Nahverkehr

Warum die neue Rhein-Neckar-Tram drei Jahre Verspätung hat

Die Straßenbahn-Flotte der RNV bekommt endlich Zuwachs. Zum Buga-Auftakt werden die ersten sechs Bahnen der neuen Rhein-Neckar-Tram in Mannheim fahren. Warum sie mit deutlicher Verspätung kommen, erklären die RNV-Verantwortlichen

Von 
Bernhard Zinke
Lesedauer: 
© Moritz Feier

Eigentlich sollten die ersten Bahnen schon 2020 über die Gleise der Metropolregion rollen. Jetzt transportieren die ersten sechs Bahnen des Typs Rhein-Neckar-Tram (RNT) 2020 als Buga-Express die Besucher vom Hauptbahnhof zur Bundesgartenschau. Warum hat die Einführung solange gedauert? Antworten von Martin in der Beek, Geschäftsführer der Rhein-Neckar-Verkehrsgesellschaft (RNV), und Aufsichtsratsvorsitzendem Christian Specht.

Die Rhein-Neckar-Tram 2020 steht jetzt endlich vor dem Start. Tatsächlich unter diesem Namen und mit dieser Zahl, Herr Specht?

Christian Specht: Es war ja von vornherein klar, dass es mehrere Jahre dauern würde, bis alle Bahnen da sind. Unter Marketinggesichtspunkten war’s aber vielleicht kein glücklicher Name, weil die Menschen glauben, alle Bahnen hätten im Jahr 2020 da sein sollen.

Martin in der Beek: Wir hätten die Bahn natürlich gerne früher gehabt. Aber viele Fahrzeugprojekte dauern aktuell sehr lange. Zum Teil haben wir es auch selber initiiert, etwa durch eine großangelegte Fahrgastbefragung in einem 1:1-Modell des Fahrzeugs. Wir haben gefragt: Was kann man besser machen, vor allem in puncto Barrierefreiheit? Und da haben wir einen größeren Bedarf erkannt, als wir eigentlich erwartet hatten. Wir konnten dann einige Verbesserungen einarbeiten.

Jetzt ist Zug dahinter.

Aber das war alles noch vor 2020?

in der Beek: Ja. Wenn Sie ein Modell von der Stange bestellen, dauert es etwa zwei Jahre, bis Sie es geliefert bekommen. Anfang 2019 haben wir die Ergebnisse des Bürgerdialogs eingearbeitet. Die Fahrzeugindustrie hat seit Jahren volle Auftragsbücher. Wir haben dann leider festgestellt, dass die Priorität des Auftrags bei Skoda nicht so hoch angesiedelt war, wie wir uns das gewünscht haben. Da konnten wir im vergangenen Jahr glücklicherweise einiges verbessern – unter anderem bei einem neuen Skoda-Management. Jetzt ist Zug dahinter.

Ein Auftragsvolumen von 250 Millionen Euro war bei Skoda keine große Hausnummer?

in der Beek: Man hatte offenbar mehrere große Hausnummern im Werk. Die letzten zwei Jahre waren ja auch für die Industrie nicht ganz ohne. Aber letztendlich bleibt festzuhalten, dass wir nicht zufrieden waren. Jetzt wird aufgeholt.

Lokales

Mit der Videokamera durch die neue Straßenbahn der RNV

Veröffentlicht
Laufzeit
Mehr erfahren

Haben Sie denn nicht öfter nachgehakt bei Skoda?

in der Beek: Natürlich. Es war ja nicht so, dass man in den Werken nichts gesehen hat. Der Rohbau findet in Otanmäki statt. Wir waren mehrfach vor Ort und haben uns davon überzeugt, dass an unserem Projekt gearbeitet wird. Wir sind dort ja mittlerweile auch mit einem eigenen Team vor Ort. Auch in Pilsen, wo die Fahrzeuge zusammengebaut werden, waren wir regelmäßig und haben eingefordert, dass es schneller vorangeht.

Wo hat’s gehakt: in Finnland oder in Tschechien?

in der Beek: In Otanmäki wurde gut und zügig gearbeitet. Gehakt hat’s eher in Pilsen beim Zusammenbau. Da hätte man mehr Tempo machen müssen.

Seit wann ist jetzt Zug drin?

in der Beek: Seit etwa einem Jahr. Skoda hat eine komplett neue Führungsriege dort und auch einen neuen Projektleiter. Wir haben den Eindruck, dass das Projekt jetzt deutlich mehr Priorität genießt.

Eine derart verspätete Auslieferung hat ja auch finanzielle Konsequenzen. Die RNV hatte geringere Kapazitäten, um Fahrgäste zu befördern. Lässt sich der Schaden beziffern?

in der Beek: Es ist schwer nachzuweisen, dass explizit durch die neue Fahrzeuggeneration ein finanzieller Schaden entstanden ist.

