Mannheim. Wann kann man bei einem Projekt von einem Geheimprojekt sprechen? Das ist auch eine Frage der individuellen Einblicke. Von Plänen, den Rotlichtbezirk aus der Neckarstadt ins nördliche Hafengebiet zu verlagern und in der Lupinenstraße 400 GBG-Wohnungen zu bauen, weiß bislang jedenfalls die Öffentlichkeit nichts. Die Fraktionsspitzen im Gemeinderat wurden darüber erst kürzlich informiert.
Neben direkt oder indirekt Beteiligten muss es indes schon länger einige Mitwisser geben. Dennoch ist der „MM“ bei seinen Recherchen auf eine Mauer des Schweigens gestoßen, offenbar aus aktuellem Anlass massiv verstärkt. Wichtige Quellen wollen gar nichts sagen, andere liefern eher nichtssagende Statements oder äußern sich nur streng vertraulich. In der Summe hat sich über Wochen dennoch ein klares, mit Dokumenten unterfüttertes Bild ergeben.
Aufwertung der Neckarstadt-West
Antriebsfeder sind die Probleme der Neckarstadt-West. Trotz ihrer Nähe zur Innenstadt, guten Anbindung und viel Grün insbesondere am Ufer ist sie sehr schlecht entwickelt. Nachhaltige Besserung wäre möglich, würden die Bordelle in der Lupinenstraße ebenso verschwinden wie ihre Begleitumstände, ein bestimmtes Milieu und Kriminalität. Das plus bezahlbarer Wohnraum dürfte andere Menschen anlocken, bevorzugt Familien. Damit nicht im Gegenzug die illegale Prostitution wächst, müsste die Stadt einen neuen Sperrbezirk ausweisen.
Ausgeguckt ist dafür mittlerweile die Bonadiesstraße, wo sich derzeit ein Obdachlosenheim befindet. Welche Form von Rotlicht dort entstehen soll - womöglich mehrere - war noch nicht in Erfahrung zu bringen. Entscheidend ist für dieses Projekt auch erstmal etwas ganz anderes: ob es an der Stadtspitze überhaupt den politischen Willen dazu gibt.
Unter Peter Kurz wurde zumindest eine eingehende Prüfung eingeleitet. Der frühere SPD-Oberbürgermeister betraute vor Jahren seinen Persönlichen Referenten Petar Drakul damit. Als Folge einer Korruptionsaffäre im Bauamt, bei der es auch um die Lupinenstraße ging, wurden die Pläne zwischenzeitlich auf Eis gelegt. Aber vor etwa einem Jahr mit Nachdruck aufgetaut.
Mittelsmann hat die Häuser erworben
Weil die Stadt und ihre Wohngesellschaft-Tochter sowohl mit Betreibern als auch mit Besitzern von Rotlicht-Immobilien eher keine Geschäfte machen wollten, wurde ein Weg ersonnen: Ein Mittelsmann könnte die Häuser erwerben, entmieten und der GBG zur Verfügung stellen, um sie abzureißen sowie die 400 Wohnungen zu schaffen.
Gefunden wurde ein Mannheimer Projektentwickler, der sich das zutraut. Er startete entsprechende Vorbereitungen. Doch bräuchte er natürlich grünes Licht vom neuen Oberbürgermeister Christian Specht. Offenbar drängt die Zeit. Noch sind angeblich 90 Prozent jener Lupinenstraßen-Immobilien in einer Hand und stehen zum Verkauf. Wären es weniger, würde es schwieriger. Besonders, falls Käufer mit neuen Rotlicht-Plänen hineindrängen sollten, womöglich gar aus härteren Milieus wie Frankfurt oder Hamburg.
Auf Anfrage, was Specht von dem Projekt hält, teilt sein Sprecher mit: „Mannheim spielt bisher eine eher untergeordnete regionale Rolle in der Prostitution.“ Das solle auch bei Veränderungen am Sperrbezirk so bleiben. Der Oberbürgermeister informiere sich über das Vorhaben und werde Fachleute aus der Verwaltung sowie die Polizei einbeziehen. So habe er es bei einem Treffen mit den Fraktionsvorsitzenden vereinbart. Dem Vernehmen nach wurde da der Wunsch an den Christdemokraten herangetragen, sich um das Thema endlich zu kümmern.
Wann Specht erstmals von den Plänen gehört hat, kann sein Sprecher nicht sagen. Als Erster Bürgermeister sei er dafür ja auch nicht zuständig gewesen. Nach „MM“-Informationen wurde das Vorhaben indes unter anderem im vergangenen Sommer ausgiebig in einer Dezernenten-Konferenz besprochen.
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Der Projektentwickler, der anonym bleiben möchte, will dazu auf Anfrage nur zwei Sätze sagen: „Wir sind sehr zufrieden mit dem Support der Verwaltung und dem Feedback der Politik.“ Sie hätten ihre Pläne präsentiert, nun hofften sie auf gute Gespräche. Auch die GBG belässt es bei einer knappen Stellungnahme. „Uns wurde das Vorhaben vor rund einem Jahr vorgestellt“, teilt Sprecher Heiko Brohm mit. „Entscheidungen standen in diesem Zusammenhang für die GBG nicht an.“
Prostituierten-Beratungsstelle Amalie will nicht umziehen
Auskunftsfreudiger zeigt sich Astrid Fehrenbach, die Leiterin von Amalie. Die Prostituierten-Beratungsstelle werde auch bei einer Verlagerung des Rotlichtmilieus in der Neckarstadt-West bleiben. Und aus ihrer Warte gelte ganz grundsätzlich: „Wenn eine Gesellschaft sich zur Legalisierung der Prostitution entschieden hat, dann muss sie die auch in ihrer Mitte aushalten. Dann darf man die Frauen nicht an den Rand drängen und noch weiter isolieren oder gar in einem Industriegebiet ghettoisieren.“ Das würde ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zusätzlich erschweren sowie ausbeuterische Abhängigkeiten verstärken, warnt Fehrenbach. Zudem sei ein Industriegebiet „ein zusätzlicher Angst-Raum für die Frauen“.
So die Sicht aus Perspektive der Prostituierten. Aber für die Stadtplanung gibt es natürlich noch andere Aspekte, über die nun zu reden ist.
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