Mannheim

Sozialminister Lucha: „Mannheim ist die Blaupause für eine vielfältige Gesellschaft“

Baden-Württembergs Sozialminister Manfred Lucha besucht die türkische Gemeinschaft und nutzt beim gemeinsamen Fastenbrechen die Gelegenheit, seinen Respekt für das pragmatische Engagement im Erdbebengebiet auszusprechen

Von 
Waltraud Kirsch-Mayer
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Baden-Württembergs Sozialminister Manfred Lucha (Mitte) kam bewusst während des Fastenmonats Ramadan zu Besuch nach Mannheim. © Michael Ruffler

Mannheim. Gläser und Teller bleiben erst mal leer - schließlich dauert es bis zum Sonnenuntergang noch eine gute halbe Stunde. Im Nebenzimmer des Restaurants Taksim kommt eine ungewöhnliche Runde zusammen: Manfred Lucha, Baden-Württembergs Sozial- und Integrationsminister, sowie Staatssekretärin Elke Zimmer treffen sich mit Vertretern der türkischen Gemeinschaft, um sich darüber auszutauschen, wie zwei Monate nach dem großen Erdbeben in der Türkei und Syrien Hilfen koordiniert werden können - und dies möglichst unbürokratisch.

Dass Fatih Ekinci moderiert, kommt nicht von ungefähr. Schließlich hat er sechs Jahre in Stuttgart das Büro des Grünen-Politikers Lucha geleitet, ehe er in seine (Fast-)Heimatstadt Mannheim zurückkehrte - ins Rathaus. Klar, dass auch Claus Preißler gekommen ist, der als Integrationsbeauftragter der Quadratestadt die Arbeitsgruppe zwischen der Kommune und den türkischen Initiativen begleitet.

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Lucha nutzt die Zusammenkunft, um der türkischen Gemeinschaft Respekt für ihr pragmatisches Engagement in dem Erdbebengebiet auszusprechen. Er dankt außerdem dafür, dass Geschäftsleute wie Moscheen während der Corona-Pandemie viel Aufklärung geleistet und Impfaktionen organisiert haben. „Mannheim ist die Blaupause für eine vielfältige Gesellschaft“, kommentiert der Politiker und verhehlt nicht, dass er ganz bewusst während des Ramadan zum gemeinsamen Fastenbrechen gekommen ist. Ihm sei wichtig zu signalisieren, dass Rituale Andersgläubiger respektiert werden. Gleichzeitig betonte der Minister: „Keine Religion darf über dem Verfassungsstaat stehen - aber der garantiert, dass jeder seine Religion ausüben kann.“

Zukunftsstrategien im Blick

Das Bild von der Brücke, die es zu bauen gilt, taucht an diesem Abend häufig auf. Der Lebensmittelunternehmer (Suntat) und Macher Mustafa Baklan schildert nicht nur die bisherigen Aktivitäten im Erdbebengebiet, sondern auch die Herausforderungen: „In der Türkei sprechen wir von Mutterland, in Deutschland von Vaterland - beide müssen wir kulturell zusammenbringen.“ An dem Austausch beteiligt sich auch Kenan Nalci vom Ortsverein Marktplatz Mannheim, kurz OMMA, der 50 Unternehmer der Innenstadt vertritt.

„Wir müssen alle Kräfte bündeln und unterschiedlichste Branchen zusammenbringen“, kommentiert Baris Yilmaz, Vorsitzender des Alevitischen Zentrums Rhein-Neckar und SPD-Stadtrat im linksrheinischen Ludwigshafen. Denn eines hat sich grundsätzlich geändert: Anders als bei früheren Naturkatastrophen hat sich jenseits familiärer Unterstützungen eine starke türkische Gemeinschaft gebildet, die ganzheitliche Hilfskonzepte erarbeiten möchte - und dabei auch Zukunftsstrategien im Blick hat. Dass es dabei um mehr als Nahrung und ein Dach über dem Kopf geht, ist großes Thema. Schließlich hat das zerstörerische Beben auch sämtliche Bildungsangebote ausgelöscht.

Hülya Ayaglar von der Suntat-Bildungsbrücke plädiert dafür, dass gerade jetzt aus einer offenen Migrationsstadt wie Mannheim das Gedankengut der Demokratie transferiert werden sollte. Die vereidigte Dolmetscherin setzt sich dafür ein, „dass auch gezielt Frauen bedacht werden“. Ihr schwebt der Aufbau einer türkisch-deutschen Berufsschule rund um Pflege als Win-win-Strategie vor: „Dies wäre für beim Wiederaufbau im Erdbebengebiet für Frauen eine große Chance. Und bei uns in Deutschland fehlen solche Kräfte.“

Die Uhr zeigt auf acht Minuten nach 20 Uhr, als im Nebensaal des Restaurants mitten in den H-Quadraten Platten mit türkischer Pizza, Köfte und außerdem Linsensuppe aufgetragen und die Gläser gefüllt werden. An den Tischen geht es neben Hilfen für die Erdbebenopfer um viele Themen. Auch um Heimat.

Zwischen Orient und Okzident

Sedat Dübüs, der in Mannheim ein Taxiunternehmen betreibt und zum Vorstand des Erziehungs- und Kulturvereins in H 3 gehört, erzählt, dass seine als Gastarbeiter nach Deutschland gekommenen Eltern nach der Rente zurück in die Türkei gingen. Er, inzwischen ebenfalls über vier Jahrzehnte in Mannheim, könne sich nach dem Berufsleben allenfalls vorstellen, zwischen Orient und Okzident zu pendeln - „schließlich leben meine Kinder hier“.

Ihm gegenüber sitzt Ali Ungan. Der Leiter der Orientalischen Musikakademie berichtet stolz, dass in Mannheim auch arabische Instrumente ihren Platz gefunden haben - „an der Popakademie können diese sogar studiert werden“. Und natürlich habe es ein großes Benefizkonzert für die Erdbebenopfer gegeben. Als Minister Lucha spätabends aufbricht, erklärt er, viele Hausaufgaben und Anregungen mitzunehmen. „Und der Dialog geht auf jeden Fall weiter“, sagt er.

Freie Autorin

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