Mannheim. Die Staatsanwaltschaft Mannheim hat das Verfahren gegen einen Polizisten nach den tödlichen Schüssen auf der Schönau am 23. Dezember 2023 eingestellt. Bei einer Kundgebung am Sonntagabend am Ort des Geschehens in der Johann-Schütte-Straße hat sich die Familie zur Entscheidung der Staatsanwaltschaft geäußert. Unterstützt wurde sie von der „Initiative 2. Mai“, die sich nach dem tödlichen Polizeieinsatz am Marktplatz vom 2. Mai 2022 gegründet hatte und Polizeigewalt kritisiert.
Ursprünglich war die Kundgebung für den 1. Juni - unmittelbar nach der Entscheidung der Staatsanwaltschaft - geplant. Die Familie des Verstorbenen Ertekin Ö. hatte aufgrund der Messeratacke auf dem Marktplatz ihre Erklärung aus Rücksicht auf die Hinterbliebenen des verstorbenen Polizisten verschoben. Eine Schweigeminute für Ante P, Ertekin Ö. und Rouven Laur ging der Kundgebung am Sonntagabend voraus. Und auch die ersten Worte von Ertekins Schwester, Meral Sert, galten den Hinterbliebenen des Polizisten. Dann aber hagelte es Kritik.
Offene Fragen nach Begründung der Staatsanwaltschaft
50 bis 100 Teilnehmende waren zu der Kundgebung in die Johann-Schütte-Straße gekommen. „Überall Polizei, nirgendwo Gerechtigkeit“, steht auf einem Banner der „Initiative 2. Mai“. Jugendliche positionierten sich mit Plakaten, auf denen das Konterfei des Verstorbenen zu sehen war. Eine Bekannte von Ante P., die später ein Gedicht über den Polizeieinsatz auf dem Marktplatz vom 2. Mai vorlesen wird, hielt ein Schild mit der Aufschrift „Das sah für mich aus wie eine Hinrichtung“ in die Höhe. Ante P.´s Schwester sprach in einer Audiobotschaft zu den Teilnehmenden. Ein türkischer Fernsehsender war vor Ort.
„Das Urteil der Staatsanwaltschaft macht uns wütend. Wir werden uns mit diesem Urteil nicht abfinden“, proklamierte Angelina, eine Mitstreiterin der „Initiative 2. Mai“. Vor allem Menschen mit Migrationshintergrund und in psychischen Ausnahmesituationen würden Opfer von tätlichen Übergriffen durch Polizeibeamte, die wenigsten von ihnen würden in einer Verhandlung münden.
„Wir können nicht nachvollziehen, warum das Verfahren eingestellt wurde“, sagte Emrah Durkal, Sprecher der „Initiative 2. Mai“. Er las Passagen aus der siebenseitigen Begründung der Staatsanwaltschaft, die aus seiner Sicht viele Fragen offen ließ. Die Erklärung, warum kein Reizgas habe eingesetzt werden können, sei fadenscheinig. Die vier Schüsse, nachdem der erste bereits tödlich gewesen sei, würden nicht begründet. „Und ich frage mich, warum Innenminister Thomas Strobl sich so gegen Taser in Baden-Württemberg ausspricht. Traut er seiner Polizei nicht zu, damit umzugehen?“, fragte Durkal.
Mit dem Einsatz von Tasern würde Ertekin Ö. heute möglicherweise noch leben. Die Familie von Ertekin Ö. habe Widerspruch gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft eingelegt und fordert ein Gerichtsverfahren. „Denn in der Bundesrepublik Deutschland entscheidet ein Richter, ob jemand schuldig ist, und nicht der Staatsanwalt.“
Familie des Verstorbenen bei Kundgebung anwesend
Die Familie des Verstorbenen war bei der Kundgebung zwar anwesend, doch Durkal verlas die Erklärung, die Meral Sert zu der Entscheidung der Staatsanwaltschaft abgegeben hatte, in ihrem Namen. „Es mag sein, dass der Staatsanwalt die Akte wegen Notwehr und Gerechtfertigung schließt, aber wo bleiben die Menschenrechte? Warum wird nicht berücksichtigt, dass nach vier Schüssen mein Bruder vor Ort gedreht und von vier bis fünf Polizisten festgehalten und in Handschellen gelegt wurde, obwohl er doch nur um sein Leben kämpfte?“ Sie wollte außerdem wissen, was „im Kopf des Polizisten vorging, während er ohne mit der Wimper zu zucken vier Schüsse abgab“.
Die Familie könne und wolle eine solche Tat nicht verstehen. Sie habe die Polizei als Freund und Helfer kennengelernt und vollstes Vertrauen gehabt, denn sie habe Deutschland als ihre zweite Heimat gesehen. „Jetzt haben wir Angst, wir fühlen uns nicht mehr sicher. Ich appelliere an den Staat und an die Bürger: Es soll nicht noch einmal ein Mensch sterben müssen.“
Mannheimer Marktplatz kein Ort für rechte Propaganda
Auch die Mannheimer Stadträtin Nalan Erol (Li.Par.Tie) ergriff bei der Kundgebung das Wort. Warum auf den Oberkörper anstatt auf die Beine geschossen worden sei, sei unverständlich. Sie forderte zudem Konsequenzen für den Polizisten. „Es kann nicht sein, dass die Polizei straflos töten kann“, sagte Erol.
In Ihrer Ansprache kritisierte sie auch, dass rechte Propaganda wie die von „Pax Europa“, die am 31. Mai schließlich zu dem tödlichen Messerangriff geführt hatte, auf dem Mannheimer Marktplatz überhaupt zugelassen worden war. Schließlich werde dort unmittelbar auch die türkische Gemeinde, die rund um den Marktplatz ansässig ist, herabgewürdigt.
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