Mannheim. „Jetzt beruhigen wir uns erst einmal und atmen tief durch.“ So oder ähnlich mahnt Richterin Gerhards nicht nur einmal, als Blockaden der Klimaaktivisten „Letzte Generation“ ausgeleuchtet werden. Während des Verhandlungsmarathons herrscht nicht nur schweißtreibende Schwüle im Gerichtssaal. Obendrein erweist sich die Stimmung als explosiv. Das am Freitag erwartete Urteil wird an einem weiteren Sitzungstag fallen.
Eigentlich beginnt der Mammut-Prozesstag um 8.30 Uhr sehr entspannt, als eine kleine Gruppe von Männern und Frauen bei einer angemeldeten Kundgebung vor dem Portal des im Schloss residierenden Amtsgerichtes ein Banner vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland hochhält und zur Gitarre für mehr Klimaschutz singt. Mit dabei ist Aktivist Raúl Semmler, der sich ein halbe Stunde später wegen insgesamt vier Vorwürfen in Zusammenhang mit drei Verkehrsblockaden innerhalb der Quadratestadt sowie Sachbeschädigung durch wilde Plakatierung verantworten muss.
Rául Semmler verteidigt sich trotz Anwalt selbst
In diesem Prozess ist vieles ungewöhnlich: Auch dass der Angeklagte zwar einen eigenen Anwalt zur Seite hat, sich aber zusätzlich selbst verteidigt und demonstrativ eine schwarze Robe überzieht. Gegenüber einer Journalistin erklärt er, „symbolträchtig“ darauf hinweisen zu wollen, dass ihm kein Pflichtverteidiger zugebilligt worden sei.
Staatsanwältin Reichardt verliest jene Strafbefehle, gegen die der Aktivist Widerspruch eingelegt hat und deshalb eine Gerichtsverhandlung nötig geworden ist. Mit dem Vorwurf der Nötigung sind drei Ereignisse verknüpft: die jeweilige Teilnahme an der Blockade der Fressgasse mit „Extinction Rebellion“ am 11. Dezember 2021 sowie an der Klebe-Aktion auf dem Luisenring/B 44 am letztjährigen 23. Mai und wenig später, 13. Juni, an der Sperrung der Wilhelm-Varnholt-Allee nahe des Planetariums.
Aktivist der "Letzten Generation" drohen Geldstrafen
Im Raum stehen Geldstrafen in Form von bis zu 140 Tagessätzen in jeweils verschiedenen Höhen. Allerdings werden diese nicht einfach addiert. Das Gericht bilde eine Gesamtstrafe und beziehe darin einen rechtskräftigen Bescheid des Amtsgerichtes Erding ein, erläutert die Richterin.
Insofern spielen die Vermögensverhältnisse des Angeklagten eine wichtige Rolle. Raúl Semmler, ausgebildeter Schauspieler und Drehbuchautor, gibt als Beruf „selbstständig“ an und erklärt, dass seine Einkünfte, vor allem durch Vorträge über Klimaschutz, monatlich maximal 400 Euro erreichen. Allerdings habe seine Frau ein festes Gehalt. Vermögenswerte verneint er. Bei der Frage nach Schulden verweist Semmler auf noch ausstehende Kosten aus Prozessen.
Der Aktivist hat eine vorbereitete Erklärung mitgebracht, die er mit der Professionalität eines Bühnenakteurs vorträgt, ja rezitiert: Raúl Semmler führt aus, dass er Klimakampagnen als „Akt der Notwehr“ betrachte, weil eine unzureichende Umweltpolitik in Verbindung mit dem „Rausch des Geldes“ Menschen zu Opfern mache. Außerdem plädiert er dafür, auch nach außen ein juristisches Zeichen zu setzen. Die Mahnung der Richterin, sich auch bei unterschiedlichen Positionen in gegenseitigem Respekt auseinanderzusetzen, bleibt des Öfteren auf der Strecke.
Insbesondere wenn die Verteidigung Polizisten im Zeugenstand zu den Straßenblockaden und deren Auflösung befragt. Und so greift die Staatsanwältin ein, als Raúl Semmler einem Beamten unterstellt, dieser bräuchte eine Rechtsfortbildung, die ihm die Grundsatzentscheidung in Sachen Versammlungsrecht anlässlich der einstigen Proteste um das Kernkraftwerk Brokdorf näher bringe. „Stellen Sie nur ganz konkrete Fragen“, fordert die Richterin den Angeklagten in der schwarzen Robe nicht nur einmal auf.
Straßenblockaden in Mannheim: Behinderte Tochter nicht abgeholt
Beim Ausleuchten der Straßenblockaden mit jeweils fünf Aktivisten auf der Fahrbahn - davon vier, darunter auch Semmler, festgeklebt - versuchen der Angeklagte wie sein Anwalt Christian Mertens darzulegen, dass die zur Last gelegte Verkehrsbehinderung hätte deutlich entschärft beziehungsweise verkürzt werden können, wenn die Polizei die sich stauenden Autos früher umgeleitet hätte. Hingegen führen die gehörten Einsatzkräfte aus, warum dies keineswegs möglich gewesen wäre.
Geladen hat die Richterin auch betroffene Autofahrer, die aufgrund der Demo-Sperrungen zwei Stunden zu spät ihren Arbeitsplatz erreichten. Auf Befragen zeigten sie für die Klima-Demo kein Verständnis.
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In den Zuschauerreihen sitzt eine Frau, die im Dezember 2021 in die Aktion an der Fressgasse geraten war und deshalb ihre behinderte Tochter nicht vereinbarungsgemäß abholen konnte. In einer Verhandlungspause berichtet sie dem Aktivisten, durch „welche Hölle“ sie an diesem Tag gegangen ist.
Die aufgeheizte Atmosphäre bricht sich am späten Nachmittag Bahn, als Raúl Semmler einem Polizisten an den Kopf wirft, dass dieser wohl keine Ahnung habe, welch eine Gefahr die permanente Erderwärmung für die Menschen bedeute. „Ich stelle hier die Fragen“, empört sich Semmler, als der Zeuge seinerseits Fragen stellt. Die Richterin ordnet eine Pause an, bevor es mit der nächsten Anhörung weitergeht. Zu dieser späten Nachmittagsstunde haben die Sympathisanten der „Letzten Generation“ längst den Gerichtssaal verlassen.
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