Feuer

So lief die Evakuierung wegen des Brandes im Mannheimer Jungbusch

Rund 150 Menschen mussten wegen des Feuers im Jungbusch ihre Wohnungen verlassen - zum Teil in großer Hektik und ohne Gepäck. Das Vorgehen von Einsatzkräften und Stadt wird unterschiedlich bewertet

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Florian Karlein
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Eindrücke von der Notunterkunft in der Jungbuschhalle, in der nach dem Großbrand der Kauffmannsmühle in der Hafen-/Böckstraße etwa 50 Personen unterkamen © Florian Karlein

Mannheim. Kurz vor 23.30 Uhr in der Nacht auf Samstag droht die Stimmung zu kippen „Eine Frechheit“, ruft ein Mann durch die Notunterkunft in der Jungbuschhalle. Die Köpfe von 20 Menschen, die dort nach dem Großbrand der ehemaligen Kauffmannsmühle an der Ecke Hafen- und Böckstraße gerade ausharren, drehen sich augenblicklich zu ihm. „Nicht mal was Gescheites zu essen gibt es hier.“ Er schaut auf zwei Tische an der Seite des länglichen Raums. Ein paar Tüten mit Salzbrezeln, Müsliriegel, Wasserkocher, Plastikbecher und Teebeutel liegen verstreut darauf herum. Daneben stehen Getränkekisten: Es gibt Wasser und Apfelschorle.

Wohnung ohne Geldbeutel und Jacke verlassen

Viele der Menschen sind zu dem Zeitpunkt schon seit dem frühen Nachmittag aus ihren Wohnungen. Etwa 150 mussten evakuiert werden, informierte die Polizei. So etwa der lautstarke Mann, der seinen Namen nicht sagen möchte. Stundenlang habe er vor der Popakademie gestanden, gewartet und gehofft, dass der Brand nicht so schlimm ist. In Jogginghosen, ohne Jacke und Geldbeutel hatte er seine Wohnung verlassen, durfte nicht mehr zurück, um ein paar wichtige Dinge zu holen.

„Zum Glück“, erzählt er, „habe ich gestern eine Jacke im Geschäft vergessen.“ Die trägt er jetzt in der Notunterkunft, wo er sich mit Bekannten aus dem Viertel seit Stunden die Zeit vertreibt. Wo er den Rest der Nacht verbringt, wie es am Samstag weitergeht, weiß er kurz vor Mitternacht nicht. 

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Das gilt für die allermeisten in der Notunterkunft. Ein Hund jault. Eine Frau bläst die Backen auf, atmet laut aus. Auch sie darf nicht in ihre Wohnung zurück, um Medikamente zu holen, die sie benötigt. Das machen ihr die Einsatzkräfte freundlich, aber bestimmt klar. Sie appellieren an alle: Wer bei Freunden oder Verwandten unterkommen kann, soll sich auf den Weg machen.

Ein paar Minuten zuvor gab es spärliche Informationen. Im Best Western Hotel in den C-Quadraten wurden die ersten Betten organisiert. Wer dahin darf? In dem Moment für die Menschen noch unklar.

Auch Notfallseelsorger in der Jungbuschhalle

Etwa 50 Menschen melden sich im Laufe des Abends in der Jungbuschhalle an, sagt Patrick Hildmann um 22:38 Uhr. Er ist vonseiten der Feuerwehr verantwortlich für die provisorische Unterkunft. Bis Mitternacht soll geklärt sein, wie es für die Frauen, Männer und wenige Kinder weitergeht. „Die Stimmung ist verhältnismäßig gut“, konstatiert er. Falls alle Versuche, Hotelbetten zu organisieren scheitern, stünden Feldbetten bereit, sagt Hildmann. Aufgebaut sind sie in der Jungbuschalle nicht. Kurz danach treffen auch die Notfallseelsorger mit ihren lilafarbenen Westen ein.

