Mannheim. Vor Kurzem hatten Durchsuchungen in Asylunterkünften für Aufsehen gesorgt: Das verschreibungspflichtige Schmerzmittel Pregabalin wurde dort mutmaßlich im großen Stil für den Straßenverkauf gehortet. Wie ist die Lage in Mannheim? Ist die Droge hier verbreitet, die Quadratestadt ein Umschlagplatz? Philip Gerber vom Mannheimer Drogenverein sagt, Missbrauch und illegales Vetreiben von Pregabalin seien in Mannheim „kein neues Phänomen“. Ihn verwundert der große Fund nicht. „Die Thematik mit Pregabalin begann hier etwa vor zehn Jahren“, sagt er.
Pregabalin und seine Wirkung: Ein Stoff gegen Nervenschmerzen und Angst wird missbraucht
Doch wie konnte das verbreitete Schmerzmittel in kurzer Zeit so „erfolgreich“ als Suchtmittel werden? Pregabalin ist ein Wirkstoff, der zur Behandlung von Nervenschmerzen, Epilepsie und Angststörung eingesetzt wird. Der Wirkstoff entspannt nicht nur den Körper und lindert Schmerzen, sondern sediert, also beruhigt auch, erklärt Gerber.
Pregabalins Nebenwirkungen werden in höherer Dosis für Drogenkonsumenten interessant
Auch darin liegt die Gefahr des Missbrauchs. In einer bereits geringfügig erhöhten Dosis eingenommen, kann Pregabalin als Droge missbraucht werden, es wirkt zudem euphorisierend. Und es kann bei Missbrauch schnell lebensgefährlich werden, insbesondere in Kombination mit Opioiden, also sehr starken Schmerzmitteln, die die Atemfunktion beeinträchtigen können.
Pregabalin, das etwa unter Handelsnamen Lyrica vertrieben wird, ist auch im normalen Einsatz nicht unumstritten. Nicht zuletzt das starke Abhängigkeits- und Missbrauchspotenzial, sondern auch die Nebenwirkungen wie Suizidalität machen eine genaue Nutzen-Risiko-Abwägung für die Behandlung nötig. Es bleibt aber für viele betroffene Patienten, insbesondere mit starken Schmerzen, Mittel der Wahl. Dennoch: Bereits seit 2016 wird Pregabalin immer häufiger in der Straßendrogen-Szene gedealt. Darüber informierte damals schon die Polizei die Ärztekammer und Kassenärztliche Vereinigung. Die Polizei bat, die Indikation von Verordnungen „sehr sorgfältig“ abzuwägen.
30 000 Tabletten von Pregabalin sichergestellt
Ursprung der Ermittlungen im jetzigen Fall war indes die Kontrolle eines 26-jährigen Mannes im Februar dieses Jahres, der mit einem Fernbus aus Belgien eingereist war. In seinem Gepäck fanden Zöllner rund 30 000 Tabletten mit dem Wirkstoff Pregabalin. Im Zusammenhang mit Ermittlungen zum Handel mit verschreibungspflichtigen Schmerzmitteln hatten Zoll und Polizei dann vor einigen Tagen Asylunterkünfte in Mannheim, Deizisau, Leinfelden-Echterdingen und Schwäbisch Hall durchsucht.
Es wurden dabei fünf Haftbefehle vollstreckt und drei weitere Personen vorläufig festgenommen Die Personen werden jetzt verdächtigt, bandenmäßigen Handel mit Pregabalin, sowie mit Kokain und Cannabis zu treiben.
Abhängige Menschen nehmen bis zu 25 Kapseln á 300 mg Pregabalin ein: Nebenwirkungen werden unkontrollierbar
Alle Tatverdächtigen stammen aus der Region Palästina und sind in Asylunterkünften untergebracht, teilt der Zoll mit. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart und des Zollfahndungsamts Stuttgart richten sich gegen eine Gruppe von acht Männern im Alter zwischen 21 und 26 Jahren.
Sie sollen auch Tausende Tabletten mit Pregabalin aus dem Ausland ins Land gebracht, in Flüchtlingsheimen deponiert und von dort aus überwiegend im Stadtgebiet Stuttgart an Konsumenten verkauft haben. Der Straßenverkaufspreis für die rund 34 350 sichergestellten Tabletten wird auf rund 100 000 Euro geschätzt. Wie Fachleute berichten, nehmen abhängige Menschen bis zu 25 Kapseln á 300 Milligramm Pregabalin ein. (mit mad/dpa)
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Was sind Kennzeichen von Sucht und Abhängigkeit? Was ist bedenklich, was schon krankhaft?
Kriterien für eine Abhängigkeit sind laut WHO, wenn mindestens drei der beispielhaft genannten Punkte in den letzten zwölf Monaten zutreffen:
- Starkes Verlangen oder eine Art Zwang, Suchtmittel zu konsumieren.
- Verminderte Kontrollfähigkeit, Suchtmittel wird in größeren Mengen oder länger als geplant konsumiert. Zudem erfolglose Versuche, den Konsum zu verringern.
- Ein körperliches Entzugssyndrom, wenn Stoff reduziert oder abgesetzt wird.
- Konsum mit dem Ziel, Entzugssymptome zu mildern und der entsprechend positiven Erfahrung.
- Toleranzentwicklung: Für den gewünschten Effekt müssen größere Menge her.
- Fortschreitendes Vernachlässigen anderer Vergnügen/Interessen zugunsten des Suchtmittels.
- Anhaltender Konsum trotz (körperlich) schädlicher Folgen.
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