Netzkultur

Warum Social Media für Kids Fluch und Segen zugleich ist

Immer frühere Pubertät, 30 Apps auf dem Handy - und dann mit acht oder neun Jahren in der Esstörungs-Beratung. Doch Experten betonen, dass das Internet Fluch und Segen zugleich ist. Das "Wie" der Nutzung ist entscheidend

Von 
Lea Seethaler
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Ein Mädchen steht vor einem Zerrspiegel: Seit Corona verzeichnen die Krankenkassen einen Zuwachs von Essstörungen bei Versicherten. © EPD

Mannheim. In der Pandemie beobachteten auch Mannheimer Psychologen eine Zunahme von Essstörungen: „So viele schwere Essstörungen wie im Frühjahr 2020 haben wir selten gesehen“, sagte etwa Yvonne Grimmer, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Mannheimer ZI. Und sie gab auch mehr als zwei Jahre später keine Entwarnung.

Eine eindeutig gesicherte Erklärung hatten Fachleute dafür nicht, nur eine Vermutung, die viele Spezialisten teilen. Gerade Mädchen, die an Magersucht erkrankten, könnten Stress oft nicht so gut verarbeiten, hieß es mitunter. Da gebe die Magersucht Kontrolle zurück. Doch auch die Medien spielten und spielen eine Rolle.

Die realen Vergleiche sind einfach weggefallen

Denn während der Corona-Beschränkungen verbrachten junge Leute noch mehr Zeit im Internet, dieses war zum Teil ihr einziger Kontakt zur Außenwelt. Und auf Instagram und anderen Kanälen bekamen sie unentwegt überarbeitete Bilder von Freundinnen, Mitschülerinnen und anderen Gleichaltrigen zu sehen, warnten früh Fachleute bei Essstörungsberatungsstellen. Weil sie diese aber nicht mehr trafen, hielten sie deren geschöntes Aussehen für echt. Denn die realen Vergleiche seien einfach „weggefallen“.

Junges Körperbild ist fragiler

Frühere Pubertät, frühere Mediennutzung: Viele Kinder rutschten da bereits mit acht oder neun Jahren ab. Verschiedene Studien stützen diese Vermutungen, wie etwa Silja Vocks erklärt, die in Osnabrück zu Essstörungen forscht. Gleichzeitig seien Kinder und Jugendliche immer früher in den sozialen Medien unterwegs, wo sie permanent mit geschönten Bildern konfrontiert würden. „Je fragiler das Körperbild, desto offener ist man für diesen Einfluss.“

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Medien seien „potenzielle Mitauslöser für essgestörtes Verhalten“, folgerten indes kürzlich Wissenschaftler in einem Fachbeitrag im Bundesgesundheitsblatt. Medien würden neben „eher passiven Konfrontationen vor allem während des Krankheitsverlaufs auch gezielt genutzt“, etwa, um die Symptomatik aufrechtzuerhalten. Das nennt man destruktives Medienhandeln.

Gefährlich: "Gleichgesinnte, die sich hochpushen"

Gerade destruktive mediale Trends wie etwa Magersucht verherrlichende Trends wie „Pro-Ana“ sind gefährlich: Problematisch seien vor allem spezielle Magersucht-Foren und Bilder oder Videos von ausgemergelten Teenagern unter speziellen Hashtags auf TikTok, Instagram und anderen sozialen Netzwerken, sagt die Expertin Iren Schulz von der Initiative „Schau hin!“. „Da treffen sich Gleichgesinnte, die sich gegenseitig hochpushen.“

Medien können auch helfen

Aber Medien haben auch Einfluss auf Verlauf und Bewältigung der Krankheit, betont die Forschergruppe derweil im Bundesgesundheitsblatt. Zum Beispiel beim „konstruktiven Medienhandeln“. Das Internet kann nämlich auch konstruktiv genutzt zu werden, etwa zur Selbstdiagnostik (oder -Hilfe) oder bei der Suche nach therapeutischer Hilfe und Infos über die eigene Krankheit. Der positive Medieneinfluss sei in der Forschung bisher „nicht stark genug in den Fokus gestellt“ worden, so die Wissenschaftler.

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Der Fokus sollte in der Gesellschaft und im wissenschaftlichen Diskurs nicht allein auf der Frage liegen, wie Betroffene mit potenziell problematischen Inhalten umgehen, „sondern welche medialen Inhalte auch gesundheitsfördernd wirken können“, finden sie. Die Forschung sollte etwa mehr beleuchten, wie konstruktives Medienhandeln im Rahmen einer Essstörung aussehen und den Erkrankten nahegebracht werden kann. (mit dpa)

Hilfe für Betroffene unter www.bzga-essstoerungen.de

Redaktion Redakteurin und Online-Koordinatorin der Mannheimer Lokalredaktion

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