Aber es gibt vertraglich vereinbarte Strafen für verspätete Lieferungen, die Sie geltend machen können.

in der Beek: Die gibt es. Und die werden auch geltend gemacht. Aber das sind Vertragsdetails, auf die ich nicht detailliert eingehen will. Wir schauen, dass wir das Projekt jetzt zu einem guten Ende führen. Das eine ist eine zeitgerechte Auslieferung der Fahrzeuge. Aber maßgebend ist auch die Qualität. Es gibt genügend Beispiele, wo Fahrzeuge fristgerecht ausgeliefert wurden, aber nicht zugelassen werden konnten, weil die Qualität nicht stimmte. Da haben wir auch schmerzliche Erfahrungen in den 1990er Jahren gemacht.

Es gibt zum ersten Mal ein Fahrzeug für alle drei Städte – Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg – , was zu erheblichen Synergien führt.

Die zuletzt ausgedünnten Fahrpläne haben Sie unter anderem auch mit hohen Krankenständen begründet. War es tatsächlich nur der Krankenstand oder auch das fehlende Material?

in der Beek: Die Lieferkrise hat uns tatsächlich große Probleme bereitet. Bestimmte Schrauben, die beim Tausch von Komponenten vorgeschrieben sind, waren ein halbes Jahr lang nicht verfügbar. Deshalb konnten Fahrzeuge nicht bearbeitet und eingesetzt werden. Auch deshalb haben wir das Angebot einschränken müssen.

Das wäre mit der fristgerechten Auslieferung der RNT nicht passiert?

in der Beek: Damit hätten wir die Engpässe sicherlich auffangen können.

Herr Specht, hätte der Aufsichtsrat seinerseits nicht noch mehr Druck aufbauen können?

Specht: Der Aufsichtsrat hat das Thema zur Top-Priorität erklärt. Es gibt zum ersten Mal ein Fahrzeug für alle drei Städte – Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg – , was zu erheblichen Synergien führt. Es gab keine Aufsichtsratssitzung in den vergangenen Jahren, in der wir uns nicht in irgendeiner Form mit der RNT beschäftigt haben. Der Aufsichtsrat ist sogar nach Pilsen gefahren, um sich vor Ort einen Eindruck zu verschaffen. Dort mussten wir auch erfahren, dass ukrainische Mitarbeiter aufgrund des Krieges ihren Arbeitsplatz verlassen haben und in die Ukraine zurückgekehrt sind. Hinzu kamen erhebliche Lieferkettenprobleme in der Produktion.

Mehr zum Thema

Kommentar Satte Verspätung - in Teilen hausgemacht

Veröffentlicht
Kommentar von
Bernhard Zinke
Mehr erfahren
Mobilität (mit Video)

265-Millionen-Euro-Invest: Was die neue Rhein-Neckar-Tram alles kann

Veröffentlicht
Von
Stephan Alfter
Mehr erfahren
Nahverkehr (mit Video)

"Nun ging es schnell“ - erste Rhein-Neckar-Tram angekommen

Veröffentlicht
Von
Heike Sperl-Hofmann
Mehr erfahren

Aber das war ja erst 2022 das Problem. Da hatte das Projekt schon zwei Jahre Verspätung.

Specht: Das Projekt musste ja schon vorher Krisen bewältigen. Die Fertigung in Finnland fand schon 2020 unter Corona-Bedingungen statt. Schon damals haben Leute von uns die Arbeit begleitet, um die Qualität zu sichern. Wir haben den neuen Skoda-Geschäftsführer nach Mannheim eingeladen, um ihm persönlich klar zu machen, welche Bedeutung dieser Auftrag nicht nur für die Region, sondern auch für Skoda auf dem europäischen Markt hat.

Sie testen aktuell drei Fahrzeuge auf den Strecken in Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg. Stimmt die Qualität?

in der Beek: Wir sind jetzt deutlich über 10 000 Kilometer gefahren. Und das störungsfrei. Ich habe es tatsächlich noch nicht erlebt, dass ein neues Fahrzeug von Anfang an so reibungslos funktioniert. Wir haben alle Tests abgeschlossen. Jetzt geht’s nur noch darum, die Ergebnisse schriftlich zu dokumentieren. Wenn Skoda diese Fleißaufgabe erledigt hat, dürfen die Fahrzeuge im Straßenbahnnetz eingesetzt werden. Die Zulassung für die Linie 5 ist etwas komplexer, da auf dieser Strecke die Eisenbahnbau- und Betriebsordnung gilt.

