Mannheim. Eishockey gespielt wird im alten Eisstadion am Friedrichspark zwar schon seit 2005 nicht mehr. Dafür ist das Gelände kurzfristig aber zu einem Spielplatz für die Archäologie geworden. Denn jüngst war der Baggerfahrer der Abrissfirma unterhalb der ehemaligen Südkurve zufällig auf ein Stück Mauer gestoßen, was am Dienstag die Reiss Engelhorn Museen (REM) auf den Plan gerufen hat. Mit Schaufel, Hacke und Eimer bewaffnet, steht Klaus Wirth, Leiter für Archäologische Denkmalpflege und Sammlung der REM, an dem etwa vier Meter langen und rund 40 Zentimeter breiten Mauerstück und erklärt: „Wir haben hier die Reste eines Gebäudes.“
Noch stehen viele Fragezeichen im Raum, was es mit dem Gebäude auf sich haben könnte. Wirth und sein Team wollen den Fragen nun auf den Grund gehen. Klar ist nur, dass das Gebäude vor 1938, dem Baubeginn des alten Eisstadions, errichtet worden sein muss. Aufgrund der bisherigen Funde und der Einschlüsse wie etwa Porzellan in der Gebäudemauer vermutet Wirth, dass das Bauwerk 100 bis 120 Jahre alt sein könnte.
Alte Postkarten lassen auf Ausflugslokal schließen
Nun gehe es darum, zu schauen, wie der Friedrichspark damals gestaltet war. „Wir wissen, dass in der Nähe der Jesuitenkirche und der Sternwarte im Bereich der Bismarckstraße ein großer See war“, sagt Wirth und geht weiter ins Detail: „Es gab hier mal ein großes Ausflugslokal.“ Dies lasse sich aus Postkarten von damals herleiten. Allerdings habe es im Friedrichspark noch weitere Gebäude gegeben, somit sei seine These reine Spekulation.
Ob es sich bei den Gebäuderesten unter dem Eisstadion tatsächlich um das Lokal handeln könnte, wollen Wirth und Kollegen nun herausfinden. Dabei gilt es zunächst, die Mauer weiter freizulegen sowie zu putzen, um sie dann digital zu vermessen, zu fotografieren und zu dokumentieren, bevor sie wieder zugeschüttet wird. Danach geht es an die Recherche. Wirth spricht von Georeferenzieren, also das Vergleichen des modernen Stadtkatasters mit historischen Plänen von früher und der Vermessung der Gebäudereste.
Dabei stelle sich aber die Frage, ob in den Plänen von damals auch alles korrekt eingemessen und eingetragen wurde. „Das müssen wir alles prüfen“, sagt der Archäologe. „Und dann kriegt man die Lage schon raus“, ist Wirth optimistisch, nur um im gleichen Atemzug zu betonen: „Oder auch nicht.“ Denn es sei auch möglich, dass das Gebäude in keinem Plan vorhanden sei. Zumal die Lage, was die Pläne angeht, dünn sein könnte. Die meisten Unterlagen würden aus den 1960er Jahren stammen, aber vor allem von vor 1938 seien, wenn überhaupt, nur wenige vorhanden. „Weil Mannheim 1943 und in der Folgezeit schwer bombardiert und dabei das Bauaktenarchiv komplett zerstört wurde“, erklärt Wirth.
Die entdeckte Mauer hatte sich unter altem Bauschutt befunden, der 1938 beim Errichten des Eisstadions offenbar als Füllmaterial genutzt wurde. Aus welcher Zeit der Bauschutt stammt, ist genauso wie beim Gebäude wegen der dünnen Aktenlage schwer zu sagen. Doch auch in den Aushüben wird nach archäologischen Funden gesucht.
„Das ist jetzt tatsächlich ein Stück Mannheimer Geschichte“, sagt Wirth und zeigt ein nach seinen Aussagen im Feuer verglühtes Glas. „Das heißt, das ist wahrscheinlich bei einem Brand Mannheims, wohl bei irgendeiner dieser Bombardierungen, kaputt gegangen“, vermutet Wirth und schließt darauf, dass beim Bau des Stadions wohl auch Kriegsschutt zum Auffüllen benutzt wurde. Zudem seien im Bauschutt viele Ziegel, aber dafür weniger Sandstein festgestellt worden. „Das heißt, hier sind offensichtlich gründerzeitliche Häuser abgerissen worden.“ Zum Teil sei das wohl mit dem Inventar geschehen, worauf die vielen Scherben hindeuteten. Porzellane, Ofenkacheln und technische Keramik befinden sich darunter.
Die Archäologen sammeln dabei nur Funde, die Hinweise geben, also etwa mit Stempeln oder Prägungen versehen sind. „Wir sammeln das jetzt einfach, weil es geht sonst verloren. Es steckt einfach unheimlich viel Geschichte drin“. Zwar wittert Wirth auf dem Gelände des alten Eisstadions keine großen, bedeutenden Funde. Darum geht es ihm aber auch nicht: „Aber dafür haben wir hier Technikgeschichte, und Wirtschafts-Sozialgeschichte, die wir rekonstruieren wollen“, erläutert er.
„Tote Vergangenheit“ soll wieder lebendig werden
Auch diese kleinen Funde werden nun weiter untersucht. Einerseits ist Google dafür eine Anlaufstelle. Andererseits hat Wirth auch eine Kollegin, die tief in den Archiven wühlt. „Sie ist spezialisiert auf solche Funde und recherchiert bis zum Mond“; nur, um „tote Vergangenheit“, wie Wirth es nennt, wieder lebendig zu machen. Archäologie sei immer eine Arbeit gegen das Vergessen, betont er.
Wie die gefundenen Gebäudereste hat auch das alte Eisstadion seine besten Zeiten schon lange hinter sich. Der Abriss schreitet voran. Es stehen nur noch die Gegentribüne sowie das Gebäude, in dem unter anderem die Kabinen oder die Gaststätte „Puck“ waren. Läuft alles wie bisher nach Plan, wird die ehemalige Heimat der Adler Mannheim im September endgültig Geschichte sein. In Vergessenheit geraten, wie das von Wirth vermutete ehemalige Ausflugslokal, wird sie aber wohl nicht. Dafür dürften die vielen Erfolge der Adler, die im Friedrichspark gefeiert wurden, sorgen.
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