Mannheim.
Der Babymord von Frankenthal – ein Verbrechen, das über Jahre hinweg die Justiz, aber auch die Menschen in der Region beschäftigt hat. Warum kann es so lange dauern, bis ein Mann, der für den Tod eines erst zwei Monate alten Kindes verantwortlich ist, verurteilt wird? Um diese Frage und weitere Details zu dem Fall geht es in einer neuen Episode von „Verbrechen im Quadrat“, dem Crime-Podcast des „Mannheimer Morgen“. Den Prozess aufrollen und das Geschehene beleuchten – das hatte sich Gerichtsreporterin Angela Boll vorgenommen. Und schnell wurde klar, dass diese wahre Geschichte nicht in einer Folge erzählt werden kann. Denn Beobachter und Beteiligte haben unterschiedliche Sichtweisen auf den Ablauf des Verfahrens. Mit vier Gästen, die jahrelang mit dem Fall beschäftigt waren, holt Angela Boll den Fall in Erinnerung. Der Tattag, der Medienrummel, der erste Prozess, der zweite Prozess, die vorläufige Freilassung des Täters und das Urteil – all das wird beleuchtet, aber auch bewertet.
Tat im Drogenrausch
Am Abend des 14. Mai 2016 erreichte die erschreckende Nachricht die „MM“-Redaktion. In Frankenthal soll ein Baby umgekommen sein, vermutlich sei es vom Balkon gefallen, hieß es. „MM“-Reporter Bernhard Zinke kann sich an diese erste Eilmeldung noch gut erinnern. „Die Dimension des Falls war uns am Anfang nicht klar“, das erzählt er bei „Verbrechen im Quadrat“. Doch nach und nach habe sich das dramatische Unglück zu einem Kriminalfall entwickelt. Der Vater des Babys kam in Untersuchungshaft. Bald stellte sich heraus, dass die Polizei ihn für die Tat verantwortlich macht. Der Mann soll außerdem eines seiner Kinder aus einer anderen Beziehung sowie die Mutter des Babys mit einem Messer verletzt haben. Und die Ermittler bestätigten: „Es waren wohl Drogen im Spiel.“
Bernhard Zinke
Bernhard Zinke arbeitet seit 1992 beim „Mannheimer Morgen“.
Er leitet das Team Metropolregion und begleitet in dieser Funktion auch spektakuläre Prozesse als Berichterstatter.
Alexander Klein
Alexander Klein aus Ludwigshafen ist Rechtsanwalt, spezialisiert auf Strafrecht.
Er hat im Babymord den angeklagten Vater des Babys verteidigt. Aktuell vertritt er den „Tankstellenmörder“ von Idar-Oberstein.
Boulevardmedien stürzten sich auf die Geschichte, Details aus der Beziehung der Eltern des Babys gelangten an die Öffentlichkeit. Rechtsanwalt Alexander Klein übernahm die Verteidigung des Beschuldigten. Auch er ist zu Gast bei „Verbrechen im Quadrat“ und berichtet, in welchem Zustand sein Mandant war, als er ihn kennenlernte. Es sei von Anfang an unzweifelhaft gewesen, dass dieser Mann Schuld am Tod des Babys war, das betont Alexander Klein im Podcast. Doch er zweifelte am ermittelten Tatverlauf ebenso wie am Mordmerkmal der niederen Beweggründe.
Entrüstung nach Freilassung
Als am 10. November 2016 am Frankenthaler Landgericht der Prozess begann, sollte genau das geklärt werden. Doch das Verfahren driftete immer mehr ab. In den Fokus rückte die Beziehung der Eltern des Babys. Die Mutter trat als Nebenklägerin auf, verstrickte sich in ihren Aussagen. Im Podcast wirft Alexander Klein der Frau „Belastungseifer“ vor, erklärt, warum er ihre Glaubwürdigkeit erheblich in Frage stellte. 23 Tage war bereits verhandelt worden, dann erkrankte die Richterin und das Verfahren platzte.
„Für alle eine Qual“, erinnert sich Klein im Gespräch. Im Dezember 2017 startete der neue Prozess. Noch mehr Details, noch mehr Zweifel, noch aufwendigere Befragungen – und dann der Paukenschlag: Auf Kleins Antrag wurde der Angeklagte aus der Untersuchungshaft entlassen. Mitten im Verfahren verließ der wegen Mordes angeklagte Mann auf freiem Fuß das Gericht. Ein Aufreger, „das sorgte für Entrüstung in der öffentlichen Wahrnehmung“, schildert „MM“-Reporter Bernhard Zinke bei „Verbrechen im Quadrat“.
Frank Peter
Rechtsanwalt Frank Peter aus Worms hat im Babymord-Prozess die Mutter in der Nebenklage vertreten.
Aktuell verteidigt er den Amokfahrer von Trier.
Hubert Ströber
Leitender Oberstaatsanwalt Hubert Ströber ist Chef der Staatsanwaltschaft Frankenthal.
Er hat den Babymord-Prozess aus Ermittlersicht begleitet und berichtet davon im zweiten Teil der Folge.
Hätte man dieses Aufsehen verhindern können? War die Nebenklägerin, so wie es Klein behauptet, tatsächlich schlecht auf den Prozess vorbereitet? Im zweiten Teil der Episode reagieren der Anwalt der Mutter, Strafrechtler Frank Peter, und Leitender Oberstaatsanwalt Hubert Ströber auf die Aussagen des Verteidigers. Auch Frank Peter übt im Podcast Kritik, er hätte sich vom Gericht gewünscht, dass man „nicht jedem Antrag der Verteidigung nachgeht“, sagt er, und unterstellt seinem Kollegen Klein „Vernebelungstaktik“.
Im Mai 2019 fällte die Kammer das Urteil: 15 Jahre Haft unter anderem wegen Mordes. Der Angeklagte habe im Zustand verminderter Schuldfähigkeit gehandelt, hieß es in der Begründung. „Für die Tötung eines Kindes gibt es keine angemessene Strafe“, so kommentiert Frank Peter im Gespräch mit Angela Boll das Ergebnis.
Und was sagen die Ermittler? Leitender Oberstaatsanwalt Hubert Ströber hat an dem Urteil nichts auszusetzen, die Revision sei verworfen worden, der Verurteilte habe die Haft angetreten. Doch auch er glaubt, dass alles hätte schneller durchgezogen werden können. Ströber im Podcast: „Wenn man sich auf das Wesentliche konzentriert hätte, den Zeitraum direkt vor der Tat, die Tat und die Zeit danach. Und wenn sich die Prozessbeteiligten – vernünftiger als geschehen – verhalten hätten.“ Konkret, so sagt er auf Nachfrage, habe er da Verteidiger und Anwalt der Nebenklage im Fokus. Wieder ein neuer Blickwinkel. Zwei Folgen und viel Gesprächsstoff bietet also diese neue Episode von „Verbrechen im Quadrat“ – und erstmals erscheint die Doppelfolge auch im Doppelpack. Niemand muss mehr auf den zweiten Teil warten.