Als Landesbeauftragter für Datenschutz kontrolliert Stefan Brink, ob Behörden wie Polizeistellen, Finanzämter oder städtische Krankenhäuser in Baden-Württemberg die Datenschutzregeln einhalten. Brink berät dabei auch die Landesregierung, die Ministerien und spricht Empfehlungen aus. Er sieht im Einsatz von intelligenten Algorithmen die Chance, den Datenschutz zu stärken – trotz Überwachung.
Herr Brink, was halten Sie von der kompletten Videoüberwachung in Mannheim?
Stefan Brink: Ich kenne das Pilotprojekt sehr gut. Denn das Polizeipräsidium Mannheim bindet uns intensiv mit ein. Als Stelle für Datenschutz wollen wir ausloten, welche Möglichkeiten in dieser neuen Technik stecken. Das könnte einen positiven Effekt auf den Datenschutz haben.
Das klingt widersprüchlich: Wie kann Überwachung denn positiv für den Datenschutz sein?
Brink: Das gesamte Bildmaterial zu sichten und zu analysieren, ist ein größerer Eingriff in den Datenschutz, als nur einzelne Sequenzen anzusehen. Nur verdächtige Szenen anzuschauen, statt ständig zu beobachten, ist ein klarer Vorteil für den Bürger. Wir schauen auch intensiv auf die automatische Erkennung von Gefahrensituationen. Die Ergebnisse solcher Software machen Hoffnung für mehr Datenschutz. Auf der anderen Seite ist es sehr kritisch, wenn weitere Technik wie Gesichtserkennung eingebunden wird. Die würde unser Alltagsleben nämlich massiv beeinflussen.
Ist es nicht bedenklich, wenn sich Bürger in Mannheim nicht mehr frei bewegen können, ohne dabei gefilmt zu werden?
Brink: Das ist es nur, wenn Kameras ohne Anlass und in ganzen Stadtteilen filmen. Dafür braucht es immer einen handfesten Grund. Das Landespolizeigesetz liefert dafür genaue Vorgaben: Es darf nur dort überwacht werden, wo es Kriminalitätsbrennpunkte gibt. Man kann nicht einfach eine Kamera aufstellen – da würden wir als Aufsichtsbehörde dagegen vorgehen. Ein gutes Beispiel dafür ist Mannheim selbst: Hier mussten die Kameras (2007, Anmerkung der Red.) wieder abgeschaltet werden, weil die Kriminalitätszahlen dadurch gesenkt werden konnten. Das haben viele damals nicht verstanden, aber es ist durchaus im Sinne des Erfinders.
Gibt es kritische Punkte an dem Projekt aus Datenschutzsicht?
Brink: Ja. Denn in manchen Bereichen wird die Kriminalität nur verdrängt. Dann müsste man die Überwachung auf Seitenstraßen ausdehnen und am Ende auf die ganze Stadt. Ein Verdrängungswettbewerb ist aber kein echter Erfolg. Deshalb muss genau auf die Auswertung geschaut werden: Wo verdrängt die Überwachung die Kriminalität, wo sinkt die Straßenkriminalität dadurch?
Wie sehr werden dabei die Rechte von Bürgern verletzt?
Brink: Hier wird auf jeden Fall in die Rechte der Bürger eingegriffen. Denn die Algorithmen werten die Daten der Bürger aus. Natürlich hat die Überwachung auch Einfluss auf die Menschen: Manche fühlen sich befangen und beobachtet, meiden diese Bereiche. Das hat dann einen negativen Effekt. Trotzdem lässt sich dieser Eingriff rechtfertigen.
Wie überprüften Sie, dass es sich wirklich um einen Brennpunkt handelt?
Brink: Ich stehe mit der Polizei in engem Kontakt und kontrolliere anhand von Statistik und Daten, ob das wirklich ein Kriminalitätsschwerpunkt ist. Nur weil es etwa am Bahnhof zu einem Überfall kam, ist das kein Grund für eine Videoüberwachung. Sondern nur, wenn es die Daten wirklich hergeben.
Auf dem Alten Meßplatz in der Neckarstadt kommt es oft zu Drogendelikten. Deshalb sind auch hier Kameras installiert. Dort spielen aber täglich Kinder, die jetzt rund um die Uhr überwacht werden. Wie lässt sich das mit Grundrechten vereinbaren?
Brink: Das ist eine eigene Problematik: Kinder sind besonders schutzbedürftig. Wenn es aber eine Bedrohung der Kinder durch Drogen gibt, ist es gerechtfertigt, wenn sie gefilmt werden. Viele Eltern finden das sicher positiv, denn das ist ja zugunsten ihrer Sprösslinge. Ähnlich sensibel verhält es sich mit Krankenhäusern oder Arztpraxen, das sind Sondersituationen, die einen besonders gewichtigen Überwachungsanlass erfordern.
Welche Rolle spielen Sie als Datenschutzbeauftragter bei der Videoüberwachung?
Brink: Ich berate etwa, wo die Kameras hängen sollen, ohne dass es Konflikte mit Passanten oder Anwohnern gibt. Aber ich achte auch drauf, wie lange die Daten gespeichert, zu welchen Zwecken die Videos verwendet und wann sie wieder gelöscht werden.
Alle erwarten gespannt die Ergebnisse des Projekts. Warum wird das nicht von einer unabhängigen Stelle ausgewertet?
Brink: Als Landesbeauftragter werde ich dabei zwar intensiv eingebunden, aber die Auswertung ist zunächst die Aufgabe der Polizei. Auch der Landtag hat ein großes Interesse an der Auswertung, das Parlament wird dabei auch von mir beraten.
Das Interview wurde telefonisch geführt und Stefan Brink zur Autorisierung vorgelegt.
Zur Person
- Seit dem 1. Januar 2017 ist Stefan Brink Landesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit in Baden-Württemberg. Er wurde vom Landtag Baden-Württemberg für die Dauer von sechs Jahren gewählt.
- Er wurde 1966 im pfälzischen Kaiserslautern geboren und studierte in Mainz, Heidelberg, Dijon und Paris Jura.
- Brink war als Richter am Verwaltungsgericht Koblenz und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundesverfassungsgericht tätig.
- Von 2008 bis 2016 war er Leiter Privater Datenschutz beim Landesbeauftragten für den Datenschutz Rheinland-Pfalz, seit 2012 stellvertretender Landesbeauftragter für die Informationsfreiheit.
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