Werden zum Buga-Start denn nun die ersten Bahnen fahren?

in der Beek: Es werden sechs Bahnen fahren. Das siebte Fahrzeug kommt einen Tag vor der Buga hier an. Das werden wir zum Start noch nicht einsetzen können. Zwei weitere werden im Mai kommen. Im gesamten Jahr werden wir 17 Fahrzeuge zur Verfügung haben, neun von 30 Metern Länge und acht 40 Meter lange Fahrzeuge. Gerade sind wir dabei, das Fahrpersonal auszubilden. Es gibt noch 60 Meter lange Bahnen, die kommen aber erst im nächsten Jahr. Ab 2024 soll wöchentlich ein neues Fahrzeug hier ankommen. Bis Ende 2025 sollen 80 neue Bahnen geliefert werden.

Zur Person

Martin in der Beek ist der technische Geschäftsführer der Rhein-Neckar-Verkehr. Der Diplom-Informatiker begann seine Karriere bei der Albtal-Verkehrsgesellschaft in Karlsruhe. Er war Hauptabteilungsleiter bei den Verkehrsbetrieben Karlsruhe, bevor er 2007 zur RNV wechselte.
Christian Specht ist der Aufsichtsratsvorsitzende der RNV. In den Geschäftsbereich des Ersten Bürgermeisters der Stadt Mannheim fällt auch der öffentliche Nahverkehr der Stadt Mannheim. bjz

Wo werden die Bahnen zuerst eingesetzt?

Specht: Der erste Einsatz findet in Mannheim statt, unter anderem als Buga-Express zwischen Hauptbahnhof und Spinelli. Dort ist der Bedarf zunächst am größten. Das würden wir mit unseren normalen Kapazitäten nicht schaffen.

Wird sich die Bahn dann später im Jahr auch in Ludwigshafen und Heidelberg blicken lassen?

in der Beek: Wir wollen die RNT auch auf der Linie 5 einsetzen. Da fahren wir dann auch durch Heidelberg. Auch in Heidelberg brauchen wir die Bahnen dringend. Aber die neuen Fahrzeuge passen nicht in den bestehenden Betriebshof, weil sie länger sind als die aktuellen Bahnen. Aber wir sind aktuell dabei, dezentrale Abstellflächen in Wieblingen und Rohrbach zu schaffen. Das muss umgesetzt werden, sonst können wir diese langen Fahrzeuge nicht in Heidelberg verwenden. Wir werden sicher neue Fahrzeuge in Heidelberg einsetzen, aber vorerst leider noch nicht in dem Umfang, wie es notwendig wäre.

Im Gespräch: Aufsichtsratsvorsitzender Christian Specht (v.r.) und Technischer Geschäftsführer Martin in der Beek mit MM-Redakteur Bernhard Zinke. © Moritz Feier

Wird die RNT wieder für einen verlässlichen Takt sorgen?

in der Beek: Je mehr Fahrzeuge im Einsatz sind, desto entspannter ist die Situation. Wir sind außerdem davon überzeugt, dass die neue Bahn für einen deutlichen Qualitätssprung sorgen wird, also für mehr Pünktlichkeit, Verlässlichkeit und weniger Fahrzeugstörungen.

Specht: Wir sind am 20. März auf der Schiene wieder zum Regelfahrplan zurückgekehrt. Im Busbereich werden wir zum Buga-Auftakt am 14. April wieder den Regelfahrplan haben. Das hat aber nur bedingt etwas mit der Fahrzeugkapazität zu tun, sondern auch damit, dass die Fahrerinnen und Fahrer nach dem hohen Krankenstand im Winter alle wieder gesund zur Verfügung stehen.

Wird die Neuanschaffung der RNT dazu führen, dass die alten Bahnen ausgemustert werden?

in der Beek: Natürlich behält man erstmal die alten Fahrzeuge eine Weile, als Reserve und Ersatzteillager. Zweitens brauchen wir durch die Bundesgartenschau ohnehin mehr Fahrzeuge.

Welche Lehren ziehen Sie denn aus der etwas holprigen Markteinführung der RNT 2020? Was würden Sie beim nächsten Großauftrag anders machen?

Specht: Die Erwartungshaltung reduzieren. Wenn man sich die Projekte anderer Städte anschaut, können wir noch froh sein. Da ist kein Projekt im Zeit- und Kostenrahmen geblieben – auch ohne Corona, Krieg und Energiekrise.

Mit 250 Millionen Euro ist die RNT die größte Investition in der Geschichte der RNV. Bleibt’s bei der Summe?

in der Beek: Ja, es bleibt bei den 250 Millionen Euro.

Ressortleitung Teamleiter der Redaktionen Metropolregion und Südhessen Morgen

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen