Mannheim. Das Bedrückendste kommt – wie so oft – am Schluss. Denn als sich die zentrale Mannheimer Gedenkveranstaltung für die Opfer des Holocaust schon ihrem Ende zuneigt, sind es die Schüler der Wilhelm Wundt-Realschule, die zeigen, dass zwischen dem „Asozialen“, wie er im Dritten Reich kriminalisiert, schikaniert und ermordet wurde, und der Konstruktion des Asozialen heute kaum ein nennenswerter Unterschied besteht.
Es ist diese bittere Erkenntnis, die aufwühlt und nachdenken lässt. Da mag die Omikron-Welle ein persönliches Zusammentreffen zum kollektiven Gedenken weiterhin verhindern: Eine solche Botschaft entfaltet auch im digitalen Raum unerhörte Kraft. Was man so auch über die ganzen gut 90 Minuten sagen darf, die sich einer Opfergruppe des Nationalsozialismus widmen, die vom Bundestag erst vor nicht einmal zwei Jahren als solche anerkannt wurde.
Umso klarer sind die Worte jetzt, da die Schicksale all derer, die mit schwarzen und grünen Winkeln als Berufsverbrecher und Asoziale gebrandmarkt wurden, um – wenn auch posthum – auf ihre Anerkennung zu warten. Oberbürgermeister Peter Kurz stellt klar, dass die Nazi-Ideologen ihre Pläne der Beseitigung von unliebsamen Zeitgenossen aus der Volksgemeinschaft keineswegs mit rechtsstaatlichen Prinzipien, sondern einzig mit der fatalen Idee eines „reinen Volkes“ rechtfertigten; mit allen dafür notwendigen Konsequenzen. Mehr als 10 000 Menschen wurden im April und Juni 1938 bei der sogenannten Aktion „Arbeitsscheu Reich“ inhaftiert, drangsaliert - und oft auch ermordet.
94 Mannheimer registriert
Unter ihnen – das hebt Kurz heraus – waren auch mindestens 30 Personen aus Mannheim. Wie der 22-jährige Waldhöfer Landarbeiter Willy Elm, der die Konzentrationslager Buchenwald, Dachau, Mauthausen und Herzogenbusch zwar überstand, 1945 jedoch im Alter von nur 30 Jahren an den Folgen seiner Internierung verstarb.
Insgesamt wurden 94 Personen aus der Quadratestadt in Konzentrationslagern des damaligen Reiches registriert, wie Kurz rekapituliert – und dabei auch die haarsträubenden Geschichten von Ernst Herbert und Albert Beyer erzählt, die wegen „Eckenstehen“, Fahrens ohne Licht und Landstreicherei als Asoziale abgestraft wurden und bereits in jungen Jahren in KZ-Haft den Tod fanden. Politische Verfahrensweisen, für die Kurz deutliche Worte findet: „Solche Grausamkeit erträgt keine Relativierung.“
Systematische Ausgrenzung
Dass solche und ähnliche Beschlüsse der NS-Regierung traurige Kontinuität hatten, stellte der Historiker Thomas Roth vom Kölner NS-Dokumentationszentrum in seinem Hauptvortrag heraus. Demnach habe man sich – juristisch und ordnungspolitisch – dadurch Macht verschafft, dass man sozial Ausgegrenzte wie Bettler, Wohnungslose, Prostituierte, Spielsüchtige und Alkoholiker schlichtweg als volksgefährdende Gruppen dämonisiert habe. In einer Gesellschaft von Zucht und Ordnung hätten sie ihre bürgerlichen Ehrenrechte verwirkt und seien so quasi zu Freiwild der Kriminalpolizei geworden. Manchen „Störenfrieden“ habe man temporär vermeintliche Wiedereingliederungen angeboten, um benötigte Arbeitskräfte für die Rüstungsindustrie oder „Menschenmaterial für die Wehrmacht“ zu erhalten. Allein: Die soziale Ausgrenzung sei klar angelegt gewesen.
Warum jemand den Stempel des Asozialen erhalten hat – so dokumentieren es auch die Schüler des Moll-Gymnasiums und des Ludwig-Frank-Gymnasiums – interessierte keinen: „Es wird schon einen wichtigen Grund gehabt haben.“ Eine Mahnung, die von zeitloser Gültigkeit sein sollte.
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