Protest - Bündnis übt durch ungewöhnliche Aktion auf dem Alten Meßplatz Kritik an der Videoüberwachung in Mannheim

Umarmungen in Dauerschleife: Tanz-Demo gegen Kameras

Von 
Louis Rauert
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Scheinbar spontan kamen auf dem Alten Meßplatz etwa 50 Demonstranten zu einer Protestaktion gegen Videoüberwachung zusammen. © Ruffler

Ungewöhnliche Szenen spielen sich auf dem Alten Meßplatz ab. Etwa 50 Menschen versammeln sich auf dem Gelände in der Neckarstadt – und fangen plötzlich an zu tanzen. Silent Dance – also ein stiller Tanz – nennt sich der Flashmob gegen Videoüberwachung, der am Samstagnachmittag neugierige Blicke auf sich zieht. Einige der Demonstranten sind kostümiert, einer trägt eine dunkle Perücke mit Locken, vor das Gesicht hat er sich eine Maske mit etwas zu lang geratener Nase gespannt. Der Kopf eines anderen ist vollständig durch eine riesige, selbst gebastelte Kamera verdeckt.

Initiiert wurde der Flashmob – einen kurzen, scheinbar spontanen Menschenauflauf auf öffentlichen Plätzen, bei dem die Teilnehmer ungewöhnliche Dinge tun – von einem Aktionsbündnis um die George-Orwell-Ultras und fünf weiteren Organisationen in Zusammenarbeit mit dem Bermudafunk, dem Freien Radio Rhein-Neckar. Er richtet sich gegen die polizeiliche Videoüberwachung in Mannheim. Seit etwa einem halben Jahr ist in der Breiten Straße, auf dem Bahnhofsvorplatz, auf dem Paradeplatz und auch um den Alten Meßplatz herum ein Kamerasystem installiert, das für mehr Sicherheit gegen Kriminalität sorgen soll. Eine intelligente Software soll künftig untypische, hektische Bewegungen erkennen, die auf eine Straftat hinweisen. Und Beamte vor Bildschirmen im Lagezentrum der Polizei werten die Informationen aus.

Nur wenige Schaulustige

Und wie die Menge dort so hin und her rennt, hüpft, tanzt und gestikuliert, macht sie trotz wenig erkennbarer Synchronität in den Bewegungen einen relativ koordinierten Eindruck. Es scheint, als würde jemand im Hintergrund die Fäden ziehen und leise Anweisungen geben. Tatsächlich: Wer genauer hinschaut, dem fällt ins Auge, dass sämtliche Teilnehmer Kopfhörer in oder auf den Ohren haben. „Kopfhörer rein, Bermudafunk einschalten, Anweisungen befolgen“, heißt es auf den Flugblättern, die hier und dort an Interessierte ausgeteilt werden. Wer das tut, der hört Laura Volk von den George-Orwell-Ultras im Radio, wie sie einzelne Aktionen erklärt und dazu Musik spielt. Vom Studio in der Alten Feuerwache hat sie das gesamte Geschehen im Blick. „Das ist ein wirklich tolles Bild, besonders der Tanz sieht von oben richtig gut aus“, findet Laura Volk.

Die stillen Demonstranten in ihren bunten Sturmhauben wollen nicht nur den Algorithmen des Kamerasystems etwas zu knabbern geben, indem sie wild umherrennen, plötzlich wie versteinert stehen bleiben, rückwärts laufen oder sich in Dauerschleife die Hand geben und umarmen. Ebenso sollen Passanten auf die Kameras aufmerksam werden, die von den Aktivisten überall am Alten Meßplatz mit Luftballons markiert wurden. Schaulustige gibt es allerdings eher wenige, vereinzelt stehen kleine Gruppen oder Neugierige um die Menge herum. „Ich finde die Aktion kreativ. Es ist mal eine etwas andere Protestform, aber trotzdem noch wirksam“, meint ein Zuschauer, der seinen Namen nicht in den Medien lesen möchte. Die Videoüberwachung sehe er kritisch, besonders am Alten Meßplatz als „einer der schönsten Plätze hier in Mannheim“: „Das ist kein schönes Gefühl, wenn man es weiß, und es belästigt mich schon etwas.“

Forderung: Mehr Sozialarbeit

Jonas Maier, Pressesprecher der Grünen Jugend, sagt, das Kamerasystem könne viele Bürger unangenehm beeinflussen: „Ich finde, ein gutes Beispiel sind zwei Verliebte, die nicht wollen, dass bestimmte Dinge gefilmt werden, und daher ihr Verhalten anpassen müssen.“ Außerdem bestehe die Möglichkeit, dass die Videoüberwachung in manchen Situationen gar nicht zum Sicherheitsgefühl beiträgt, sondern genau das Gegenteil bewirkt: „Da entdeckt jemand die Überwachungskamera und fühlt sich deshalb unsicher, weil er sie damit in Verbindung bringt, dass hier viel Kriminalität passiert.“

Konkret fordert das Bündnis um die George-Orwell-Ultras die Abschaffung der öffentlichen Videoüberwachung in Mannheim. Vielmehr müsse man Kriminalität durch Sozialarbeit in ihren Ursachen angehen. Auch der Ausbau der städtischen Infrastruktur, also zum Beispiel bessere Straßenbeleuchtung, könne Wirkung erzielen, betont die Gruppe.

Anweisungen über Radio

  • Ein Bündnis von mehreren Organisationen lud am Samstagnachmittag zum Silent Dance auf dem Alten Meßplatz ein.
  • Insgesamt etwa 50 Teilnehmer machten durch den Flashmob kritisch auf die öffentliche Videoüberwachung in Mannheim aufmerksam.
  • Eine im Vorfeld einstudierte, knapp zweiminütige Choreografie und mehrere weitere Aktionen standen auf dem Programm.
  • Laura Volk von den George-Orwell-Ultras gab den Teilnehmern Anweisungen über eine Radiosendung im Bermudafunk, die über Kopfhörer verfolgt werden konnte. 
Mannheim

Silent Dance auf dem Alten Meßplatz

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