Fußball

Warum ein abgehalftertes Stadion Fußball-Fans nach Riesa lockt

Es war ein Stelldichein der Fußball-Romantiker und Stadion-Nostalgiker, was sich da in Mannheims Partnerstadt Riesa abspielte. Wie kann es sein, dass ein verfallenes Stadion so viele Menschen anlockt?

Von 
Andi Nowey
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Auch Waldhof-Fan Andre Schleichert aus Mannheim ist zu Besuch im Fußball-Stadion der Stahlwerker Ernst Grube in Mannheims Partnerstadt Riesa. © Andi Nowey

Mannheim/Riesa. Am Stadion der Stahlwerker Ernst Grube in Mannheims Partnerstadt Riesa hat nicht nur ein Zahn der Zeit genagt. Man muss sich vorstellen, dass sich hier inzwischen sinnbildlich ein ganzes Gebiss zu schaffen gemacht hat.

Löcher in den Fensterscheiben der Fassade, Wanduhren ohne Zeiger und Zahlenscheibe, mit Unkraut und Wildwuchs überwucherte Tribünentraversen, Rost und abgesplitterter Beton – im Normalfall würde ein solch verkommenes Bauwerk allerhöchstens noch Mauereidechsen oder Greifvögel anlocken.

Stadion des SC Riesa wurde dem Verfall preisgegeben

Für Fußball-Romantiker und Stadion-Nostalgiker allerdings war das Stelldichein, das sich am vergangenen Wochenende 999 Interessierte – mehr waren nicht zugelassen – gaben, ein Ereignis, als wären Weihnachten und Ostern zusammengefallen. Seit vielen Jahren befindet sich die „Grube“, wie das einst gefürchtete Stadion von DDR-Oberligist BSG Stahl Riesa im Volksmund genannt wurde, in einem Dornröschenschlaf.

In der Saison 2011/12 bestritt der inzwischen aufgelöste SC Riesa hier die letzten Pflichtspiele, danach wurde das altehrwürdige Stadion dem Verfall preisgegeben. Die Natur eroberte sich das Areal seither Stück für Stück zurück, die Wettergewalten hinterließen ihre Spuren an den Fassaden. Sprich: Mehr Ruine ging fast nicht mehr.

Initiative Lost Ground Hop nimmt sich Stadion in Sachsen an

Nun wurde die „Grube“ von der Initiative Lost Ground Hop noch einmal für ein letztes Spiel aufgehübscht – soweit man das überhaupt so beschönigend ausdrücken kann. In einer fast sechsmonatigen Vorbereitungszeit wurden Tribünenteile vom Bewuchs befreit, 100 Tonnen Mutterboden aufgeschüttet und in kürzester Zeit ein neuer Rasen ausgesät.

Durch die lange Trockenheit in Sachsen war zum Ereignis allerdings mehr Stoppelacker als Rasen erkennbar – eine Nebenerscheinung, die das Engagement der Verantwortlichen keineswegs schmälern soll und darf.

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„Jedes Detail dieses Stadions ist ein Stück Fußball-Kultur“

Die lange Fahrt von Mannheim nach Riesa hat auch Andre Schleichert auf sich genommen. Der 63-Jährige bewegt sich als langjähriger Waldhof-Fan üblicherweise in den belebten Stadien in der 3. Liga, nun war es nach Saisonende also eines dieser sogenannten Lost Grounds. Nicht zuletzt war auch das Kennenlernen von Mannheims Partnerstadt Riesa für ihn Ansporn zur Fahrt.

„Jedes Detail dieses Stadions ist ein Stück Fußball-Kultur und Historie. Man kann regelrecht erahnen, welche Wucht dieses Stadion früher ausgeübt haben muss“, sagt Schleichert und versichert: „Das war heute ein Stück Fußball-Geschichte, und für dieses Ereignis war es jeden Kilometer wert.“

Erstes Spiel seit zwölf Jahren ist vermutlich letztes Spiel überhaupt

Für dieses erste Spiel seit zwölf Jahren und vermutlich letzte Spiel überhaupt hatten die Veranstalter mit dem SV Stauchitz 47 und dem Polizei SV Braunschweig zwei Amateurklubs gewonnen. Auch wenn der erste Torschütze beim 6:2-Gewinner Stauchitz schon nach 90 Sekunden mit einer Kopfverletzung wieder vom Feld musste, wurde der freundschaftliche Charakter der Partie großgeschrieben.

Zahlreiche Stadionsammler aus der ganzen Republik, aber auch aus Nachbarländern hatten sich dafür auf den Weg nach Riesa gemacht. Für einen Mittag wurde die „Grube“ wiederbelebt, ehe sie nach dem Abpfiff wieder in den Dornröschenschlaf zurückkehrte. Was mit dem Rund jetzt passiert, ist offen.

Freier Autor Schwerpunkte: Mannheimer Kreisfußball, Kreisklassen A und B, Kreispokal, Waldhof-Legenden

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