Kolonialgeschichte

Was ein Genozid in Namibia von 1904 mit Mannheim von heute zu tun hat

Deutschland war einst das drittgrößte Kolonialreich der Welt, herrschte unter anderem in Namibia gegen die Herero mit Gewalt. Deren Repräsentanten waren jetzt in Mannheim - der Genozid an ihrem Volk spielt aktuell eine Rolle

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Konstantin Groß
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Einer der vielen Orte deutscher Kolonialverbrechen in Namibia:Der Omuti-ngau-zepo-Baum im Dorf Otjinene, an dem 1904 unzählige Herero öffentlich gehängt wurden. © Archiv

Mannheim. Anfangs gibt es technische Probleme. „Das ist Deutschland“, schmunzelt der mit seiner sympathischen Art gewinnende Moderator Boniface Mabanza Bambu von der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika in Heidelberg - und spielt damit auf manch digitale Defizite an. In Afrika bestehen diese offensichtlich nicht: Vor Ort, in Namibia und in Kamerun, klappt alles. Die Staaten sind Gebiete, die einst unter deutscher Kolonialherrschaft standen. Einem von ihnen, Namibia, gilt diese Veranstaltung in der Abendakademie.

Ihr Ziel ist es, das über der deutschen Kolonialherrschaft liegende „lange Schweigen zu brechen“, wie Gertrud Rettenmaier formuliert, die engagierte Sprecherin des Arbeitskreises Kolonialgeschichte Mannheim, einem der Veranstalter. Dank für diesen Einsatz kommt daher von der Ersten Bürgermeisterin Diana Pretzell, die der Veranstaltung mit ihrem Grußwort angemessene protokollarische Bedeutung verleiht.

Dem Arbeitskreis Kolonialgeschichte gebührt großer Dank
Diana Pretzell Erste Bürgermeisteri

Referenten aus Namibia sind angereist oder per Internet zugeschaltet, Informationen auf Charts aufbereitet und durch zwei Simultan-Dolmetscherinnen auf Headsets übersetzt. Somit drei volle Stunden anstrengender, aber wertvoller Information und historischer Fakten - dies übrigens ohne jene Schockbilder von gehängten oder verhungerten Herero, die es ja auch gibt.

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Konstantin Groß
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Was viele nicht wissen: Dass die Deutschen vor 1914 das flächengrößte Kolonialreich nach Briten und Franzosen besitzen. Entstanden mit „Schutzverträgen“ unter Androhung von Gewalt oder mit Versprechungen in betrügerischer Absicht. So wie ab 1883 in Deutsch-Südwest von Adolf Lüderitz, einen der Straßennamen-Paten in Rheinau.

Das deutsche Kolonialregime ist so brutal wie das anderer Länder: wirtschaftliche Ausbeutung und von Rassismus geprägte Unterdrückung, bei Auflehnung militärische Gewalt. So 1904 in Deutsch-Südwest, als sich Herero und Nama erheben. Sie werden gehängt, in der „Schlacht am Waterberg“ eingekesselt und niedergemetzelt, in die Kalahari getrieben, wo sie verhungern und verdursten.

… wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr erschossen
deutscher General von Trotha am 2. Oktober 1904

Grundlage dafür ist der Vernichtungsbefehl des Generals von Trotha vom 2. Oktober 1904: „Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück, oder lasse auf sie schießen.“ Von 80 000 Herero überleben nur 15 000, von 20 000 Nama 10 000.

Trothas Befehl ist das erste Dokument, „mit dem die Auslöschung einer ganzen Volksgruppe angeordnet wird“, betont Nandi Mazeingo: „Die Vernichtung der Herero und Nama ist somit der erste Genozid des 20. Jahrhunderts“, sagt der Vorsitzende jener Stiftung, die das Gedenken an diesen Völkermord wachhält.

