Mannheim. Am Montag, 20. März 2006, blickten die Mitarbeiter der Mannheimer Kunsthalle auf ein erfolgreiches Wochenende zurück. Die "Lange Nacht der Museen" hatte sie auf Trab gehalten. Und das nächste Ereignis warf bereits seine Schatten voraus. Die größte Neupräsentation der Sammlung sollte gezeigt werden. Doch um die Mittagszeit, gegen 14 Uhr, kam plötzlich Panik auf. Die stellvertretende Direktorin des Museums, Inge Herold, bemerkte, dass ein Kunstwerk fehlte. Das Bild "Friedenszeit" von Carl Spitzweg. Man hoffte noch, es zu finden. Doch bald stand fest: Es muss gestohlen worden sein - und zwar während der "Langen Nacht der Museen". Es dauerte nicht lange, bis bei dem damaligen Pressesprecher der Staatsanwaltschaft, Andreas Grossmann, das Telefon heiß lief, denn nicht nur Mannheimer Journalisten fragten sich, wie es möglich war, dass während einer Veranstaltung unbemerkt ein Kunstwerk verschwindet.
Um diesen Fall geht es in der neuen Folge von "Verbrechen im Quadrat", dem True-Crime-Podcast des "Mannheimer Morgen". Aus Ermittlersicht berichtet Oberstaatsanwalt Andreas Grossmann über den Diebstahl, der nur durch den Einsatz eines verdeckten Ermittlers aufgeklärt werden konnte. Einen etwas anderen Blick auf das Geschehen hat Hans-Ulrich Beust, der den späteren Beschuldigten vor Gericht verteidigte. Im Podcast beschreibt er die Herausforderungen, vor die ihn dieser Mandant stellte. Er erzählt auch, wie der Mann reagierte, als ihm plötzlich auch noch Vergewaltigung vorgeworfen wurde.
Verdeckter Ermittler im Einsatz
Es war so einfach wie unglaublich - und Andreas Grossmann fasst es im Gespräch mit "MM"-Redakteurin Angela Boll sachlich zusammen: Das Spitzweg-Gemälde stand "an einer Örtlichkeit, die für das Publikum nicht zugänglich sein sollte". Ein Raum, "an dessen Tür aus Denkmalschutzgründen kein Schloss angebracht werden konnte". Der Dieb war, fernab aller Überwachungskameras, in diesen Raum geschlichen, und, so erzählt es der Ermittler: "Er, hatte das Bild aus dem Rahmen gelöst und es unter seiner Kleidung versteckt." Das war's. Dann verließ er die Kunsthalle. Niemand hatte ihn gesehen, es gab null Hinweise auf einen Täter. Über Monate hinweg tappte die Polizei trotz intensiver Befragungen der Kunsthallengäste und -mitarbeiter, zahlreicher Durchsuchungen und aufwendiger Kameraauswertungen im Dunkeln.
Andreas Grossmann
- Oberstaatsanwalt Andreas Grossmann hat in Mannheim Jura studiert. Er kam zur Staatsanwaltschaft Mannheim und leitet dort heute die Abteilung Allgemeine Strafsachen.
- Im Fall um den Spitzweg-Diebstahl hat er als Pressesprecher der Behörde die Anfragen der Journalisten beantwortet.
Erst der Tipp einer Vertrauensperson der Münchener Polizei führte zu einem Verdächtigen. Ein Mannheimer Anwalt stand dadurch plötzlich Fokus der Fahnder. "Verdeckte Ermittler sind immer besondere Persönlichkeiten, die sich in ihr Gegenüber reindenken können", das sagt Andreas Grossmann im Podcast über die gezielte Kontaktaufnahme eines daraufhin eingesetzten verdeckten Ermittlers (VE). Verteidiger Hans-Ulrich Beust kann von dem ersten Aufeinandertreffen seines späteren Mandanten mit dem mit dem VE mehr berichten: "Sie sind sich in einem Kaffee begegnet und über ihre Rolex ins Gespräch gekommen." Dann sei es nur noch eine Frage der Zeit gewesen. Die beiden hätten unter vier Augen das Geschäft eingestielt: eine Million Euro für "Friedenszeit", den Spitzweg aus der Kunsthalle. Und bei der Übergabe klickten die Handschellen.
Die Geschichte könnte hier zu Ende sein. Doch bei "Verbrechen im Quadrat" kommt noch weit mehr zur Sprache. Denn kurz nach der Festnahme des Anwalts, der mit dem Bild im Koffer erwischt worden war und den Diebstahl schnell einräumte, kam auch dessen Frau ins Spiel. Und sie brachte bei ihrer Vernehmung neue Vorwürfe ins Spiel. Ihr Mann habe sie vergewaltigt, genötigt und geschlagen, sagte sie. Grossmann dazu: "Sie war von erfahrenen Ermittlern vernommen worden und wurde als glaubwürdig eingeschätzt."
Hans-Ulrich Beust
- Hans-Ulrich Beust war in Mannheim und darüber hinaus über 40 Jahre als Strafrechtler tätig. Vor kurzem erst hat er seine Anwaltszulassung abgegeben. Er ist im Ruhestand.
- Im Podcast berichtet er von seiner Verteidigungsstrategie im Spitzweg-Diebstahl und den Herausforderungen als Anwalt.
Im Mai 2007 begann der Prozess gegen den Anwalt: Diebstahl, Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, Körperverletzung - die Liste der Vorwürfe war groß. Ebenso wie das Geltungsbedürfnis des Angeklagten. "Ich wusste, dass er gern in der Öffentlichkeit auftritt", erinnert sich Hans-Ulrich Beust im Gespräch mit Angela Boll, die damals als Gerichtsreporterin den Prozess begleitete. Auch sie erinnert sich im Podcast noch an die goldene Krawatte des Angeklagten, den maßgeschneiderten Anzug und daran, dass im "MM" die Fotos des damals 41-Jährigen nicht gepixelt werden mussten.
Goldene Krawatte im Gericht
"Alles was der Mandant tat, diente eher der Aufschneiderei als der Mäßigung", sagt Beust rückblickend, mehrmals habe er versucht, den Angeklagten zurückzuhalten, doch der nutzte den Gerichtssaal als Bühne, insbesondere bei seinem letzten Wort. "Er hat es benutzt für ein Theaterstück und ich glaube, er hat es auch einstudiert", erzählt Beust. Die Einzelheiten schildern die Gesprächspartner im Podcast. Auch über das Urteil sprechen sie. Drei Jahre undzehn Monate muss der Mannheimer Anwalt, der seine Zulassung längst abgegeben hat, in Haft bleiben. Diebstahl, sexuelle Nötigung, Körperverletzung, das sind die Delikte, die übrig bleiben. Und die Erinnerung - an ein außergewöhnliches Verbrechen mit einem sehr speziellen Angeklagten.