Justiz

Totschlag-Prozess in Mannheim: Staatsanwaltschaft fordert mehrjährige Haftstrafen

Im Juli 2022 starb der polnische Zeitarbeiter Piotr W. in der Neckarstadt-West. Zwei seiner ehemaligen Mitbewohner müssen sich wegen Totschlags seit Januar vor Gericht verantworten. Und doch bleibt unklar, ob sie W. tatsächlich lebensgefährlich verletzt haben

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Agnes Polewka
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Die Angeklagten haben Revision gegen das Urteil eingelegt. © Michael Ruffler

„Aus meiner Sicht haben wir nicht alles klären können, was wir klären wollten“, sagt Oberstaatsanwalt Frank Höhn am Dienstag am Mannheimer Landgericht und bilanziert in seinem Plädoyer den Gang eines außergewöhnlichen Verfahrens. Seit Mitte Januar stehen Andrzej S. (20) und Jakub - „Kuba“ - B. (23) vor Gericht, weil sie für den Tod ihres Mitbewohners Piotr W. verantwortlich sein sollen. Die Staatsanwaltschaft hat Anklage wegen Totschlags gegen sie erhoben.

Hilflose Lage des Opfers

Im Juli 2022 starb Piotr W. in einer Wohnung in der Neckarstadt-West, nur wenige Tage nach seinem Einzug in die Dachgeschoss-Wohnung in der Bürgermeister-Fuchs-Straße. Dort lebte der polnische Zeitarbeiter mit vier Landsleuten zusammen, darunter auch Andrzej S. und Jakub B. Sie sollen den 42-Jährigen laut Anklage brutal verletzt haben - so schwer, dass er starb. Sein Körper war mit Verletzungen übersät. An Kehlkopf, Nasenbein und Augenhöhle. Weil viele seiner Rippen gebrochen waren, drang Luft zwischen seine Lunge und die Brustwand. Die Lunge konnte sich nicht mehr richtig ausdehnen. Piotr W. erstickte.

„Letztlich werden wir damit leben müssen, dass unklar bleibt, wer dem Geschädigten die Verletzungen zugefügt hat“, so der Oberstaatsanwalt. Auch wenn seiner Ansicht nach vieles dafür spräche, dass die beiden Angeklagten sie verursacht hätten. Fest stehe hingegen, dass sie ihm in einer hilflosen Lage nicht halfen. „Es konnte sicher festgestellt werden, dass Piotr W. schwer verletzt und stark alkoholisiert auf dem Boden lang, sehr hilfsbedürftig“, so Höhn. Aber niemand habe sich um ihn gekümmert oder Hilfe geholt. Auf Videoaufnahmen, die auf Andrzej S.s Mobiltelefon sichergestellt wurden, sei dies deutlich zu sehen. „Dabei hätte sein Leben gerettet werden können, wenn er rechtzeitig medizinisch versorgt worden wäre.“

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Höhn fordert eine Verurteilung wegen Totschlags durch Unterlassung: acht Jahre Haft für Jakub B., der die „treibende“ Kraft gewesen sei und eine Verurteilung nach dem Jugendstrafrecht für Andrzej S., insgesamt vier Jahre Freiheitsstrafe.

Höhn zeigt sich unbeeindruckt von den Angaben der Angeklagten. Zu Beginn des Prozesstags haben sich beide erstmals zum Tatgeschehen geäußert - und abgestritten, Piotr W. verletzt haben. Mehr noch: Andrzej S. hat dabei einen der beiden anderen Mitbewohner schwer belastet, weil er in ihm den mutmaßlichen Peiniger von Piotr W. sieht.

Beteiligung des Mitbewohners?

Während der Verhandlung fiel immer wieder der Name des Mitbewohners. Andere Zeugen beschrieben ihn als aggressiv und unangenehm. Vor Gericht tauchte der Mann, der in Polen insgesamt fast 20 Jahre lang im Gefängnis saß, nicht auf. „Seine Rolle ist während des gesamten Verfahrens zweifelhaft geblieben“, betont Rechtsanwältin Brigitte Bertsch, die S. vertritt, in ihrem Plädoyer. Er sei klar als Alternativtäter verdächtig. Wegen vieler Indizien und Widersprüchlichkeiten.

Bertsch und ihr Kollege Hermann Seibert fordern eine Verwarnung für Andrzej S. - wegen unterlassener Hilfeleistung. Andrzej S. ist nicht vorbestraft. Zehn Jahre lang habe er die Schule besucht, im Bergbau gejobbt. Das will er wieder tun, nach Ende des Prozesses.

Jakub B.s Verteidiger sprechen sich für eine siebenmonatige Haftstrafe für ihren Mandanten aus, die mit der U-Haft bereits verbüßt wäre. Wegen unterlassener Hilfeleistung und fahrlässiger Körperverletzung. „Ja, die Angeklagten müssen Verantwortung tragen“, sagt Jakub B.s Verteidiger Tobias Abel. „Aber für das, was ihnen ohne Zweifel nachgewiesen werden kann.“

Am Dienstag, 14. März, 11 Uhr, soll das Urteil im Prozess gegen die beiden Männer fallen.

Redaktion

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