Messerangriff

Mannheims Oberbürgermeister: Marktplatz als Platz der Trauer

Am Montag haben beim "MM"-Wahlforum die Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten über Demonstrationen in der Stadt diskutiert. Am Dienstag verbietet der OB Demonstrationen in den nächsten Tagen auf dem Marktplatz

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Till Börner , Steffen Mack und Sebastian Koch
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Oberbürgermeister Christian Specht, hier bei der Kundgebung am Montag, hat für die kommenden Tage Veranstaltungen auf dem Marktplatz untersagt. © dpa

Mannheim. Selten in der Geschichte der Stadt stand eine Kommunalwahl unter derart komplizierten Vorzeichen wie die an diesem Sonntag. Auf der einen Seite entscheiden Mannheimer und Mannheimerinnen - ob per Briefwahl oder im Wahllokal - über die Zusammensetzung des Gemeinderats für die nächsten fünf Jahre. Eine Zeit, in der wichtige Entscheidungen etwa über Finanzen, Stadtentwicklung und Klimaschutz getroffen werden müssen.

Auf der anderen Seite steht die Woche unter dem Eindruck des Attentats vom Marktplatz, bei dem ein Angreifer mutmaßlich aus religiösen Gründen einen 29-jährigen Polizisten getötet und fünf weitere Menschen zum Teil schwer verletzt hat. „Die Stimmung in der Stadt ist sehr gedrückt und deswegen können auch wir nicht einfach zur politischen Tagesordnung übergehen“, begrüßt Moderator und Leiter des „MM“-Lokalteams, Florian Karlein, am Montagabend deshalb nicht nur die Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten der sieben größten Parteien im Gemeinderat, sondern auch die 150 Gäste, die zum „MM“-Wahlforum gekommen sind. Viele von ihnen waren zuvor noch auf dem Marktplatz, um mit 8000 Menschen zusammen dem getöteten Rouven L. zu gedenken und wiederholen das mit einer Schweigeminute in der Abendakademie.

AfD muss für Kundgebung am Freitag ausweichen

Kurzfristig haben Karlein und Timo Schmidhuber, stellvertretender Leiter des Lokalteams, das Programm der Diskussion verändert: Die Auswirkungen des Attentats zeigen sich in dieser Woche nicht nur in politischen Debatten, sondern vor allem auf der Straße. So war die Stimmung am Sonntag rund um den Marktplatz hitzig und angespannt, als eine Kundgebung der Jungen Alternativen, der vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuften Nachwuchsorganisation der AfD, eine Menschenkette als Gegenkundgebung sowie eine unangemeldete Versammlung einer Antifa-Gruppe aufeinandertrafen.

Für diesen Freitag mobilisiert die Bundes-AfD angesichts des Attentats erneut für eine Kundgebung. Wo diese stattfinden soll, ist seit Dienstag aber unklar. Oberbürgermeister Christian Specht (CDU) hat eine Allgemeinverfügung erlassen, wonach auf dem Marktplatz bis auf den Wochenmarkt Veranstaltungen, Infostände und Demonstrationen bis 16. Juni verboten sind. Der Platz solle im Zeichen „der Trauer und des stillen Gedenkens“ stehen, auch an die beim Attentat Verletzten. Er appellierte an alle, sich auf dem Platz entsprechend zu verhalten.

Bis einschließlich 16. Juni soll der Marktplatz ein Platz im Zeichen der Trauer und des stillen Gedenkens sein. © dpa/epd

Die Entscheidung wurde von allen Fraktionen mit Ausnahme der AfD ausdrücklich begrüßt. Deren Vorsitzender Jörg Finkler sprach von einem „Beigeschmack“, weil die Allgemeinverfügung offensichtlich auf die AfD-Kundgebung abziele, die auf dem Marktplatz geplant war. Als Polizeibeamter - Finkler ist aber nicht mehr im Dienst - habe er jedoch auch Verständnis für die trauernden Kollegen, denen man aktuell die Sicherung solcher Veranstaltungen schlecht auch noch zumuten könne.

In der Regel muss der Veranstalter den Ort einer Kundgebung vorschlagen. Eine Sprecherin der Versammlungsbehörde erklärte dieser Redaktion am Dienstagnachmittag, dass deshalb erst in den nächsten Tagen geklärt werde, wo die AfD am Freitag protestiert.

Zur AfD-Kundgebung werden außerdem erneut Gegenproteste erwartet. Einen solchen hat bereits das Offene Antifaschistische Treffen öffentlich angekündigt. Einen weiteren will nach Informationen dieser Redaktion der Deutsche Gewerkschaftsbund mit einem breiten gesellschaftlichen Bündnis organisieren. Die Planungen laufen. Über Details soll in den kommenden Tagen informiert werden.

