Mannheim. Wen sie wählen werden, das wissen die beiden 17-jährigen Mannheimer Schülerinnen Johanna und Natalie nach knapp drei Stunden „MM“-Bürgerforum im Nationaltheater zwar noch nicht. „Aber wir haben einen Überblick über die Positionen der Kandidaten erhalten und wissen jetzt auch, wo wir uns weiter informieren wollen“, sagt Johanna. Die beiden dürfen am 26. Mai zum ersten Mal bei einer Wahl ihre Stimme abgeben. Nicht so gut gefallen hat den Schülerinnen, dass das Thema Bildung bei der Debatte gefehlt habe. Thomas Berndt (48) fand an der Diskussionsrunde gut, dass auch die Gäste fragen stellen durften. „Und ich weiß jetzt immerhin, wen ich nicht wähle.“
Wohnen, Sicherheit und Sauberkeit sowie Verkehr und Baustellen - das sind die Themen, über die „MM“-Chefredakteur Dirk Lübke und Lokalchef Stefan Proetel an diesem Sonntagmorgen mit den Spitzenkandidaten für die Kommunalwahl diskutieren. Auf dem Podium sitzen die Vertreter der Parteien und Gruppierungen, die 2014 mindestens zwei Sitze errungen haben: Ralf Eisenhauer (SPD), Claudius Kranz (CDU), Melis Sekmen (Grüne), Achim Weizel (Freie Wähler), Volker Beisel (FDP), Thomas Trüper (Linke) und Rüdiger Ernst (AfD). Rund 300 Gäste sind gekommen - möglicherweise wegen „Konkurrenzveranstaltungen wie Kirche, Brunch und Muttertag“, so Lübke, bleiben einige Plätze auch leer.
Die Suche nach der Wohnung
Ein Arbeiter und ein Manager suchen für ihre Familien mit jeweils drei Kindern eine Fünf-Zimmer-Wohnung in Mannheim. Wer wird fündig? Mit dieser, an den CDU-Fraktionschef Kranz gerichteten Frage, sind Gäste und Kandidaten mittendrin im aktuell nicht nur in Mannheim vielleicht brisantesten Thema - dem Wohnen. Vermutlich keiner so richtig, lautet die Antwort von Kranz. Bei den Fünf-Zimmer-Wohnungen im bezahlbaren Segment sei das Angebot „relativ schwach“, aber auch bei den Grundstücken, die man Managern mit Geld und genauen Vorstellungen vom eigenen Haus anbieten könne. Seine Lösung: „Auf den Konversionsflächen genügend Freiflächen bereitstellen, auf denen Leute nach ihren Vorstellungen bauen können.“ Aber auch mehr bezahlbare größere Wohnungen schaffen. Kranz will über eine Eigenkapitalerhöhung die städtischen Wohnungsgesellschaft GBG dabei unterstützen.
Ein anderer Ansatz, um mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, ist die Sozialquote, die der Gemeinderat unter anderem mit den Stimmen von SPD, Grünen und Linken beschlossen hat. Sie besagt, dass bei Neubauten mit mindestens zehn Einheiten 30 Prozent der Wohnungen zu einer Kaltmiete von 7,50 Euro pro Quadratmeter angeboten werden müssen. Volker Beisel (FDP) hält nichts von solchen Regelungen. „Je mehr Regeln wir im Wohnungsbau habe, desto weniger werden gebaut.“ Stattdessen müsse die Stadt der GBG Grundstücke geben, damit diese dort bezahlbare Wohnungen schaffen kann. Die sei aber zu sehr mit anderen Projekten beschäftigt, wie etwa dem Bau des Technischen Rathauses.
Für Thomas Trüper (Linke) liegt der Schlüssel zu günstigen Wohnungen in günstigeren Bodenpreisen. Die Stadt dürfe ihre Flächen nicht an Investoren verkaufen, sondern müsse sie über Erbpacht an Bauherren abgeben, die am Gemeinwohl interessiert seien, wie etwa Genossenschaften. Er fordert, die Planungen für das Spinelli-Gelände entsprechend zu ändern. Außerdem sieht er das Land in der Pflicht, dass den sozialen Wohnbau besser fördern müsse. Hier bekommt er Zustimmung von Achim Weizel (Mannheimer Liste). Der ist sich sicher, dass das Problem ohne eine solche Förderung nicht zu lösen sei. „Bei den aktuellen Bau- und Grundstückskosten sei es schwer, Mieten von 7,50 Euro möglich zu machen.
„Wir müssen als Stadt sehr genau schauen, zu welchen Bedingungen wir den Boden hergeben“, sagt Melis Sekmen (Grüne). Stadtplanung könne man nicht dem Markt überlassen. Ralf Eisenhauer (SPD) kontert, Mannheim hätte 1000 Wohneinheiten weniger, „wenn wir in der Vergangenheit den Grünen gefolgt wären“. Die Politik sei immer ein Ausarbeiten von Kompromissen, „wir als SPD wollen die Stadtgesellschaft als Ganze im Blick haben.“ Rüdiger Ernst (AfD) betont, dass auch die Zuwanderung für „massiven Druck auf dem Wohnungsmarkt“ gesorgt habe. Im Saal sind Buh-Rufe zu hören.
