Mannheim. Alexej und Sascha sitzen auf ihren Betten. An der Wand gegenüber von Saschas Bett steht ein Schrank. In der Mitte ein kleiner Tisch, auf dem ein Brief liegt. Die jungen Männer kennen die Logos auf dem Briefkopf: „ARD ZDF Deutschlandradio - Beitragsservice“ ist zu erkennen. „Habt ihr schon wieder einen bekommen“, stellt Kerstin eher ernüchternd als fragend fest. Seitdem die aus der Ukraine geflüchteten Alexej und Sascha auf Columbus wohnen, beantwortet Kerstin regelmäßig diese Briefe. Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine geflohen sind, müssen in der Regel keinen Rundfunkbeitrag zahlen. „Irgendwann kommt man sich echt bescheuert vor, wenn man immer wieder mitteilen muss, dass hier Flüchtlinge wohnen.“
Geflüchtete aus der Ukraine in Mannheim: Zu neunt in einer Wohnung
Kerstin kümmert sich seit vielen Monaten ehrenamtlich um Alexej und Sascha. Um sie anonym zu halten, sind ihre Namen und der von Kerstin geändert worden. Sascha ist mit seiner Mutter und der kleinen Schwester aus Winnyzja in der Zentralukraine geflohen, Alexej ein Freund. Seit mehr als einem Jahr leben sie bereits auf Columbus, wo Geflüchtete in WG-artigen Wohnungen beherbergt sind. Insgesamt neun Personen wohnen in dem Apartment. Das Jobcenter überweist pro Bett eine Miete von 469 Euro an einen privaten Vermieter.
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634 Geflüchtete aus der Ukraine leben in den früheren Kasernen. 70 Plätze sind derzeit frei, teilt eine Sprecherin des von Michael Grötsch (CDU) geführten zuständigen Dezernats mit. „Der Standort hat sich als eine Station in Mannheim bewährt, von der ausgehend sich die Vertriebenen weiter orientieren.“ Das zeige sich daran, dass seit Oktober 2022 - als die ersten eingezogen waren - 650 wieder ausgezogen sind. Zwar werde nicht erfasst, ob die eine Wohnung bezogen oder die Stadt verlassen haben. „Aber die Integrationsmanagerinnen im Café Czernowitz berichten aus ihren Gesprächen, dass ein großer Teil Wohnungen in Mannheim gefunden hat.“
Stadt Mannheim derzeit unter ihrer Quote für Geflüchtete aus Ukraine
Kerstin teilt das nicht. Sie glaubt, Geflüchtete würden immer mehr vergessen werden - „gerade hier draußen auf Columbus“, sagt sie. „Die Bereitschaft von Behörden, Flüchtlingen aus der Ukraine unbürokratisch zu helfen, nimmt ab, je länger der Krieg dauert.“ Nicht nur bei der Wohnungssuche, auch mit anderen Hürden der Bürokratie „geht alles sehr, sehr langsam voran“. So müssten Nachweise oft mehrfach gedruckt und geschickt werden. „Wir brauchen Geduld“, soll sie Alexej und Sascha oft sagen. „Inzwischen kennen die den Satz schon und lachen.“ Die Bürokratie, hört man nicht nur in diesem Gespräch, bereitet Ehrenamtlichen wie Geflüchteten die meisten Probleme. „Wir sind Hinterwäldler, wenn es um Digitalisierung geht“, sagt Kerstin.
Fehlende Sprach- und Ortskenntnisse erschweren die Situation. So habe Alexejs Mutter eine Anzeige entdeckt und sich die Wohnung angeschaut, erzählt Kerstin - direkt neben der Lupinenstraße. „Hätten sie mich gefragt, hätte ich gesagt, dass das keine gute Gegend für Frauen ist.“ Die Familie wolle ihr nicht zu oft zur Last fallen, glaubt sie. „Sie wollen so eigenständig wie möglich leben, eigenes Geld verdienen und endlich in eine richtige Wohnung ziehen.“
Einige Kommunen noch im Plus
Noch immer flüchten Menschen nach Deutschland. Zwar ist die Gesamtzahl der Ukrainer, die Bürgergeld beziehen, in Mannheim „leicht rückläufig“, erklärt die Dezernatssprecherin. Tendenziell nehme sie aber „eher wieder zu“.
Lange Zeit hatte Mannheim mehr Geflüchtete aufgenommen als es die Quote vorsah. Seit Ende August liegt die Stadt unter der Quote. Das Land weist ihr deshalb regelmäßig Ukrainerinnen und Ukrainer zu, teilt die Sprecherin mit. Trotzdem gebe es ein Minus von 192 Personen. „Das liegt daran, dass einige andere Kommunen in Baden-Württemberg wie Baden-Baden und Ulm noch deutlich im Plus sind.“
Auf Columbus leben neben Menschen aus der Ukraine auch etwa 470 aus anderen Ländern. Das mache es auf Columbus nicht einfacher, sagt Kerstin. Im Gegensatz zu Menschen aus der Ukraine bekommen die aus anderen Ländern weniger Leistungen, was zu Neid und Diskussionen unter den Gruppen führe.
Suche nach Beschäftigungen bei den Geflüchteten aus der Ukraine
„Columbus-Storys“, sagt Alexej nüchtern, als er von Polizeieinsätzen wegen Drogendelikten auf dem Gelände und - laut ihm - im Bereich der nicht-Ukrainer erzählt. Die Polizei bestätigt das nicht. Zwar gebe es Einsätze, erklärt eine Sprecherin. Aber vor allem wegen „Ordnungsstörungen und Ermittlungen, die im Zusammenhang mit dem Aufenthaltsstatus einzelner Bewohner stehen“, heißt es. „Eine Häufung bestimmter Delikte mit strafrechtlicher Relevanz ist im Bereich nicht feststellbar.“
Vormittags verbringen die Männer die meiste Zeit am Laptop, um das Informatikstudium in der Ukraine zu beenden. „Nachmittags ist es langweilig“, sagt Alexej. Das hört man auch in Gesprächen mit anderen Geflüchteten auf Columbus.
Kerstin besucht die Familie deshalb häufig, hat Sascha und Alexej auch zu sich nach Hause eingeladen und andere Aktivitäten unternommen. „Man muss die Menschen beschäftigen, damit sie nicht auf dumme Gedanken kommen.“ Damit meine sie nicht nur Drogen oder Alkohol. „Die Jungs bekommen ein schlechtes Gewissen, wenn sie darüber nachdenken, dass sie hier sind, während ihre Freunde kämpfen“, sagt sie. „Ich habe Angst, dass sie irgendwann auch zurück wollen.“
Verlorene Zeit
Alexej und Sascha sprechen fließend Englisch, aber kaum Deutsch. Nachmittags und abends, wenn viele Sprachkurse angeboten werden, passen sie auf die Kinder in der WG auf, damit die Mütter Kurse belegen können, um ihre Chancen auf eine Arbeitsstelle zu erhöhen.
Viel Zeit gehe verloren, weil die Kurse in der Stadt angeboten werden, sagt Kerstin. „Warum kann man das nicht vormittags hier auf dem Gelände machen, wenn die Kinder in der Schule sind?“ Das würde Aufwand und Betreuung vereinfachen.
Eine Sprecherin des zuständigen Bundesamts für Migration und Flüchtlinge erklärt auf Anfrage, dass in Mannheim Sprachkurse auch am Vormittag angeboten werden. Die Nachfrage aber sei groß. Auf Columbus seien Kurse grundsätzlich möglich - die Träger würden dort aber „an räumliche und personelle“ Grenzen stoßen.
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