„MM“-Wahlforum über Stimmung in Mannheim besorgt

Beim „MM“-Wahlforum am Montag haben sich fast alle Spitzenkandidaten und Spitzenkandidatinnen für die Kommunalwahl beunruhigt über das geäußert, was die Stadt am Freitag erwarten könnte. Aufgrund der Erfahrungen vom Sonntag stellte Holger Schmid fest: „Ich habe Angst vor dem Freitag. Da wird es noch mal zur Sache gehen.“ Der Fraktionsvorsitzende der Mannheimer Liste ist auch deren Spitzenkandidat. Am Sonntag seien Rechts- auf Linksextreme aufeinander getroffen. „Das war ein Missbrauch unseres Marktplatzes.“

AfD-Spitzenkandidat Rüdiger Ernst warf Schmid Panikmache vor. Als Kreisvorsitzender sei er in die Organisation für Freitag eingebunden. Die Partei werde friedlich demonstrieren, versprach er. Die Gewalt sei von Linksextremisten ausgegangen. Dass die Junge Alternative rechtsextrem sei, wies Ernst zurück. Als politische Behörde sei der Verfassungsschutz „keine seriöse Quelle“, meinte er und erntete dafür auf dem Podium wie aus dem Publikum heftigen Widerspruch. „Das ist falsch. Das ist eine seriöse Quelle. Das ist unsere Demokratie“, warf Linken-Spitzenkandidat Denis Ulas ein.

Grünen-Spitzenkandidatin Nina Wellenreuther - sie ist auch Fraktionschefin - hat am Sonntag als Teil einer Menschenkette gegen die Junge Alternative demonstriert. Angesichts der Atmosphäre durch das Aufeinandertreffen zweier extremistischer Position sei sie „den Tränen nahe“ gewesen, sagte sie. „Ich habe Angst davor, dass das ein Anfang ist, der nicht mehr aufzuhalten ist.“

Sollte die Stadt versuchen, mehr Demonstrationen zu verbieten?

Die Stimmung ist in Mannheim auf diversen Demonstrationen, vor allem mit Bezug zum Krieg in Gaza, in den vergangenen Monaten teilweise aufgeheizt gewesen. „Müsste die Stadt Mannheim die Demonstrationen verhindern, auch auf die Gefahr hin, dass Gerichte das Verbot später wieder einkassieren?“, fragten Karlein und Schmidhuber deshalb.

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CDU-Spitzenkandidat Claudius Kranz erinnerte daran, dass die Verwaltung in der Vergangenheit bereits an vielen Stellen Auflagen erteilt hatte, die vor Gericht allerdings nicht standhalten konnten. Der Fraktionsvorsitzende und Jurist sieht ein Problem im Versammlungsrecht, das ein Verhindern von Demos kaum zulasse. Kranz stellte aber infrage, ob jede Demo auch von einer Gegendemo begleitet werden müsse. „Das überfordert unsere Polizei doch.“

SPD-Spitzenkandidat Reinhold Götz sorgt sich um das öffentliche Bild Mannheims. „Ich will nicht, dass durch die Medien geht, dass die AfD in unserer Stadt protestiert und Mannheim zeigt sich nicht“, erklärte der Fraktionsvorsitzende. Er hofft auf eine Gegenveranstaltung, möglicherweise an einem anderen Ort und zu einer Uhrzeit. Einig waren sich Götz und Kranz darin, dass sie auf keinen Fall zusammen mit der Antifa demonstrieren wollen.

Kondolenzbuch im Mannheimer Rathaus liegt ab Mittwoch aus

Auch Birgit Reinemund verwies auf die Rechtslage. „Die Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut. Emotional komme ich da aber manchmal an meine Grenzen“, erklärte die FDP-Spitzenkandidatin. Es sei nicht realistisch, zu fordern, dass die Stadt mehr tun müsse. „Wenn wir alle gemeinsam den Rechtsstaat verteidigen, gehört dazu, dass wir es aushalten, wenn Meinungen öffentlich verkündet werden.“

Die „MM“-Reporter Timo Schmidhuber (l. außen) und Florian Karlein (r.) mit Nina Wellenreuther (v.l.), Reinhold Götz, Claudius Kranz, Holger Schmid, Birgit Reinemund, Denis Ulas und Rüdiger Ernst. © C. Blüthner

„Es ist wichtig, dass demokratiefeindliche Kundgebungen in der Mitte unserer Stadt verboten werden“, sagte Ulas. Der Fraktionsvorsitzende der LI.PAR.Tie bezeichnet sich als „Antifaschisten“, distanzierte sich aber von Gewalt.

Indes wird im Rathaus ein Kondolenzbuch für den getöteten Polizisten Rouven L. ausgelegt. Das kündigte Specht am Ende der Hauptausschusssitzung an. Wie sein Sprecher auf Anfrage sagte, wird man sich dort voraussichtlich ab Mittwochmorgen eintragen können. Die genaue Uhrzeit stehe noch nicht fest.

Redaktion Redakteur in der Onlineredaktion

Redaktion Steffen Mack schreibt als Reporter über Mannheimer Themen

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

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