libyen: „Und nach drei Monaten habe ich sie angerufen und ihr gesagt, dass ich inzwischen in Italien bin.“

Vier Tage auf dem Wasser

Italien erreicht er nach vier Tagen auf dem Wasser. Das Boot aus Libyen hat damals mehr als 200 Menschen an Bord - und ist kaputt. Wasser dringt ein, alles ist überfüllt: „Ich habe in Libyen an einer Tankstelle gearbeitet, um das viele Geld für diese Überfahrt zu verdienen.“ Mit ihm im Boot sitzen hauptsächlich Syrer. Ein Containerschiff aus Norwegen nimmt die Menschen auf hoher See auf und bringt sie nach Sizilien: „Man braucht Glück“, resümiert Muhammad Sillah seine Reise kurz und knapp. Was sonst noch an Bord passiert ist, darüber will er nicht sprechen. Doch seine Andeutungen zeigen, dass er das Erlebte niemals vergessen wird.

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In Italien verbringt er einige Monate - ohne Chance auf Arbeit: „Dann wollte ich eigentlich nach Frankreich, auch wegen der Sprache, aber es gab keine Möglichkeit, da hinzufahren.“ Als er am ersten Weihnachtstag 2015 nach Deutschland kommt, führt ihn der Weg zunächst nach München, dann nach Karlsruhe und Oftersheim: „Ich habe acht Monate in einer Halle in Oftersheim gelebt, wir waren zwölf Personen in einem Zimmer.“ Doch er und seine Mitbewohner bekommen Hilfe von einem älteren Ehepaar: „Sie sind drei Mal die Woche abends in die Halle gekommen, um mit uns Deutsch zu üben, sogar sonntags, alles, um mit uns zu lernen.“

Freiwilliges Praktikum

Nach vier Monaten macht er seinen ersten Deutschkurs in Oftersheim, schließt direkt einen zweiten an. Ein freiwilliges Praktikum bei DB Schenker in Mannheim bringt ihn schließlich 2016 zu seinem Wunschberuf - als Fachlagerist. Über eine Leasingfirma kann er weiter bei Schenker arbeiten, immer bis 14 Uhr, dann lernt er fünf bis sechs Stunden Deutsch: „Diese Zeit war sehr anstrengend, aber es hat sich gelohnt, und ich bin allen Menschen so dankbar, die mir geholfen haben.“ Hier in Deutschland gebe es viele Chancen, etwas zu lernen und für die Familie zu arbeiten, findet er.

„Am Anfang habe ich mich mit dem Arbeitstempo sehr schwergetan. Die Arbeitsmoral hier ist doch eine ganz andere. Aber ich habe schnell Menschen gefunden, die mich unterstützt haben. Das hat mir sehr gutgetan.“ Er entscheidet sich, eine Ausbildung zu machen: „Mit viel Unterstützung von anderen Menschen habe ich dann schließlich in einem kleinen Betrieb in Hockenheim eine Stelle dafür gefunden.

Die Ausbildung war sehr schwer, und ich musste sehr viel lernen, danke aber der Firma Hernandez Stainless für alles, was ich gelernt habe.“ Denn diese Zeit sei der beste Start in ein Leben in Deutschland gewesen: „Und ich habe meine Ausbildung auch bestanden“, sagt er - und zeigt stolz sein Abschlusszeugnis der Friedrich-List-Schule als Fachkraft für Lagerlogistik, das er seit Juni 2022 in der Tasche hat.

Immer in der Nachtschicht

Nach dem Abschluss der Ausbildung steigt Sillah wieder bei DB Schenker ein - und arbeitet seit 1. August 2022 auf der Rheinau. Immer in der Nachtschicht. „Die Arbeit macht mir aber wirklich Spaß, vor allem das Gabelstaplerfahren“, lacht der 29-Jährige, der seit kurzem auch im Mannheimer Süden lebt. Allein, denn dass er sich zuvor lange eine Wohnung mit einem anderen Mann geteilt hat, sei mit der Schicht nicht immer ganz einfach gewesen. „Aber jetzt ist das nicht so schlimm, ich habe meine Ruhe und kann schlafen, wenn ich heimkomme.“

Vollkommen integriert fühlt er sich jedoch noch nicht: „Ich bin ein Flüchtling dritter Klasse“, sagt er mit Blick auf die Deutschkurse: „Für Menschen aus Westafrika sind sie sehr schwer zu bekommen und kosten viel Geld.“

Auch Diskriminierungen erfährt er: Wenn er Menschen anspricht, um nur nach dem Weg zu fragen, weichen sie manchmal zurück. Oder als er eines Tages vor einem Club steht, wird er nicht reingelassen: „Nur Stammkunden“, habe man ihm gesagt. „Aber alle anderen wurden reingelassen.“

Ausgleich findet er in seiner Freizeit, er spielt Fußball, boxt und kocht: „Und ich habe viele Freunde gefunden, in Deutschland viele nette und hilfsbereite Menschen kennengelernt - und Fasching“, lacht er. Seit Oktober hat Sillah den elektronischen Aufenthaltstitel, der zwei Jahre gültig ist. „Jetzt kann ich auch mal nach Gambia reisen, meine Familie sehen“, sagt er. Das letzte Mal ist lange her, es war 2011: „Vielleicht schaffe ich es dieses Jahr.“

Besten Freund gefunden

Er ist sich sicher: So weit gekommen wäre er nicht ohne Unterstützung. Beispielsweise von Konrad Sommer, dem Hockenheimer Integrationsbeauftragten, der ihn im Asylcafé unterstützt habe. „Auch Erich Korn, Anna Seitz, meine Ausbilderin Frau Künzler oder Frau Simikin von der Abendakademie haben mir so geholfen“, sagt er dankbar. „Und mein bester Freund Patrick Lehr, den ich bei Schenker als Azubi kennengelernt habe.“

Und am Ende zeigt sogar das, was bei ihm auf den Teller kommt, dass er auf dem besten Weg ist, auch mit dem Herzen in Mannheim anzukommen: „Ich mag Spargel oder Dampfnudel mit Vanillesoße“, erzählt er. Dann verabschiedet er sich, grinst und ruft: „Alla tschüss!“

Redaktion Eva Baumgartner gehört zur Lokalredaktion Mannheim.

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