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„Do you speak English?“ Auch Dom (25) und seine Bekannte Shiela (23) warten auf ein Hotelzimmer, verraten sie im Gespräch auf Englisch, beide sprechen kein Deutsch. Etwas gelangweilt wirken sie an ihrem Tisch, starren auf den roten Boden oder die grauen Betonwände. Aber es geht ihnen gut, die Stimmung sei den Umständen entsprechend gut, versichern die beiden. Von der Notunterkunft haben sie über das Internet erfahren. Bis sie in die Jungbuschhalle gekommen sind, haben sie sich die Zeit in der Innenstadt vertrieben. Aber jetzt, lassen sie erkennen, wollen sie die notdürftige Unterkunft so langsam auch hinter sich lassen.

Wegen des Brandes in der Kauffmannmühle mussten etwa 150 Leute ihre Wohnungen verlassen © René Priebe

„Die hätten das mit großen Lautsprechern durchsagen sollen.“ Auch Simon Kramer musste am frühen Nachmittag aus seiner Wohnung im Gebäude genau gegenüber der brennenden Kauffmannsmühle. Dass die Information und Evakuierung besser läuft als beim Cointainerunglück im Sommer im Hafen, meint der 45-Jährige ebenso. Er sitzt auf einer kleinen Bank, wie man sie aus Schulsporthallen kennt. Dort ist eine Ladestation für Smartphones eingerichtet. Kramer versucht, noch ein paar Akku-Prozent zu bekommen. Am anderen Ende des Raums liegen Malbücher und Stifte wild verteilt auf einem Tisch. Kinder sind nicht zu sehen. Am Nebentisch vergräbt ein Mann sein Gesicht vornübergebeugt in seinen Armen, versucht zu schlafen.

Kritik an Evakuierung

Kristian Nuculovic wohnt in demselben Gebäude. Er stand, so schildert er, auf dem Balkon, um Videos von dem Feuer zu machen, als ihm ein Feuerwehrmann auf einer Drehleiter signalisiert habe, sofort reinzugehen. Im Haus habe er dann schon Polizisten über die Flure rufen hören. „Wir haben hier alles für unser Kind bekommen, was wir brauchen“, so der 35-Jährige: Windeln, Feuchttücher, Nahrung. „Sogar Schnuller“, ergänzt seine Lebensgefährtin Elmira Zheleva. Der 20 Monate alte Nachwuchs ist da gerade bei der Oma. Nuculovic ist an dem Abend viel unterwegs, spricht mit Menschen, hilft ihnen. Er arbeitet im Gemeinschaftszentrum im Jungbusch, macht dort Kinder- und Jugendarbeit.

„Ich schau‘ mal, ob das Hotel meine Anforderungen erfüllt“, sagt Simon Kramer nach der Best-Western-Ankündigung. Er hat seinen Humor nicht verloren. Anders der Mann, der seinem Unmut über die Zustände in der Notunterkunft lautstark Luft gemacht hatte. Es ist kurz vor Mitternacht, als er vor der Halle steht und eine Zigarette raucht. Werner beruhigt ihn. Er lebt seit 22 Jahren im Jungbusch, hat noch einen Kumpel aus der Westpfalz dabei, der gerade auf Montage ist und deswegen bei ihm wohnt. Beide sind völlig unzufrieden damit, wie sie Informationen von den Einsatzkräften erhalten.

Aber nicht nur damit. Es habe viel zu lange gedauert, bis den Evakuierten ein Dach über dem Kopf organisiert wurde. „Wieso hat das so lange gedauert die Jungbuschhalle zu öffnen?“, fragt sich nicht nur Werner. Viele Menschen hätten entlang der Hafenstraße gefroren, nachdem sie aus ihren Wohnungen geholt wurden. „Es gibt nicht mal Decken.“ Er schüttelt den Kopf, während seine beiden Begleiter zustimmend nicken. 

Redaktion Leiter des Redaktionsteams Mannheim