Und an die Folgen. „Die Geschichte bestimmt die Realität eines Großteils der Menschen noch heute“, klagt Mazeingo. Heute leben nur noch 250 000 Herero in Namibia. „Hätte es den Völkermord nicht gegeben, wären es 1,26 Millionen“, erklärt - aus Namibia zugeschaltet - Mutjinde Katjiua, als Paramount Chief höchster Repräsentant der Ovaherero. So stellt sein Volk nur sieben Prozent der Bevölkerung Namibias. Das hat Folgen: Die Existenz ihrer Sprache und Kultur ist nicht gesichert, sie verfügen über keine effektive politische Vertretung, sind ökonomisch benachteiligt. „Die Nachfolger der deutschen Kolonialisten besitzen noch immer das Land unserer Vorfahren“, berichtet Katjiua. Dabei verfügt Namibia über großes Potenzial, wie die Wissenschaftlerin Angelina Kanduvarisa, Expertin für Landwirtschaft und natürliche Ressourcen, darlegt.

Tragisch auch, dass der Genozid in Namibia selbst kaum eine Rolle spielt: „Von Regierungsseite aus erinnert bei uns nichts an die Verbrechen“, beklagt Mazeingo. In den Augen der seit der Unabhängigkeit von 1990 regierenden, früheren Befreiungsbewegung SWAPO würde dies wohl deren Narrativ von sich als den einzigen, am Ende aber siegreichen Opfern des Kolonialismus stören.

Die Gastgeber und Gastgeberinnen mit ihren Gästen, unter ihnen die Referenten Nandi Mazeingo (2. v.l.) und Angelina Kanduvarisa (M.). Links: Moderator Boniface Mabanza Bambu. © Konstantin Groß

Das hat auch Folgen für das Verhältnis zu Deutschland. 2015 bezeichnet die Bundesrepublik die Verbrechen von 1904 zwar als Völkermord, sieht aber keine rechtliche Verpflichtung zu Reparationen. Dennoch leistet sie hohe finanzielle Zahlungen. So ist Namibia heute der höchste Pro-Kopf-Empfänger deutscher Entwicklungshilfe. Für die Herero nicht entscheidend. „Eine offizielle Anerkennung des Genozids und Reparationen für das Unrecht sind Voraussetzung für Versöhnung“, betont Mazeingo.

Von ihrer eigenen Regierung werden die Herero nicht berücksichtigt - weder ökonomisch noch politisch. „Es gibt eine Diskussion zwischen zwei Regierungen, die nichts zu tun hat mit uns“, beklagt Mazeingo. „Die Bundesregierung argumentiert nur immer, sie wolle die Souveränität der namibischen Regierung nicht unterlaufen, indem sie mit einer einzelnen Volksgruppe verhandelt“, beklagt Moderator Boniface Mabanza Bambu. Vonseiten der UNO ist Berlin bereits mehrmals aufgefordert worden, das zu überdenken - ohne Erfolg. Eine bundesweite Kampagne Anfang 2024 soll das ändern.

Mit der Umbenennung müssen wir klares antikoloniales Signal senden
Gertrud Rettenmaier AK Kolonialgeschichte

Überhaupt hoffen die Herero auf die deutsche Zivilgesellschaft. Auch und gerade in Mannheim. Ansatzpunkte gibt es genug. „Im städtischen Museum befinden sich zahlreiche Kulturgüter aus Namibia“, sagt Gertrud Rettenmaier: „Höchstwahrscheinlich Kriegsbeute aus dem Genozid.“ Wann sie zurückgegeben werden, ist nicht geklärt. Als ersten Schritt fordert Rettenmaier, die Vertreter der Herero einzuladen, um die Bestände in Augenschein zu nehmen. Erste Bürgermeisterin Pretzell verspricht erneut „absolute Transparenz“.

Weiteres Zeichen ist die Umbenennung der Straßen mit Lüderitz & Co. in Rheinau-Süd, die ja bereits beschlossen ist. „Ein ganz wichtiges Anliegen“, wie Pretzell betont, „für alle demokratischen Kräfte im Gemeinderat.“ Der Arbeitskreis Kolonialgeschichte möchte es bei einem bloßen Entfernen der alten Namen nicht belassen, sondern neue, die ein „klares antikoloniales Signal senden“, wie Rettenmaier sagt.

Unterstützung erhält sie vom Repräsentanten der Herero: „Bei uns in Namibia gibt eine große Farm mit rund 4000 Hektar, die heißt Mannheim“, sagt Katjiua: „Da wäre es doch angemessen, ein paar kleine Straßen in Mannheim nach unseren gefallenen Helden zu benennen.“

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