Die Ansichten auf dem Podium sind naturgemäß unterschiedlich, trotzdem geht es höflich und sachlich zu, Angriffe und Polemik bleiben weitgehend aus. Nächstes Thema: Sicherheit und Sauberkeit. Viele Menschen beklagten, dass Mannheim immer mehr vermülle, sagt Moderator Dirk Lübke - und fragt Rüdiger Ernst nach Lösungen. Die höheren Strafen fürs Wegwerfen von Müll auf den Planken seien richtig, findet er. „Aber es geht darum, das auch umzusetzen und zu kontrollieren.“ Dafür gibt es auf dem Podium weitgehend Zustimmung. Weizel betont, die ML habe bereits bei den vergangenen Etatberatungen mehr Mitarbeiter für den Ordnungsdienst gefordert. Ernst und Kranz schließen sich dem an. Eine konkrete Zahl will allerdings keiner von ihnen nennen. Ralf Eisenhauer (SPD) verweist auf bisherige Erfolge im Bereich Sauberkeit - etwa die Einführung der Wertstofftonne, die die oft aufgeplatzten Gelben Säcke ersetzt habe, oder die städtische Gehwegreinigung in manchen Stadtteilen. Letzteres sei nicht Aufgabe der Stadt, sondern der Hauseigentümer, kritisiert Volker Beisel. Melis Sekmen (Grüne) sieht das Problem globaler: „Wir müssen Müll vermeiden, die Meere sind voller Plastik.“ Auch die Aufklärung darüber in Schulen sei wichtig. Thomas Trüper (Linke) kritisiert, dass die Wirtschaft immer mehr Verpackungen produziere und die Menschen immer mehr Essen zum Mitnehmen kauften.
Seit vergangenem Jahr sollen in der Mannheimer Innenstadt Videokameras für mehr Sicherheit sorgen, im Laufe dieses Jahres sollen es insgesamt rund 70 sein. Ob sie noch mehr Kameras wolle oder ob sie deren Zahl gerne wieder reduzieren wolle, fragt Moderator Dirk Lübke Grünen-Vertreterin Melis Sekmen. „Für Sicherheit brauche ich keine Kameras, sondern Menschen, die eingreifen, also mehr Poliszisten“, entgegnet diese. „Wir sollten nicht auf eine Gesellschaft setzen, in der Kameras Menschen beobachten.“ Außerdem verdränge die Videoüberwachung die Kriminalität lediglich. Ähnlich kritisch sehen auch Trüper und Beisel den Einsatz der Kameras.
Achim Weizel widerspricht. „Die Verdrängung ist nicht sicher bewiesen“, sagt der ML-Stadtrat. Die Videoüberwachung verstärke das subjektive Sicherheitsgefühl der Menschen. Auch Claudius Kranz (CDU) verteidigt die Videoüberwachung. Ein Computerprogramm werte die Bilder aus, Personen seien nur zu sehen, wenn es verdächtige Vorgänge gebe, erklärt er. Ralf Eisenhauer (SPD) kann die Einwände gegen die Videoüberwachung nachvollziehen. Seine Fraktion habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, erklärt er. Aber unter anderem mit Blick auf das Sicherheitsempfinden der Bürger habe man zugestimmt.
Droht der Verkehrskollaps?
Von der Sicherheit geht es weiter zum Thema Verkehr - nicht nur in Mannheim, sondern mit Blick auf die anstehende Sanierung der Hochstraße in Ludwigshafen in der gesamten Region. Wie lasse sich der hier drohende Verkehrskollaps verhindern, wollen die Moderatoren wissen. Eine bessere Koordinierung der Bauarbeiten in der Region und eine bessere Information der Bürger sind die Lösung, da ist sich das Podium einig. Manche (AfD, FDP, CDU) sprechen sich für eine dritte Rheinquerung bei Altrip aus. „Die Region ist der siebtgrößte Exportraum in Deutschland. Ich kann Container nicht mit der S-Bahn in den Containerhafen bringen“, sagt Volker Beisel. Claudius Kranz fordert für Mannheim, die digitalen Möglichkeiten besser zu nutzen, um Autofahrern aufzuzeigen, wo Baustellen sind. Melis Sekmen sieht ein grundsätzliches Problem: „Das Falsche der Verkehrspolitik der letzten Jahre ist, dass man immer für das Auto geplant hat.“ Sie fordert stattdessen den Ausbau von Radverkehr, öffentlichen Verkehrsmitteln und des Car-Sharings. „Wir haben den Klimawandel, die Uhr tickt.“
Die tickt am Ende auch im Schauspielhaus, nach fast drei Stunden verabschieden die Moderatoren in den Sonntag. Und die Schülerinnen Johanna und Natalie haben in den kommenden zwei Wochen noch Gelegenheit, den einen oder anderen Punkt in den Wahlprogrammen nachzulesen und zu vertiefen.
Die Spitzenkandidaten beim "MM"-Bürgerforum
Ralf Eisenhauer (SPD) > im Video-Statement
Achim Weizel (Mannheimer Liste) > im Video-Statement
> alle Kandidaten der Freien Wähler/Mannheimer Liste
Volker Beisel (FDP) > im Video-Statement
Melis Sekem (Grüne) > im Video-Statement
Rüdiger Ernst (AfD) > im Video-Statement
Thomas Trüpers (Linke) > im Video-Statement
Claudius Kranz (CDU)
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